Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

das jetzt trocken lag. Chaussee-Arbeiter waren beschäf¬
tigt, an den Seiten der Brücke einige aus röthlichem
Sandsteine gehauene Steine zu errichten, die Goethe's
Aufmerksamkeit auf sich zogen. Etwa eine Wurfsweite
über die Brücke hinaus, wo die Straße sich sachte an
den Hügel hinanhebt, der den Reisenden von Berka
trennet, ließ Goethe halten. "Wir wollen hier ein
wenig aussteigen, sagte er, und sehen, ob ein kleines
Frühstück in freyer Luft uns schmecken wird. Wir
stiegen aus und sahen uns um. Der Bediente breitete
eine Serviette über einen viereckigen Steinhaufen, wie
sie an den Chausseen zu liegen pflegen und holte aus
dem Wagen den aus Binsen geflochtenen Korb, aus
welchem er neben frischen Semmeln, gebratene Reb¬
hühner und saure Gurken auftischte. Goethe schnitt
ein Rebhuhn durch und gab mir die eine Hälfte. Ich
aß, indem ich stand und herumging; Goethe hatte sich
dabey auf die Ecke eines Steinhaufens gesetzt. Die
Kälte der Steine, woran noch der nächtliche Thau
hängt, kann ihm unmöglich gut seyn, dachte ich und
machte meine Besorgniß bemerklich; Goethe aber ver¬
sicherte, daß es ihm durchaus nicht schade, wodurch ich
mich denn beruhigt fühlte und es als ein neues Zeichen
ansah, wie kräftig er sich in seinem Innern empfinden
müsse. Der Bediente hatte indeß auch eine Flasche
Wein aus dem Wagen geholt, wovon er uns einschenkte
"Unser Freund Schütze, sagte Goethe, hat nicht Un¬

I. 25

das jetzt trocken lag. Chauſſée-Arbeiter waren beſchaͤf¬
tigt, an den Seiten der Bruͤcke einige aus roͤthlichem
Sandſteine gehauene Steine zu errichten, die Goethe's
Aufmerkſamkeit auf ſich zogen. Etwa eine Wurfsweite
uͤber die Bruͤcke hinaus, wo die Straße ſich ſachte an
den Huͤgel hinanhebt, der den Reiſenden von Berka
trennet, ließ Goethe halten. „Wir wollen hier ein
wenig ausſteigen, ſagte er, und ſehen, ob ein kleines
Fruͤhſtuͤck in freyer Luft uns ſchmecken wird. Wir
ſtiegen aus und ſahen uns um. Der Bediente breitete
eine Serviette uͤber einen viereckigen Steinhaufen, wie
ſie an den Chauſſéen zu liegen pflegen und holte aus
dem Wagen den aus Binſen geflochtenen Korb, aus
welchem er neben friſchen Semmeln, gebratene Reb¬
huͤhner und ſaure Gurken auftiſchte. Goethe ſchnitt
ein Rebhuhn durch und gab mir die eine Haͤlfte. Ich
aß, indem ich ſtand und herumging; Goethe hatte ſich
dabey auf die Ecke eines Steinhaufens geſetzt. Die
Kaͤlte der Steine, woran noch der naͤchtliche Thau
haͤngt, kann ihm unmoͤglich gut ſeyn, dachte ich und
machte meine Beſorgniß bemerklich; Goethe aber ver¬
ſicherte, daß es ihm durchaus nicht ſchade, wodurch ich
mich denn beruhigt fuͤhlte und es als ein neues Zeichen
anſah, wie kraͤftig er ſich in ſeinem Innern empfinden
muͤſſe. Der Bediente hatte indeß auch eine Flaſche
Wein aus dem Wagen geholt, wovon er uns einſchenkte
„Unſer Freund Schuͤtze, ſagte Goethe, hat nicht Un¬

I. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="385"/>
das jetzt trocken lag. Chau&#x017F;&#x017F;<hi rendition="#aq">é</hi>e-Arbeiter waren be&#x017F;cha&#x0364;<lb/>
tigt, an den Seiten der Bru&#x0364;cke einige aus ro&#x0364;thlichem<lb/>
Sand&#x017F;teine gehauene Steine zu errichten, die Goethe's<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit auf &#x017F;ich zogen. Etwa eine Wurfsweite<lb/>
u&#x0364;ber die Bru&#x0364;cke hinaus, wo die Straße &#x017F;ich &#x017F;achte an<lb/>
den Hu&#x0364;gel hinanhebt, der den Rei&#x017F;enden von Berka<lb/>
trennet, ließ Goethe halten. &#x201E;Wir wollen hier ein<lb/>
wenig aus&#x017F;teigen, &#x017F;agte er, und &#x017F;ehen, ob ein kleines<lb/>
Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck in freyer Luft uns &#x017F;chmecken wird. Wir<lb/>
&#x017F;tiegen aus und &#x017F;ahen uns um. Der Bediente breitete<lb/>
eine Serviette u&#x0364;ber einen viereckigen Steinhaufen, wie<lb/>
&#x017F;ie an den Chau&#x017F;&#x017F;<hi rendition="#aq">é</hi>en zu liegen pflegen und holte aus<lb/>
dem Wagen den aus Bin&#x017F;en geflochtenen Korb, aus<lb/>
welchem er neben fri&#x017F;chen Semmeln, gebratene Reb¬<lb/>
hu&#x0364;hner und &#x017F;aure Gurken aufti&#x017F;chte. Goethe &#x017F;chnitt<lb/>
ein Rebhuhn durch und gab mir die eine Ha&#x0364;lfte. Ich<lb/>
aß, indem ich &#x017F;tand und herumging; Goethe hatte &#x017F;ich<lb/>
dabey auf die Ecke eines Steinhaufens ge&#x017F;etzt. Die<lb/>
Ka&#x0364;lte der Steine, woran noch der na&#x0364;chtliche Thau<lb/>
ha&#x0364;ngt, kann ihm unmo&#x0364;glich gut &#x017F;eyn, dachte ich und<lb/>
machte meine Be&#x017F;orgniß bemerklich; Goethe aber ver¬<lb/>
&#x017F;icherte, daß es ihm durchaus nicht &#x017F;chade, wodurch ich<lb/>
mich denn beruhigt fu&#x0364;hlte und es als ein neues Zeichen<lb/>
an&#x017F;ah, wie kra&#x0364;ftig er &#x017F;ich in &#x017F;einem Innern empfinden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Der Bediente hatte indeß auch eine Fla&#x017F;che<lb/>
Wein aus dem Wagen geholt, wovon er uns ein&#x017F;chenkte<lb/>
&#x201E;Un&#x017F;er Freund <hi rendition="#g">Schu&#x0364;tze</hi>, &#x017F;agte Goethe, hat nicht Un¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I</hi>. 25<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[385/0405] das jetzt trocken lag. Chauſſée-Arbeiter waren beſchaͤf¬ tigt, an den Seiten der Bruͤcke einige aus roͤthlichem Sandſteine gehauene Steine zu errichten, die Goethe's Aufmerkſamkeit auf ſich zogen. Etwa eine Wurfsweite uͤber die Bruͤcke hinaus, wo die Straße ſich ſachte an den Huͤgel hinanhebt, der den Reiſenden von Berka trennet, ließ Goethe halten. „Wir wollen hier ein wenig ausſteigen, ſagte er, und ſehen, ob ein kleines Fruͤhſtuͤck in freyer Luft uns ſchmecken wird. Wir ſtiegen aus und ſahen uns um. Der Bediente breitete eine Serviette uͤber einen viereckigen Steinhaufen, wie ſie an den Chauſſéen zu liegen pflegen und holte aus dem Wagen den aus Binſen geflochtenen Korb, aus welchem er neben friſchen Semmeln, gebratene Reb¬ huͤhner und ſaure Gurken auftiſchte. Goethe ſchnitt ein Rebhuhn durch und gab mir die eine Haͤlfte. Ich aß, indem ich ſtand und herumging; Goethe hatte ſich dabey auf die Ecke eines Steinhaufens geſetzt. Die Kaͤlte der Steine, woran noch der naͤchtliche Thau haͤngt, kann ihm unmoͤglich gut ſeyn, dachte ich und machte meine Beſorgniß bemerklich; Goethe aber ver¬ ſicherte, daß es ihm durchaus nicht ſchade, wodurch ich mich denn beruhigt fuͤhlte und es als ein neues Zeichen anſah, wie kraͤftig er ſich in ſeinem Innern empfinden muͤſſe. Der Bediente hatte indeß auch eine Flaſche Wein aus dem Wagen geholt, wovon er uns einſchenkte „Unſer Freund Schuͤtze, ſagte Goethe, hat nicht Un¬ I. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/405
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/405>, abgerufen am 18.05.2024.