gemacht, und zwar deßwegen nicht, weil der Zuschnitt des ersten Theiles so groß geworden, daß er später einen zweyten nicht habe durchführen können. Auch wäre das Geschriebene recht gut als ein Ganzes zu betrachten, weßhalb er sich auch dabey beruhiget habe.
Ich sagte ihm, daß ich bey dieser schweren Dichtung erst nach und nach zum Verständniß durchgedrungen, nach¬ dem ich sie so oft gelesen, daß ich sie nun fast aus¬ wendig wisse. Darüber lächelte Goethe. "Das glaube ich wohl, sagte er, es ist alles als wie in einander gekeilt."
Ich sagte ihm, daß ich wegen dieses Gedichts nicht ganz mit Schubarth zufrieden, der darin alles das vereinigt finden wolle, was im Werther, Wilhelm Mei¬ ster, Faust und Wahlverwandtschaften einzeln ausgespro¬ chen sey, wodurch doch die Sache sehr unfaßlich und schwer werde.
"Schubarth, sagte Goethe, geht oft ein wenig tief; doch ist er sehr tüchtig, es ist bey ihm alles prägnant."
Wir sprachen über Uhland. "Wo ich große Wir¬ kungen sehe, sagte Goethe, pflege ich auch große Ur¬ sachen vorauszusetzen, und bey der so sehr verbreiteten Popularität, die Uhland genießt, muß also wohl etwas Vorzügliches an ihm seyn. Übrigens habe ich über seine Gedichte kaum ein Urtheil. Ich nahm den Band mit der besten Absicht zu Händen, allein ich stieß von vorne herein gleich auf so viele schwache und trübselige Ge¬
gemacht, und zwar deßwegen nicht, weil der Zuſchnitt des erſten Theiles ſo groß geworden, daß er ſpaͤter einen zweyten nicht habe durchfuͤhren koͤnnen. Auch waͤre das Geſchriebene recht gut als ein Ganzes zu betrachten, weßhalb er ſich auch dabey beruhiget habe.
Ich ſagte ihm, daß ich bey dieſer ſchweren Dichtung erſt nach und nach zum Verſtaͤndniß durchgedrungen, nach¬ dem ich ſie ſo oft geleſen, daß ich ſie nun faſt aus¬ wendig wiſſe. Daruͤber laͤchelte Goethe. „Das glaube ich wohl, ſagte er, es iſt alles als wie in einander gekeilt.“
Ich ſagte ihm, daß ich wegen dieſes Gedichts nicht ganz mit Schubarth zufrieden, der darin alles das vereinigt finden wolle, was im Werther, Wilhelm Mei¬ ſter, Fauſt und Wahlverwandtſchaften einzeln ausgeſpro¬ chen ſey, wodurch doch die Sache ſehr unfaßlich und ſchwer werde.
„Schubarth, ſagte Goethe, geht oft ein wenig tief; doch iſt er ſehr tuͤchtig, es iſt bey ihm alles praͤgnant.“
Wir ſprachen uͤber Uhland. „Wo ich große Wir¬ kungen ſehe, ſagte Goethe, pflege ich auch große Ur¬ ſachen vorauszuſetzen, und bey der ſo ſehr verbreiteten Popularitaͤt, die Uhland genießt, muß alſo wohl etwas Vorzuͤgliches an ihm ſeyn. Übrigens habe ich uͤber ſeine Gedichte kaum ein Urtheil. Ich nahm den Band mit der beſten Abſicht zu Haͤnden, allein ich ſtieß von vorne herein gleich auf ſo viele ſchwache und truͤbſelige Ge¬
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[64/0084]
gemacht, und zwar deßwegen nicht, weil der Zuſchnitt
des erſten Theiles ſo groß geworden, daß er ſpaͤter einen
zweyten nicht habe durchfuͤhren koͤnnen. Auch waͤre das
Geſchriebene recht gut als ein Ganzes zu betrachten,
weßhalb er ſich auch dabey beruhiget habe.
Ich ſagte ihm, daß ich bey dieſer ſchweren Dichtung
erſt nach und nach zum Verſtaͤndniß durchgedrungen, nach¬
dem ich ſie ſo oft geleſen, daß ich ſie nun faſt aus¬
wendig wiſſe. Daruͤber laͤchelte Goethe. „Das glaube
ich wohl, ſagte er, es iſt alles als wie in einander
gekeilt.“
Ich ſagte ihm, daß ich wegen dieſes Gedichts nicht
ganz mit Schubarth zufrieden, der darin alles das
vereinigt finden wolle, was im Werther, Wilhelm Mei¬
ſter, Fauſt und Wahlverwandtſchaften einzeln ausgeſpro¬
chen ſey, wodurch doch die Sache ſehr unfaßlich und
ſchwer werde.
„Schubarth, ſagte Goethe, geht oft ein wenig tief;
doch iſt er ſehr tuͤchtig, es iſt bey ihm alles praͤgnant.“
Wir ſprachen uͤber Uhland. „Wo ich große Wir¬
kungen ſehe, ſagte Goethe, pflege ich auch große Ur¬
ſachen vorauszuſetzen, und bey der ſo ſehr verbreiteten
Popularitaͤt, die Uhland genießt, muß alſo wohl etwas
Vorzuͤgliches an ihm ſeyn. Übrigens habe ich uͤber ſeine
Gedichte kaum ein Urtheil. Ich nahm den Band mit
der beſten Abſicht zu Haͤnden, allein ich ſtieß von vorne
herein gleich auf ſo viele ſchwache und truͤbſelige Ge¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/84>, abgerufen am 22.11.2024.
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