Gegenstand in die Natur hinein, und befreit ihn von der Einschränkung der Mathematik."
Die Berliner Zeitungen wurden gebracht und Goethe setzte sich, sie zu lesen. Er reichte auch mir ein Blatt, und ich fand in den Theaternachrichten: daß man dort im Opernhause und Königlichen Theater eben so schlechte Stücke gebe als hier.
"Wie soll dieß auch anders seyn, sagte Goethe. Es ist freylich keine Frage, daß man nicht mit Hülfe der guten englischen, französischen und spanischen Stücke ein so gutes Repertoir zusammen bringen sollte, um jeden Abend ein gutes Stück geben zu können. Allein wo ist das Bedürfniß in der Nation, immer ein gutes Stück zu sehen? Die Zeit in welcher Aeschylus, So¬ phocles und Euripides schrieben, war freilich eine ganz andere: sie hatte den Geist hinter sich und wollte nur immer das wirklich Größte und Beste. Aber in un¬ serer schlechten Zeit, wo ist denn da das Bedürfniß für das Beste? Wo sind die Organe es aufzuneh¬ men?"
"Und dann, fuhr Goethe fort, man will etwas Neues! In Berlin wie in Paris, das Publicum ist überall dasselbe. Eine Unzahl neuer Stücke wird jede Woche in Paris geschrieben und auf die Theater ge¬ bracht, und man muß immer fünf bis sechs durchaus schlechte aushalten, ehe man durch ein gutes entschä¬ diget wird."
Gegenſtand in die Natur hinein, und befreit ihn von der Einſchraͤnkung der Mathematik.“
Die Berliner Zeitungen wurden gebracht und Goethe ſetzte ſich, ſie zu leſen. Er reichte auch mir ein Blatt, und ich fand in den Theaternachrichten: daß man dort im Opernhauſe und Koͤniglichen Theater eben ſo ſchlechte Stuͤcke gebe als hier.
„Wie ſoll dieß auch anders ſeyn, ſagte Goethe. Es iſt freylich keine Frage, daß man nicht mit Huͤlfe der guten engliſchen, franzoͤſiſchen und ſpaniſchen Stuͤcke ein ſo gutes Repertoir zuſammen bringen ſollte, um jeden Abend ein gutes Stuͤck geben zu koͤnnen. Allein wo iſt das Beduͤrfniß in der Nation, immer ein gutes Stuͤck zu ſehen? Die Zeit in welcher Aeſchylus, So¬ phocles und Euripides ſchrieben, war freilich eine ganz andere: ſie hatte den Geiſt hinter ſich und wollte nur immer das wirklich Groͤßte und Beſte. Aber in un¬ ſerer ſchlechten Zeit, wo iſt denn da das Beduͤrfniß fuͤr das Beſte? Wo ſind die Organe es aufzuneh¬ men?“
„Und dann, fuhr Goethe fort, man will etwas Neues! In Berlin wie in Paris, das Publicum iſt uͤberall daſſelbe. Eine Unzahl neuer Stuͤcke wird jede Woche in Paris geſchrieben und auf die Theater ge¬ bracht, und man muß immer fuͤnf bis ſechs durchaus ſchlechte aushalten, ehe man durch ein gutes entſchaͤ¬ diget wird.“
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Gegenſtand in die Natur hinein, und befreit ihn von
der Einſchraͤnkung der Mathematik.“
Die Berliner Zeitungen wurden gebracht und Goethe
ſetzte ſich, ſie zu leſen. Er reichte auch mir ein Blatt,
und ich fand in den Theaternachrichten: daß man dort
im Opernhauſe und Koͤniglichen Theater eben ſo ſchlechte
Stuͤcke gebe als hier.
„Wie ſoll dieß auch anders ſeyn, ſagte Goethe.
Es iſt freylich keine Frage, daß man nicht mit Huͤlfe
der guten engliſchen, franzoͤſiſchen und ſpaniſchen Stuͤcke
ein ſo gutes Repertoir zuſammen bringen ſollte, um
jeden Abend ein gutes Stuͤck geben zu koͤnnen. Allein
wo iſt das Beduͤrfniß in der Nation, immer ein gutes
Stuͤck zu ſehen? Die Zeit in welcher Aeſchylus, So¬
phocles und Euripides ſchrieben, war freilich eine ganz
andere: ſie hatte den Geiſt hinter ſich und wollte nur
immer das wirklich Groͤßte und Beſte. Aber in un¬
ſerer ſchlechten Zeit, wo iſt denn da das Beduͤrfniß
fuͤr das Beſte? Wo ſind die Organe es aufzuneh¬
men?“
„Und dann, fuhr Goethe fort, man will etwas
Neues! In Berlin wie in Paris, das Publicum iſt
uͤberall daſſelbe. Eine Unzahl neuer Stuͤcke wird jede
Woche in Paris geſchrieben und auf die Theater ge¬
bracht, und man muß immer fuͤnf bis ſechs durchaus
ſchlechte aushalten, ehe man durch ein gutes entſchaͤ¬
diget wird.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/288>, abgerufen am 27.11.2024.
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