von dem Sturmriemen am Halse gehalten, weit hinter ihm herfliegt. Er hat sein furchtsam fragendes Gesicht dem Mephistopheles zugewendet und lauscht auf dessen Worte. Dieser sitzt ruhig, unangefochten, wie ein höhe¬ res Wesen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬ nöthen, denn schon sein Wollen bewegt ihn in der ge¬ wünschtesten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er einmal reitend gedacht werden muß; und da genügte es ihm, ein bloß noch in der Haut zusammenhängendes Ge¬ rippe vom ersten besten Anger aufzuraffen. Es ist heller Farbe und scheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬ phoresciren. Es ist weder gezügelt noch gesattelt, es geht ohne das. Der überirdische Reiter sitzt leicht und nachlässig im Gespräch zu Faust gewendet; das entgegen¬ wirkende Element der Luft ist für ihn nicht da, er wie sein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar bewegt.
Wir hatten an dieser geistreichen Composition große Freude. "Da muß man doch gestehen, sagte Goethe, daß man es sich selbst nicht so vollkommen gedacht hat. Hier haben Sie ein anderes Blatt, was sagen Sie zu diesem! --"
Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller sah ich dargestellt, und zwar, als Quintessenz des Ganzen, den bedeutendsten Moment, wo der verschüttete Wein als Flamme auflodert und die Bestialität der Trinken¬
von dem Sturmriemen am Halſe gehalten, weit hinter ihm herfliegt. Er hat ſein furchtſam fragendes Geſicht dem Mephiſtopheles zugewendet und lauſcht auf deſſen Worte. Dieſer ſitzt ruhig, unangefochten, wie ein hoͤhe¬ res Weſen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬ noͤthen, denn ſchon ſein Wollen bewegt ihn in der ge¬ wuͤnſchteſten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er einmal reitend gedacht werden muß; und da genuͤgte es ihm, ein bloß noch in der Haut zuſammenhaͤngendes Ge¬ rippe vom erſten beſten Anger aufzuraffen. Es iſt heller Farbe und ſcheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬ phoresciren. Es iſt weder gezuͤgelt noch geſattelt, es geht ohne das. Der uͤberirdiſche Reiter ſitzt leicht und nachlaͤſſig im Geſpraͤch zu Fauſt gewendet; das entgegen¬ wirkende Element der Luft iſt fuͤr ihn nicht da, er wie ſein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar bewegt.
Wir hatten an dieſer geiſtreichen Compoſition große Freude. „Da muß man doch geſtehen, ſagte Goethe, daß man es ſich ſelbſt nicht ſo vollkommen gedacht hat. Hier haben Sie ein anderes Blatt, was ſagen Sie zu dieſem! —“
Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller ſah ich dargeſtellt, und zwar, als Quinteſſenz des Ganzen, den bedeutendſten Moment, wo der verſchuͤttete Wein als Flamme auflodert und die Beſtialitaͤt der Trinken¬
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von dem Sturmriemen am Halſe gehalten, weit hinter
ihm herfliegt. Er hat ſein furchtſam fragendes Geſicht
dem Mephiſtopheles zugewendet und lauſcht auf deſſen
Worte. Dieſer ſitzt ruhig, unangefochten, wie ein hoͤhe¬
res Weſen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er
liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬
noͤthen, denn ſchon ſein Wollen bewegt ihn in der ge¬
wuͤnſchteſten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er
einmal reitend gedacht werden muß; und da genuͤgte es
ihm, ein bloß noch in der Haut zuſammenhaͤngendes Ge¬
rippe vom erſten beſten Anger aufzuraffen. Es iſt heller
Farbe und ſcheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬
phoresciren. Es iſt weder gezuͤgelt noch geſattelt, es
geht ohne das. Der uͤberirdiſche Reiter ſitzt leicht und
nachlaͤſſig im Geſpraͤch zu Fauſt gewendet; das entgegen¬
wirkende Element der Luft iſt fuͤr ihn nicht da, er wie
ſein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar
bewegt.
Wir hatten an dieſer geiſtreichen Compoſition große
Freude. „Da muß man doch geſtehen, ſagte Goethe,
daß man es ſich ſelbſt nicht ſo vollkommen gedacht hat.
Hier haben Sie ein anderes Blatt, was ſagen Sie zu
dieſem! —“
Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller ſah
ich dargeſtellt, und zwar, als Quinteſſenz des Ganzen,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/278>, abgerufen am 23.11.2024.
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