Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

giebt nicht die Spur von äußerer Anschauung, es ist
bloß mental, und das nicht im rechten Sinne."

Um ein Gedicht gut zu machen, sagte ich, dazu ge¬
hören bekanntlich große Kenntnisse der Dinge, von de¬
nen man redet, und wem nicht, wie Claude Lorrain,
eine ganze Welt zu Gebote steht, der wird, bey den
besten ideellen Richtungen, selten etwas Gutes zu Tage
bringen.

"Und das Eigene ist, sagte Goethe, daß nur das
geborene Talent eigentlich weiß, worauf es ankommt,
und daß alle Übrigen mehr oder weniger in der Irre
gehen."

Das beweisen die Ästhetiker, sagte ich, von denen
fast keiner weiß was eigentlich gelehrt werden sollte, und
welche die Verwirrung der jungen Poeten vollkommen
machen. Statt vom Realen zu handeln, handeln sie
vom Idealen, und statt den jungen Dichter darauf hin¬
zuweisen, was er nicht hat, verwirren sie ihm das was
er besitzt. Wem z. B. von Haus aus einiger Witz
und Humor angeboren wäre, wird sicher mit diesen
Kräften am besten wirken, wenn er kaum weiß, daß er
damit begabt ist; wer aber die gepriesenen Abhandlun¬
gen über so hohe Eigenschaften sich zu Gemüthe führte,
würde sogleich in dem unschuldigen Gebrauch dieser
Kräfte gestört und gehindert werden, das Bewußtseyn
würde diese Kräfte paralysiren und er würde, statt einer
gehofften Förderung, sich unsäglich gehindert sehen. "Sie

giebt nicht die Spur von aͤußerer Anſchauung, es iſt
bloß mental, und das nicht im rechten Sinne.“

Um ein Gedicht gut zu machen, ſagte ich, dazu ge¬
hoͤren bekanntlich große Kenntniſſe der Dinge, von de¬
nen man redet, und wem nicht, wie Claude Lorrain,
eine ganze Welt zu Gebote ſteht, der wird, bey den
beſten ideellen Richtungen, ſelten etwas Gutes zu Tage
bringen.

„Und das Eigene iſt, ſagte Goethe, daß nur das
geborene Talent eigentlich weiß, worauf es ankommt,
und daß alle Übrigen mehr oder weniger in der Irre
gehen.“

Das beweiſen die Äſthetiker, ſagte ich, von denen
faſt keiner weiß was eigentlich gelehrt werden ſollte, und
welche die Verwirrung der jungen Poeten vollkommen
machen. Statt vom Realen zu handeln, handeln ſie
vom Idealen, und ſtatt den jungen Dichter darauf hin¬
zuweiſen, was er nicht hat, verwirren ſie ihm das was
er beſitzt. Wem z. B. von Haus aus einiger Witz
und Humor angeboren waͤre, wird ſicher mit dieſen
Kraͤften am beſten wirken, wenn er kaum weiß, daß er
damit begabt iſt; wer aber die geprieſenen Abhandlun¬
gen uͤber ſo hohe Eigenſchaften ſich zu Gemuͤthe fuͤhrte,
wuͤrde ſogleich in dem unſchuldigen Gebrauch dieſer
Kraͤfte geſtoͤrt und gehindert werden, das Bewußtſeyn
wuͤrde dieſe Kraͤfte paralyſiren und er wuͤrde, ſtatt einer
gehofften Foͤrderung, ſich unſaͤglich gehindert ſehen. „Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0138" n="128"/>
giebt nicht die Spur von a&#x0364;ußerer An&#x017F;chauung, es i&#x017F;t<lb/>
bloß mental, und das nicht im rechten Sinne.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Um ein Gedicht gut zu machen, &#x017F;agte ich, dazu ge¬<lb/>
ho&#x0364;ren bekanntlich große Kenntni&#x017F;&#x017F;e der Dinge, von de¬<lb/>
nen man redet, und wem nicht, wie Claude Lorrain,<lb/>
eine ganze Welt zu Gebote &#x017F;teht, der wird, bey den<lb/>
be&#x017F;ten ideellen Richtungen, &#x017F;elten etwas Gutes zu Tage<lb/>
bringen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und das Eigene i&#x017F;t, &#x017F;agte Goethe, daß nur das<lb/>
geborene Talent eigentlich weiß, worauf es ankommt,<lb/>
und daß alle Übrigen mehr oder weniger in der Irre<lb/>
gehen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das bewei&#x017F;en die Ä&#x017F;thetiker, &#x017F;agte ich, von denen<lb/>
fa&#x017F;t keiner weiß was eigentlich gelehrt werden &#x017F;ollte, und<lb/>
welche die Verwirrung der jungen Poeten vollkommen<lb/>
machen. Statt vom Realen zu handeln, handeln &#x017F;ie<lb/>
vom Idealen, und &#x017F;tatt den jungen Dichter darauf hin¬<lb/>
zuwei&#x017F;en, was er nicht hat, verwirren &#x017F;ie ihm das was<lb/>
er be&#x017F;itzt. Wem z. B. von Haus aus einiger Witz<lb/>
und Humor angeboren wa&#x0364;re, wird &#x017F;icher mit die&#x017F;en<lb/>
Kra&#x0364;ften am be&#x017F;ten wirken, wenn er kaum weiß, daß er<lb/>
damit begabt i&#x017F;t; wer aber die geprie&#x017F;enen Abhandlun¬<lb/>
gen u&#x0364;ber &#x017F;o hohe Eigen&#x017F;chaften &#x017F;ich zu Gemu&#x0364;the fu&#x0364;hrte,<lb/>
wu&#x0364;rde &#x017F;ogleich in dem un&#x017F;chuldigen Gebrauch die&#x017F;er<lb/>
Kra&#x0364;fte ge&#x017F;to&#x0364;rt und gehindert werden, das Bewußt&#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;rde die&#x017F;e Kra&#x0364;fte paraly&#x017F;iren und er wu&#x0364;rde, &#x017F;tatt einer<lb/>
gehofften Fo&#x0364;rderung, &#x017F;ich un&#x017F;a&#x0364;glich gehindert &#x017F;ehen. &#x201E;Sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0138] giebt nicht die Spur von aͤußerer Anſchauung, es iſt bloß mental, und das nicht im rechten Sinne.“ Um ein Gedicht gut zu machen, ſagte ich, dazu ge¬ hoͤren bekanntlich große Kenntniſſe der Dinge, von de¬ nen man redet, und wem nicht, wie Claude Lorrain, eine ganze Welt zu Gebote ſteht, der wird, bey den beſten ideellen Richtungen, ſelten etwas Gutes zu Tage bringen. „Und das Eigene iſt, ſagte Goethe, daß nur das geborene Talent eigentlich weiß, worauf es ankommt, und daß alle Übrigen mehr oder weniger in der Irre gehen.“ Das beweiſen die Äſthetiker, ſagte ich, von denen faſt keiner weiß was eigentlich gelehrt werden ſollte, und welche die Verwirrung der jungen Poeten vollkommen machen. Statt vom Realen zu handeln, handeln ſie vom Idealen, und ſtatt den jungen Dichter darauf hin¬ zuweiſen, was er nicht hat, verwirren ſie ihm das was er beſitzt. Wem z. B. von Haus aus einiger Witz und Humor angeboren waͤre, wird ſicher mit dieſen Kraͤften am beſten wirken, wenn er kaum weiß, daß er damit begabt iſt; wer aber die geprieſenen Abhandlun¬ gen uͤber ſo hohe Eigenſchaften ſich zu Gemuͤthe fuͤhrte, wuͤrde ſogleich in dem unſchuldigen Gebrauch dieſer Kraͤfte geſtoͤrt und gehindert werden, das Bewußtſeyn wuͤrde dieſe Kraͤfte paralyſiren und er wuͤrde, ſtatt einer gehofften Foͤrderung, ſich unſaͤglich gehindert ſehen. „Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/138
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/138>, abgerufen am 27.04.2024.