so findet man sehr bald Stellen, wo die Chaussee weit mehr als zehn Zoll Steigung auf die Ruthe haben möchte. "Das sind kurze, unbedeutende Strecken, ant¬ wortete Coudray, und dann geht man oft beym Chaussee- Bau über solche Stellen in der Nähe eines Ortes ab¬ sichtlich hin, um demselben ein kleines Einkommen für Vorspann nicht zu nehmen." Wir lachten über diese redliche Schelmerey. "Und im Grunde, fuhr Coudray fort, ist's auch eine Kleinigkeit; die Reisewagen gehen über solche Stellen leicht hinaus, und die Frachtfahrer sind einmal an einige Plackerey gewöhnt. Zudem, da solcher Vorspann gewöhnlich bey Gastwirthen genommen wird, so haben die Fuhrleute zugleich Gelegenheit ein¬ mal zu trinken, und sie würden es einem nicht danken, wenn man ihnen den Spaß verdürbe."
"Ich möchte wissen, sagte Goethe, ob es in ganz ebenen flachen Gegenden nicht sogar besser wäre, die grade Straßen-Linie dann und wann zu unterbrechen, und die Chaussee künstlich hier und dort ein wenig stei¬ gen und fallen zu lassen; es würde das bequeme Fahren nicht hindern, und man gewönne, daß die Straße we¬ gen besserem Abfluß des Regenwassers immer trocken wäre." Das ließe sich wohl machen, antwortete Coudray, und würde sich höchst wahrscheinlich sehr nütz¬ lich erweisen.
Coudray brachte darauf eine Schrift hervor, den Entwurf einer Instruction für einen jungen Architekten,
ſo findet man ſehr bald Stellen, wo die Chauſſee weit mehr als zehn Zoll Steigung auf die Ruthe haben moͤchte. „Das ſind kurze, unbedeutende Strecken, ant¬ wortete Coudray, und dann geht man oft beym Chauſſee- Bau uͤber ſolche Stellen in der Naͤhe eines Ortes ab¬ ſichtlich hin, um demſelben ein kleines Einkommen fuͤr Vorſpann nicht zu nehmen.“ Wir lachten uͤber dieſe redliche Schelmerey. „Und im Grunde, fuhr Coudray fort, iſt's auch eine Kleinigkeit; die Reiſewagen gehen uͤber ſolche Stellen leicht hinaus, und die Frachtfahrer ſind einmal an einige Plackerey gewoͤhnt. Zudem, da ſolcher Vorſpann gewoͤhnlich bey Gaſtwirthen genommen wird, ſo haben die Fuhrleute zugleich Gelegenheit ein¬ mal zu trinken, und ſie wuͤrden es einem nicht danken, wenn man ihnen den Spaß verduͤrbe.“
„Ich moͤchte wiſſen, ſagte Goethe, ob es in ganz ebenen flachen Gegenden nicht ſogar beſſer waͤre, die grade Straßen-Linie dann und wann zu unterbrechen, und die Chauſſee kuͤnſtlich hier und dort ein wenig ſtei¬ gen und fallen zu laſſen; es wuͤrde das bequeme Fahren nicht hindern, und man gewoͤnne, daß die Straße we¬ gen beſſerem Abfluß des Regenwaſſers immer trocken waͤre.“ Das ließe ſich wohl machen, antwortete Coudray, und wuͤrde ſich hoͤchſt wahrſcheinlich ſehr nuͤtz¬ lich erweiſen.
Coudray brachte darauf eine Schrift hervor, den Entwurf einer Inſtruction fuͤr einen jungen Architekten,
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ſo findet man ſehr bald Stellen, wo die Chauſſee weit
mehr als zehn Zoll Steigung auf die Ruthe haben
moͤchte. „Das ſind kurze, unbedeutende Strecken, ant¬
wortete Coudray, und dann geht man oft beym Chauſſee-
Bau uͤber ſolche Stellen in der Naͤhe eines Ortes ab¬
ſichtlich hin, um demſelben ein kleines Einkommen fuͤr
Vorſpann nicht zu nehmen.“ Wir lachten uͤber dieſe
redliche Schelmerey. „Und im Grunde, fuhr Coudray
fort, iſt's auch eine Kleinigkeit; die Reiſewagen gehen
uͤber ſolche Stellen leicht hinaus, und die Frachtfahrer
ſind einmal an einige Plackerey gewoͤhnt. Zudem, da
ſolcher Vorſpann gewoͤhnlich bey Gaſtwirthen genommen
wird, ſo haben die Fuhrleute zugleich Gelegenheit ein¬
mal zu trinken, und ſie wuͤrden es einem nicht danken,
wenn man ihnen den Spaß verduͤrbe.“
„Ich moͤchte wiſſen, ſagte Goethe, ob es in ganz
ebenen flachen Gegenden nicht ſogar beſſer waͤre, die
grade Straßen-Linie dann und wann zu unterbrechen,
und die Chauſſee kuͤnſtlich hier und dort ein wenig ſtei¬
gen und fallen zu laſſen; es wuͤrde das bequeme Fahren
nicht hindern, und man gewoͤnne, daß die Straße we¬
gen beſſerem Abfluß des Regenwaſſers immer trocken
waͤre.“ Das ließe ſich wohl machen, antwortete
Coudray, und wuͤrde ſich hoͤchſt wahrſcheinlich ſehr nuͤtz¬
lich erweiſen.
Coudray brachte darauf eine Schrift hervor, den
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/106>, abgerufen am 24.11.2024.
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