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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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finstert ist wie die Köpfe der übrigen alterthümelnden
Maler, so daß er die vollkommenen Meister ignorirt
und zu den unvollkommenen Vorgängern zurückgeht und
diese zum Muster nimmt."

"Raphael und seine Zeitgenossen waren aus einer
beschränkten Manier zur Natur und Freyheit durchge¬
brochen. Und statt daß jetzige Künstler Gott danken
und diese Avantagen benutzen und auf dem trefflichen
Wege fortgehen sollten, kehren sie wieder zur Beschränkt¬
heit zurück. Es ist zu arg und man kann diese Verfin¬
sterung der Köpfe kaum begreifen. Und weil sie nun auf
diesem Wege in der Kunst selbst keine Stütze haben, so
suchen sie solche in der Religion und Partey; denn ohne
beydes würden sie in ihrer Schwäche gar nicht bestehen
können."

"Es geht, fuhr Goethe fort, durch die ganze Kunst
eine Filiation. Sieht man einen großen Meister, so
findet man immer, daß er das Gute seiner Vorgänger
benutzte und daß eben dieses ihn groß machte. Männer
wie Raphael wachsen nicht aus dem Boden. Sie fu߬
ten auf der Antike und dem Besten was vor ihnen
gemacht worden. Hätten sie die Avantagen ihrer Zeit
nicht benutzt, so würde wenig von ihnen zu sagen
seyn."

Das Gespräch lenkte sich auf die altdeutsche Poesie;
ich erinnerte an Flemming. "Flemming, sagt Goethe,
ist ein recht hübsches Talent, ein wenig prosaisch, bür¬

finſtert iſt wie die Koͤpfe der uͤbrigen alterthuͤmelnden
Maler, ſo daß er die vollkommenen Meiſter ignorirt
und zu den unvollkommenen Vorgaͤngern zuruͤckgeht und
dieſe zum Muſter nimmt.“

„Raphael und ſeine Zeitgenoſſen waren aus einer
beſchraͤnkten Manier zur Natur und Freyheit durchge¬
brochen. Und ſtatt daß jetzige Kuͤnſtler Gott danken
und dieſe Avantagen benutzen und auf dem trefflichen
Wege fortgehen ſollten, kehren ſie wieder zur Beſchraͤnkt¬
heit zuruͤck. Es iſt zu arg und man kann dieſe Verfin¬
ſterung der Koͤpfe kaum begreifen. Und weil ſie nun auf
dieſem Wege in der Kunſt ſelbſt keine Stuͤtze haben, ſo
ſuchen ſie ſolche in der Religion und Partey; denn ohne
beydes wuͤrden ſie in ihrer Schwaͤche gar nicht beſtehen
koͤnnen.“

„Es geht, fuhr Goethe fort, durch die ganze Kunſt
eine Filiation. Sieht man einen großen Meiſter, ſo
findet man immer, daß er das Gute ſeiner Vorgaͤnger
benutzte und daß eben dieſes ihn groß machte. Maͤnner
wie Raphael wachſen nicht aus dem Boden. Sie fu߬
ten auf der Antike und dem Beſten was vor ihnen
gemacht worden. Haͤtten ſie die Avantagen ihrer Zeit
nicht benutzt, ſo wuͤrde wenig von ihnen zu ſagen
ſeyn.“

Das Geſpraͤch lenkte ſich auf die altdeutſche Poeſie;
ich erinnerte an Flemming. „Flemming, ſagt Goethe,
iſt ein recht huͤbſches Talent, ein wenig proſaiſch, buͤr¬

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[281/0301] finſtert iſt wie die Koͤpfe der uͤbrigen alterthuͤmelnden Maler, ſo daß er die vollkommenen Meiſter ignorirt und zu den unvollkommenen Vorgaͤngern zuruͤckgeht und dieſe zum Muſter nimmt.“ „Raphael und ſeine Zeitgenoſſen waren aus einer beſchraͤnkten Manier zur Natur und Freyheit durchge¬ brochen. Und ſtatt daß jetzige Kuͤnſtler Gott danken und dieſe Avantagen benutzen und auf dem trefflichen Wege fortgehen ſollten, kehren ſie wieder zur Beſchraͤnkt¬ heit zuruͤck. Es iſt zu arg und man kann dieſe Verfin¬ ſterung der Koͤpfe kaum begreifen. Und weil ſie nun auf dieſem Wege in der Kunſt ſelbſt keine Stuͤtze haben, ſo ſuchen ſie ſolche in der Religion und Partey; denn ohne beydes wuͤrden ſie in ihrer Schwaͤche gar nicht beſtehen koͤnnen.“ „Es geht, fuhr Goethe fort, durch die ganze Kunſt eine Filiation. Sieht man einen großen Meiſter, ſo findet man immer, daß er das Gute ſeiner Vorgaͤnger benutzte und daß eben dieſes ihn groß machte. Maͤnner wie Raphael wachſen nicht aus dem Boden. Sie fu߬ ten auf der Antike und dem Beſten was vor ihnen gemacht worden. Haͤtten ſie die Avantagen ihrer Zeit nicht benutzt, ſo wuͤrde wenig von ihnen zu ſagen ſeyn.“ Das Geſpraͤch lenkte ſich auf die altdeutſche Poeſie; ich erinnerte an Flemming. „Flemming, ſagt Goethe, iſt ein recht huͤbſches Talent, ein wenig proſaiſch, buͤr¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/301>, abgerufen am 24.11.2024.