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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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nete nach Rambergischen Originalen. Ich machte Fort¬
schritte, denn die Blätter die er mir gab wurden immer
bedeutender. Die ganze Anatomie des menschlichen Kör¬
pers zeichnete ich durch, und ward nicht müde die
schwierigen Hände und Füße immer zu wiederholen. So
vergingen einige glückliche Monate. Wir kamen indeß
in den May und ich fing an zu kränkeln; der Juny
rückte heran und ich war nicht mehr im Stande den
Griffel zu führen, so zitterten meine Hände.

Wir nahmen unsere Zuflucht zu einem geschickten
Arzt. Er fand meinen Zustand gefährlich. Er erklärte,
daß in Folge des Feldzuges alle Hautausdünstung
unterdrückt sey, daß eine verzehrende Glut sich auf die
inneren Theile geworfen, und daß, wenn ich mich noch
vierzehn Tage so fortgeschleppt hätte, ich unfehlbar ein
Kind des Todes gewesen seyn würde. Er verordnete
sogleich warme Bäder und ähnliche wirksame Mittel
um die Thätigkeit der Haut wieder herzustellen; es
zeigten sich auch sehr bald erfreuliche Spuren der Besse¬
rung, doch an Fortsetzung meiner künstlerischen Studien
war nicht mehr zu denken.

Ich hatte bisher bey meinem Freunde die liebevollste
Behandlung und Pflege genossen; daß ich ihm lästig
sey, oder in der Folge lästig werden könnte, daran war
seinerseits kein Gedanke und nicht die leiseste Andeutung.
Ich aber dachte daran, und wie diese schon länger ge¬
hegte heimliche Sorge wahrscheinlich dazu beygetragen

nete nach Rambergiſchen Originalen. Ich machte Fort¬
ſchritte, denn die Blaͤtter die er mir gab wurden immer
bedeutender. Die ganze Anatomie des menſchlichen Koͤr¬
pers zeichnete ich durch, und ward nicht muͤde die
ſchwierigen Haͤnde und Fuͤße immer zu wiederholen. So
vergingen einige gluͤckliche Monate. Wir kamen indeß
in den May und ich fing an zu kraͤnkeln; der Juny
ruͤckte heran und ich war nicht mehr im Stande den
Griffel zu fuͤhren, ſo zitterten meine Haͤnde.

Wir nahmen unſere Zuflucht zu einem geſchickten
Arzt. Er fand meinen Zuſtand gefaͤhrlich. Er erklaͤrte,
daß in Folge des Feldzuges alle Hautausduͤnſtung
unterdruͤckt ſey, daß eine verzehrende Glut ſich auf die
inneren Theile geworfen, und daß, wenn ich mich noch
vierzehn Tage ſo fortgeſchleppt haͤtte, ich unfehlbar ein
Kind des Todes geweſen ſeyn wuͤrde. Er verordnete
ſogleich warme Baͤder und aͤhnliche wirkſame Mittel
um die Thaͤtigkeit der Haut wieder herzuſtellen; es
zeigten ſich auch ſehr bald erfreuliche Spuren der Beſſe¬
rung, doch an Fortſetzung meiner kuͤnſtleriſchen Studien
war nicht mehr zu denken.

Ich hatte bisher bey meinem Freunde die liebevollſte
Behandlung und Pflege genoſſen; daß ich ihm laͤſtig
ſey, oder in der Folge laͤſtig werden koͤnnte, daran war
ſeinerſeits kein Gedanke und nicht die leiſeſte Andeutung.
Ich aber dachte daran, und wie dieſe ſchon laͤnger ge¬
hegte heimliche Sorge wahrſcheinlich dazu beygetragen

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[14/0034] nete nach Rambergiſchen Originalen. Ich machte Fort¬ ſchritte, denn die Blaͤtter die er mir gab wurden immer bedeutender. Die ganze Anatomie des menſchlichen Koͤr¬ pers zeichnete ich durch, und ward nicht muͤde die ſchwierigen Haͤnde und Fuͤße immer zu wiederholen. So vergingen einige gluͤckliche Monate. Wir kamen indeß in den May und ich fing an zu kraͤnkeln; der Juny ruͤckte heran und ich war nicht mehr im Stande den Griffel zu fuͤhren, ſo zitterten meine Haͤnde. Wir nahmen unſere Zuflucht zu einem geſchickten Arzt. Er fand meinen Zuſtand gefaͤhrlich. Er erklaͤrte, daß in Folge des Feldzuges alle Hautausduͤnſtung unterdruͤckt ſey, daß eine verzehrende Glut ſich auf die inneren Theile geworfen, und daß, wenn ich mich noch vierzehn Tage ſo fortgeſchleppt haͤtte, ich unfehlbar ein Kind des Todes geweſen ſeyn wuͤrde. Er verordnete ſogleich warme Baͤder und aͤhnliche wirkſame Mittel um die Thaͤtigkeit der Haut wieder herzuſtellen; es zeigten ſich auch ſehr bald erfreuliche Spuren der Beſſe¬ rung, doch an Fortſetzung meiner kuͤnſtleriſchen Studien war nicht mehr zu denken. Ich hatte bisher bey meinem Freunde die liebevollſte Behandlung und Pflege genoſſen; daß ich ihm laͤſtig ſey, oder in der Folge laͤſtig werden koͤnnte, daran war ſeinerſeits kein Gedanke und nicht die leiſeſte Andeutung. Ich aber dachte daran, und wie dieſe ſchon laͤnger ge¬ hegte heimliche Sorge wahrſcheinlich dazu beygetragen

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/34>, abgerufen am 21.11.2024.