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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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schön und menschlich empfunden und ausgedrückt, wie
man es von so hohen Personen nicht erwartet. Ich
äußerte meine Freude darüber gegen Goethe. "Da
sehen Sie einen Monarchen, sagte er, der neben der
Königlichen Majestät seine angeborene schöne Menschen¬
natur gerettet hat. Es ist eine seltene Erscheinung und
deßhalb um so erfreulicher." Ich sah wieder in den
Brief und fand noch einige treffliche Stellen. "Hier
in Rom, schreibt der König, erhole ich mich von den
Sorgen des Thrones; die Kunst, die Natur, sind meine
täglichen Genüsse, Künstler meine Tischgenossen." Er
schreibt auch, wie er oft an dem Hause vorbeygehe wo
Goethe gewohnt, und wie er dabey seiner gedenke. Aus
den römischen Elegieen sind einige Stellen angeführt,
woraus man sieht, daß der König sie gut im Gedächt¬
niß hat und sie in Rom, an Ort und Stelle, von Zeit
zu Zeit wieder lesen mag. "Ja, sagte Goethe, die
Elegieen liebt er besonders; er hat mich hier viel damit
geplagt, ich sollte ihm sagen was an dem Factum sey,
weil es in den Gedichten so anmuthig erscheint, als
wäre wirklich was Rechtes daran gewesen. Man be¬
denkt aber selten, daß der Poet meistens aus geringen
Anlässen was Gutes zu machen weiß."

"Ich wollte nur, fuhr Goethe fort, daß des Königs
Gedichte jetzt dawären, damit ich in meiner Antwort
etwas darüber sagen könnte. Nach dem Wenigen zu
schließen was ich von ihm gelesen, werden die Gedichte

ſchoͤn und menſchlich empfunden und ausgedruͤckt, wie
man es von ſo hohen Perſonen nicht erwartet. Ich
aͤußerte meine Freude daruͤber gegen Goethe. „Da
ſehen Sie einen Monarchen, ſagte er, der neben der
Koͤniglichen Majeſtaͤt ſeine angeborene ſchoͤne Menſchen¬
natur gerettet hat. Es iſt eine ſeltene Erſcheinung und
deßhalb um ſo erfreulicher.“ Ich ſah wieder in den
Brief und fand noch einige treffliche Stellen. „Hier
in Rom, ſchreibt der Koͤnig, erhole ich mich von den
Sorgen des Thrones; die Kunſt, die Natur, ſind meine
taͤglichen Genuͤſſe, Kuͤnſtler meine Tiſchgenoſſen.“ Er
ſchreibt auch, wie er oft an dem Hauſe vorbeygehe wo
Goethe gewohnt, und wie er dabey ſeiner gedenke. Aus
den roͤmiſchen Elegieen ſind einige Stellen angefuͤhrt,
woraus man ſieht, daß der Koͤnig ſie gut im Gedaͤcht¬
niß hat und ſie in Rom, an Ort und Stelle, von Zeit
zu Zeit wieder leſen mag. „Ja, ſagte Goethe, die
Elegieen liebt er beſonders; er hat mich hier viel damit
geplagt, ich ſollte ihm ſagen was an dem Factum ſey,
weil es in den Gedichten ſo anmuthig erſcheint, als
waͤre wirklich was Rechtes daran geweſen. Man be¬
denkt aber ſelten, daß der Poet meiſtens aus geringen
Anlaͤſſen was Gutes zu machen weiß.“

„Ich wollte nur, fuhr Goethe fort, daß des Koͤnigs
Gedichte jetzt dawaͤren, damit ich in meiner Antwort
etwas daruͤber ſagen koͤnnte. Nach dem Wenigen zu
ſchließen was ich von ihm geleſen, werden die Gedichte

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[118/0128] ſchoͤn und menſchlich empfunden und ausgedruͤckt, wie man es von ſo hohen Perſonen nicht erwartet. Ich aͤußerte meine Freude daruͤber gegen Goethe. „Da ſehen Sie einen Monarchen, ſagte er, der neben der Koͤniglichen Majeſtaͤt ſeine angeborene ſchoͤne Menſchen¬ natur gerettet hat. Es iſt eine ſeltene Erſcheinung und deßhalb um ſo erfreulicher.“ Ich ſah wieder in den Brief und fand noch einige treffliche Stellen. „Hier in Rom, ſchreibt der Koͤnig, erhole ich mich von den Sorgen des Thrones; die Kunſt, die Natur, ſind meine taͤglichen Genuͤſſe, Kuͤnſtler meine Tiſchgenoſſen.“ Er ſchreibt auch, wie er oft an dem Hauſe vorbeygehe wo Goethe gewohnt, und wie er dabey ſeiner gedenke. Aus den roͤmiſchen Elegieen ſind einige Stellen angefuͤhrt, woraus man ſieht, daß der Koͤnig ſie gut im Gedaͤcht¬ niß hat und ſie in Rom, an Ort und Stelle, von Zeit zu Zeit wieder leſen mag. „Ja, ſagte Goethe, die Elegieen liebt er beſonders; er hat mich hier viel damit geplagt, ich ſollte ihm ſagen was an dem Factum ſey, weil es in den Gedichten ſo anmuthig erſcheint, als waͤre wirklich was Rechtes daran geweſen. Man be¬ denkt aber ſelten, daß der Poet meiſtens aus geringen Anlaͤſſen was Gutes zu machen weiß.“ „Ich wollte nur, fuhr Goethe fort, daß des Koͤnigs Gedichte jetzt dawaͤren, damit ich in meiner Antwort etwas daruͤber ſagen koͤnnte. Nach dem Wenigen zu ſchließen was ich von ihm geleſen, werden die Gedichte

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/128>, abgerufen am 28.04.2024.