Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

von dem Sturmriemen am Halse gehalten, weit hinter
ihm herfliegt. Er hat sein furchtsam fragendes Gesicht
dem Mephistopheles zugewendet und lauscht auf dessen
Worte. Dieser sitzt ruhig, unangefochten, wie ein höhe¬
res Wesen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er
liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬
nöthen, denn schon sein Wollen bewegt ihn in der ge¬
wünschtesten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er
einmal reitend gedacht werden muß; und da genügte es
ihm, ein bloß noch in der Haut zusammenhängendes Ge¬
rippe vom ersten besten Anger aufzuraffen. Es ist heller
Farbe und scheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬
phoresciren. Es ist weder gezügelt noch gesattelt, es
geht ohne das. Der überirdische Reiter sitzt leicht und
nachlässig im Gespräch zu Faust gewendet; das entgegen¬
wirkende Element der Luft ist für ihn nicht da, er wie
sein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar
bewegt.

Wir hatten an dieser geistreichen Composition große
Freude. "Da muß man doch gestehen, sagte Goethe,
daß man es sich selbst nicht so vollkommen gedacht hat.
Hier haben Sie ein anderes Blatt, was sagen Sie zu
diesem! --"

Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller sah
ich dargestellt, und zwar, als Quintessenz des Ganzen,
den bedeutendsten Moment, wo der verschüttete Wein
als Flamme auflodert und die Bestialität der Trinken¬

von dem Sturmriemen am Halſe gehalten, weit hinter
ihm herfliegt. Er hat ſein furchtſam fragendes Geſicht
dem Mephiſtopheles zugewendet und lauſcht auf deſſen
Worte. Dieſer ſitzt ruhig, unangefochten, wie ein hoͤhe¬
res Weſen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er
liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬
noͤthen, denn ſchon ſein Wollen bewegt ihn in der ge¬
wuͤnſchteſten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er
einmal reitend gedacht werden muß; und da genuͤgte es
ihm, ein bloß noch in der Haut zuſammenhaͤngendes Ge¬
rippe vom erſten beſten Anger aufzuraffen. Es iſt heller
Farbe und ſcheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬
phoresciren. Es iſt weder gezuͤgelt noch geſattelt, es
geht ohne das. Der uͤberirdiſche Reiter ſitzt leicht und
nachlaͤſſig im Geſpraͤch zu Fauſt gewendet; das entgegen¬
wirkende Element der Luft iſt fuͤr ihn nicht da, er wie
ſein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar
bewegt.

Wir hatten an dieſer geiſtreichen Compoſition große
Freude. „Da muß man doch geſtehen, ſagte Goethe,
daß man es ſich ſelbſt nicht ſo vollkommen gedacht hat.
Hier haben Sie ein anderes Blatt, was ſagen Sie zu
dieſem! —“

Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller ſah
ich dargeſtellt, und zwar, als Quinteſſenz des Ganzen,
den bedeutendſten Moment, wo der verſchuͤttete Wein
als Flamme auflodert und die Beſtialitaͤt der Trinken¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0278" n="258"/>
von dem Sturmriemen am Hal&#x017F;e gehalten, weit hinter<lb/>
ihm herfliegt. Er hat &#x017F;ein furcht&#x017F;am fragendes Ge&#x017F;icht<lb/>
dem Mephi&#x017F;topheles zugewendet und lau&#x017F;cht auf de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Worte. Die&#x017F;er &#x017F;itzt ruhig, unangefochten, wie ein ho&#x0364;he¬<lb/>
res We&#x017F;en. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er<lb/>
liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬<lb/>
no&#x0364;then, denn &#x017F;chon &#x017F;ein Wollen bewegt ihn in der ge¬<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte&#x017F;ten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er<lb/>
einmal reitend gedacht werden muß; und da genu&#x0364;gte es<lb/>
ihm, ein bloß noch in der Haut zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngendes Ge¬<lb/>
rippe vom er&#x017F;ten be&#x017F;ten Anger aufzuraffen. Es i&#x017F;t heller<lb/>
Farbe und &#x017F;cheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬<lb/>
phoresciren. Es i&#x017F;t weder gezu&#x0364;gelt noch ge&#x017F;attelt, es<lb/>
geht ohne das. Der u&#x0364;berirdi&#x017F;che Reiter &#x017F;itzt leicht und<lb/>
nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig im Ge&#x017F;pra&#x0364;ch zu Fau&#x017F;t gewendet; das entgegen¬<lb/>
wirkende Element der Luft i&#x017F;t fu&#x0364;r ihn nicht da, er wie<lb/>
&#x017F;ein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar<lb/>
bewegt.</p><lb/>
          <p>Wir hatten an die&#x017F;er gei&#x017F;treichen Compo&#x017F;ition große<lb/>
Freude. &#x201E;Da muß man doch ge&#x017F;tehen, &#x017F;agte Goethe,<lb/>
daß man es &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;o vollkommen gedacht hat.<lb/>
Hier haben Sie ein anderes Blatt, was &#x017F;agen Sie zu<lb/>
die&#x017F;em! &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller &#x017F;ah<lb/>
ich darge&#x017F;tellt, und zwar, als Quinte&#x017F;&#x017F;enz des Ganzen,<lb/>
den bedeutend&#x017F;ten Moment, wo der ver&#x017F;chu&#x0364;ttete Wein<lb/>
als Flamme auflodert und die Be&#x017F;tialita&#x0364;t der Trinken¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0278] von dem Sturmriemen am Halſe gehalten, weit hinter ihm herfliegt. Er hat ſein furchtſam fragendes Geſicht dem Mephiſtopheles zugewendet und lauſcht auf deſſen Worte. Dieſer ſitzt ruhig, unangefochten, wie ein hoͤhe¬ res Weſen. Er reitet kein lebendiges Pferd, denn er liebt nicht das Lebendige. Auch hat er es nicht von¬ noͤthen, denn ſchon ſein Wollen bewegt ihn in der ge¬ wuͤnſchteſten Schnelle. Er hat bloß ein Pferd, weil er einmal reitend gedacht werden muß; und da genuͤgte es ihm, ein bloß noch in der Haut zuſammenhaͤngendes Ge¬ rippe vom erſten beſten Anger aufzuraffen. Es iſt heller Farbe und ſcheint in der Dunkelheit der Nacht zu phos¬ phoresciren. Es iſt weder gezuͤgelt noch geſattelt, es geht ohne das. Der uͤberirdiſche Reiter ſitzt leicht und nachlaͤſſig im Geſpraͤch zu Fauſt gewendet; das entgegen¬ wirkende Element der Luft iſt fuͤr ihn nicht da, er wie ſein Pferd empfinden nichts, es wird ihnen kein Haar bewegt. Wir hatten an dieſer geiſtreichen Compoſition große Freude. „Da muß man doch geſtehen, ſagte Goethe, daß man es ſich ſelbſt nicht ſo vollkommen gedacht hat. Hier haben Sie ein anderes Blatt, was ſagen Sie zu dieſem! —“ Die wilde Trink-Scene in Auerbachs Keller ſah ich dargeſtellt, und zwar, als Quinteſſenz des Ganzen, den bedeutendſten Moment, wo der verſchuͤttete Wein als Flamme auflodert und die Beſtialitaͤt der Trinken¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/278
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/278>, abgerufen am 23.11.2024.