Herr seines Stoffes seyn. Und das ist eben der Vortheil bey kleinen Sachen, daß man nur solche Gegenstände zu wählen braucht und wählen wird, die man kennet, von denen man Herr ist. Bey einem großen dichterischen Werk geht das aber nicht, da läßt sich nicht ausweichen, alles was zur Verknüpfung des Ganzen gehört und in den Plan hinein mit verflochten ist, muß dargestellt wer¬ den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬ gend aber ist die Kenntniß der Dinge noch einseitig; ein großes Werk aber erfordert Vielseitigkeit, und daran scheitert man."
Ich sagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein großes Gedicht über die Jahreszeiten zu machen und die Beschäftigungen und Belustigungen aller Stände hinein zu verflechten. "Hier ist derselbige Fall, sagte Goethe darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehörig durch¬ forscht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es gelingt Ihnen vielleicht der Fischer, aber der Jäger viel¬ leicht nicht. Geräth aber am Ganzen etwas nicht, so ist es als Ganzes mangelhaft, so gut einzelne Partien auch seyn mögen, und Sie haben nichts Vollendetes geleistet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien für sich, selbstständig dar, denen Sie gewachsen sind, so machen Sie sicher etwas Gutes."
"Besonders warne ich vor eigenen großen Erfin¬ dungen; denn da will man eine Ansicht der Dinge geben
Herr ſeines Stoffes ſeyn. Und das iſt eben der Vortheil bey kleinen Sachen, daß man nur ſolche Gegenſtaͤnde zu waͤhlen braucht und waͤhlen wird, die man kennet, von denen man Herr iſt. Bey einem großen dichteriſchen Werk geht das aber nicht, da laͤßt ſich nicht ausweichen, alles was zur Verknuͤpfung des Ganzen gehoͤrt und in den Plan hinein mit verflochten iſt, muß dargeſtellt wer¬ den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬ gend aber iſt die Kenntniß der Dinge noch einſeitig; ein großes Werk aber erfordert Vielſeitigkeit, und daran ſcheitert man.“
Ich ſagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein großes Gedicht uͤber die Jahreszeiten zu machen und die Beſchaͤftigungen und Beluſtigungen aller Staͤnde hinein zu verflechten. „Hier iſt derſelbige Fall, ſagte Goethe darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehoͤrig durch¬ forſcht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es gelingt Ihnen vielleicht der Fiſcher, aber der Jaͤger viel¬ leicht nicht. Geraͤth aber am Ganzen etwas nicht, ſo iſt es als Ganzes mangelhaft, ſo gut einzelne Partien auch ſeyn moͤgen, und Sie haben nichts Vollendetes geleiſtet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien fuͤr ſich, ſelbſtſtaͤndig dar, denen Sie gewachſen ſind, ſo machen Sie ſicher etwas Gutes.“
„Beſonders warne ich vor eigenen großen Erfin¬ dungen; denn da will man eine Anſicht der Dinge geben
<TEI><text><body><divn="1"><div><p><pbfacs="#f0075"n="55"/>
Herr ſeines Stoffes ſeyn. Und das iſt eben der Vortheil<lb/>
bey kleinen Sachen, daß man nur ſolche Gegenſtaͤnde zu<lb/>
waͤhlen braucht und waͤhlen wird, die man kennet, von<lb/>
denen man Herr iſt. Bey einem großen dichteriſchen<lb/>
Werk geht das aber nicht, da laͤßt ſich nicht ausweichen,<lb/>
alles was zur Verknuͤpfung des Ganzen gehoͤrt und in<lb/>
den Plan hinein mit verflochten iſt, muß dargeſtellt wer¬<lb/>
den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬<lb/>
gend aber iſt die Kenntniß der Dinge noch einſeitig;<lb/>
ein großes Werk aber erfordert Vielſeitigkeit, und daran<lb/>ſcheitert man.“</p><lb/><p>Ich ſagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein<lb/>
großes Gedicht uͤber die Jahreszeiten zu machen und die<lb/>
Beſchaͤftigungen und Beluſtigungen aller Staͤnde hinein<lb/>
zu verflechten. „Hier iſt derſelbige Fall, ſagte Goethe<lb/>
darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber<lb/>
Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehoͤrig durch¬<lb/>
forſcht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es<lb/>
gelingt Ihnen vielleicht der Fiſcher, aber der Jaͤger viel¬<lb/>
leicht nicht. Geraͤth aber am Ganzen etwas nicht, ſo<lb/>
iſt es als Ganzes mangelhaft, ſo gut einzelne Partien<lb/>
auch ſeyn moͤgen, und Sie haben nichts Vollendetes<lb/>
geleiſtet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien<lb/>
fuͤr ſich, ſelbſtſtaͤndig dar, denen Sie gewachſen ſind,<lb/>ſo machen Sie ſicher etwas Gutes.“</p><lb/><p>„Beſonders warne ich vor <hirendition="#g">eigenen</hi> großen Erfin¬<lb/>
dungen; denn da will man eine Anſicht der Dinge geben<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[55/0075]
Herr ſeines Stoffes ſeyn. Und das iſt eben der Vortheil
bey kleinen Sachen, daß man nur ſolche Gegenſtaͤnde zu
waͤhlen braucht und waͤhlen wird, die man kennet, von
denen man Herr iſt. Bey einem großen dichteriſchen
Werk geht das aber nicht, da laͤßt ſich nicht ausweichen,
alles was zur Verknuͤpfung des Ganzen gehoͤrt und in
den Plan hinein mit verflochten iſt, muß dargeſtellt wer¬
den und zwar mit getroffener Wahrheit. Bey der Ju¬
gend aber iſt die Kenntniß der Dinge noch einſeitig;
ein großes Werk aber erfordert Vielſeitigkeit, und daran
ſcheitert man.“
Ich ſagte Goethen, daß ich im Willen gehabt, ein
großes Gedicht uͤber die Jahreszeiten zu machen und die
Beſchaͤftigungen und Beluſtigungen aller Staͤnde hinein
zu verflechten. „Hier iſt derſelbige Fall, ſagte Goethe
darauf, es kann Ihnen Vieles daran gelingen, aber
Manches, was Sie vielleicht noch nicht gehoͤrig durch¬
forſcht haben und kennen, gelingt Ihnen nicht. Es
gelingt Ihnen vielleicht der Fiſcher, aber der Jaͤger viel¬
leicht nicht. Geraͤth aber am Ganzen etwas nicht, ſo
iſt es als Ganzes mangelhaft, ſo gut einzelne Partien
auch ſeyn moͤgen, und Sie haben nichts Vollendetes
geleiſtet. Stellen Sie aber bloß die einzelnen Partien
fuͤr ſich, ſelbſtſtaͤndig dar, denen Sie gewachſen ſind,
ſo machen Sie ſicher etwas Gutes.“
„Beſonders warne ich vor eigenen großen Erfin¬
dungen; denn da will man eine Anſicht der Dinge geben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/75>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.