miteinander reden. Da ist auch eine Übersetzung des Sophocles angekommen, sie lieset sich gut und scheint sehr brav zu seyn; ich will sie doch einmal mit Solger vergleichen. Nun was sagen Sie zu Carlyle?" Ich erzählte ihm, was ich über Fouque gelesen. "Ist das nicht sehr artig? sagte Goethe; ja überm Meere giebt es auch gescheidte Leute, die uns kennen und zu wür¬ digen wissen."
"Indessen, fuhr Goethe fort, fehlt es in anderen Fächern uns Deutschen auch nicht an guten Köpfen. Ich habe in den Berliner Jahrbüchern die Recension eines Historikers über Schlosser gelesen, die sehr groß ist. Sie ist Heinrich Leo unterschrieben, von welchem ich noch nichts gehört habe und nach welchem wir uns doch erkundigen müssen. Er steht höher als die Fran¬ zosen, welches in geschichtlicher Hinsicht doch etwas hei¬ ßen will. Jene haften zu sehr am Realen und können das Ideelle nicht zu Kopf bringen, dieses aber besitzt der Deutsche in ganzer Freyheit. Über das indische Casten-Wesen hat er die trefflichsten Ansichten. Man spricht immer viel von Aristokratie und Demokratie, die Sache ist ganz einfach diese: In der Jugend, wo wir nichts besitzen, oder doch den ruhigen Besitz nicht zu schätzen wissen, sind wir Demokraten. Sind wir aber in einem langen Leben zu Eigenthum gekommen, so wünschen wir dieses nicht allein gesichert, sondern wir wünschen auch, daß unsere Kinder und Enkel das Er¬
miteinander reden. Da iſt auch eine Überſetzung des Sophocles angekommen, ſie lieſet ſich gut und ſcheint ſehr brav zu ſeyn; ich will ſie doch einmal mit Solger vergleichen. Nun was ſagen Sie zu Carlyle?“ Ich erzaͤhlte ihm, was ich uͤber Fouqué geleſen. „Iſt das nicht ſehr artig? ſagte Goethe; ja uͤberm Meere giebt es auch geſcheidte Leute, die uns kennen und zu wuͤr¬ digen wiſſen.“
„Indeſſen, fuhr Goethe fort, fehlt es in anderen Faͤchern uns Deutſchen auch nicht an guten Koͤpfen. Ich habe in den Berliner Jahrbuͤchern die Recenſion eines Hiſtorikers uͤber Schloſſer geleſen, die ſehr groß iſt. Sie iſt Heinrich Leo unterſchrieben, von welchem ich noch nichts gehoͤrt habe und nach welchem wir uns doch erkundigen muͤſſen. Er ſteht hoͤher als die Fran¬ zoſen, welches in geſchichtlicher Hinſicht doch etwas hei¬ ßen will. Jene haften zu ſehr am Realen und koͤnnen das Ideelle nicht zu Kopf bringen, dieſes aber beſitzt der Deutſche in ganzer Freyheit. Über das indiſche Caſten-Weſen hat er die trefflichſten Anſichten. Man ſpricht immer viel von Ariſtokratie und Demokratie, die Sache iſt ganz einfach dieſe: In der Jugend, wo wir nichts beſitzen, oder doch den ruhigen Beſitz nicht zu ſchaͤtzen wiſſen, ſind wir Demokraten. Sind wir aber in einem langen Leben zu Eigenthum gekommen, ſo wuͤnſchen wir dieſes nicht allein geſichert, ſondern wir wuͤnſchen auch, daß unſere Kinder und Enkel das Er¬
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miteinander reden. Da iſt auch eine Überſetzung des
Sophocles angekommen, ſie lieſet ſich gut und ſcheint
ſehr brav zu ſeyn; ich will ſie doch einmal mit Solger
vergleichen. Nun was ſagen Sie zu Carlyle?“ Ich
erzaͤhlte ihm, was ich uͤber Fouqué geleſen. „Iſt das
nicht ſehr artig? ſagte Goethe; ja uͤberm Meere giebt
es auch geſcheidte Leute, die uns kennen und zu wuͤr¬
digen wiſſen.“
„Indeſſen, fuhr Goethe fort, fehlt es in anderen
Faͤchern uns Deutſchen auch nicht an guten Koͤpfen.
Ich habe in den Berliner Jahrbuͤchern die Recenſion
eines Hiſtorikers uͤber Schloſſer geleſen, die ſehr groß
iſt. Sie iſt Heinrich Leo unterſchrieben, von welchem
ich noch nichts gehoͤrt habe und nach welchem wir uns
doch erkundigen muͤſſen. Er ſteht hoͤher als die Fran¬
zoſen, welches in geſchichtlicher Hinſicht doch etwas hei¬
ßen will. Jene haften zu ſehr am Realen und koͤnnen
das Ideelle nicht zu Kopf bringen, dieſes aber beſitzt
der Deutſche in ganzer Freyheit. Über das indiſche
Caſten-Weſen hat er die trefflichſten Anſichten. Man
ſpricht immer viel von Ariſtokratie und Demokratie, die
Sache iſt ganz einfach dieſe: In der Jugend, wo wir
nichts beſitzen, oder doch den ruhigen Beſitz nicht zu
ſchaͤtzen wiſſen, ſind wir Demokraten. Sind wir aber
in einem langen Leben zu Eigenthum gekommen, ſo
wuͤnſchen wir dieſes nicht allein geſichert, ſondern wir
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/393>, abgerufen am 21.11.2024.
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