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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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"Nein, sagte Goethe, sie kommt aus der Gesellschaft
selbst. Und dann, was thun unsere jungen Mädchen
im Theater? sie gehören gar nicht hinein, sie gehören
ins Kloster und das Theater ist bloß für Männer und
Frauen, die mit menschlichen Dingen bekannt sind. Als
Moliere schrieb, waren die Mädchen im Kloster
und er hatte auf sie gar keine Rücksicht zu nehmen."

"Da wir nun aber unsere jungen Mädchen schwer¬
lich hinausbringen und man nicht aufhören wird Stücke zu
geben, die schwach und eben darum diesen recht sind, so
seyd klug, und macht es wie ich und geht nicht hinein."

"Ich habe am Theater nur so lange ein wahrhaftes
Interesse gehabt, als ich dabey practisch einwirken konnte.
Es war meine Freude, die Anstalt auf eine höhere
Stufe zu bringen und ich nahm bey den Vorstellungen
weniger Antheil an den Stücken, als daß ich darauf
sah, ob die Schauspieler ihre Sachen recht machten oder
nicht. Was ich zu tadeln hatte, schickte ich am andern
Morgen dem Regisseur auf einem Zettel, und ich konnte
gewiß seyn, bey der nächsten Vorstellung die Fehler
vermieden zu sehen. Nun aber, wo ich beim Theater
nicht mehr practisch einwirken kann, habe ich auch kei¬
nen Beruf mehr hineinzugehen. Ich müßte das Man¬
gelhafte geschehen lassen, ohne es verbessern zu können,
und das ist nicht meine Sache."

"Mit dem Lesen von Stücken geht es mir nicht
besser. Die jungen deutschen Dichter schicken mir im¬

„Nein, ſagte Goethe, ſie kommt aus der Geſellſchaft
ſelbſt. Und dann, was thun unſere jungen Maͤdchen
im Theater? ſie gehoͤren gar nicht hinein, ſie gehoͤren
ins Kloſter und das Theater iſt bloß fuͤr Maͤnner und
Frauen, die mit menſchlichen Dingen bekannt ſind. Als
Molière ſchrieb, waren die Maͤdchen im Kloſter
und er hatte auf ſie gar keine Ruͤckſicht zu nehmen.“

„Da wir nun aber unſere jungen Maͤdchen ſchwer¬
lich hinausbringen und man nicht aufhoͤren wird Stuͤcke zu
geben, die ſchwach und eben darum dieſen recht ſind, ſo
ſeyd klug, und macht es wie ich und geht nicht hinein.“

„Ich habe am Theater nur ſo lange ein wahrhaftes
Intereſſe gehabt, als ich dabey practiſch einwirken konnte.
Es war meine Freude, die Anſtalt auf eine hoͤhere
Stufe zu bringen und ich nahm bey den Vorſtellungen
weniger Antheil an den Stuͤcken, als daß ich darauf
ſah, ob die Schauſpieler ihre Sachen recht machten oder
nicht. Was ich zu tadeln hatte, ſchickte ich am andern
Morgen dem Regiſſeur auf einem Zettel, und ich konnte
gewiß ſeyn, bey der naͤchſten Vorſtellung die Fehler
vermieden zu ſehen. Nun aber, wo ich beim Theater
nicht mehr practiſch einwirken kann, habe ich auch kei¬
nen Beruf mehr hineinzugehen. Ich muͤßte das Man¬
gelhafte geſchehen laſſen, ohne es verbeſſern zu koͤnnen,
und das iſt nicht meine Sache.“

„Mit dem Leſen von Stuͤcken geht es mir nicht
beſſer. Die jungen deutſchen Dichter ſchicken mir im¬

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[242/0262] „Nein, ſagte Goethe, ſie kommt aus der Geſellſchaft ſelbſt. Und dann, was thun unſere jungen Maͤdchen im Theater? ſie gehoͤren gar nicht hinein, ſie gehoͤren ins Kloſter und das Theater iſt bloß fuͤr Maͤnner und Frauen, die mit menſchlichen Dingen bekannt ſind. Als Molière ſchrieb, waren die Maͤdchen im Kloſter und er hatte auf ſie gar keine Ruͤckſicht zu nehmen.“ „Da wir nun aber unſere jungen Maͤdchen ſchwer¬ lich hinausbringen und man nicht aufhoͤren wird Stuͤcke zu geben, die ſchwach und eben darum dieſen recht ſind, ſo ſeyd klug, und macht es wie ich und geht nicht hinein.“ „Ich habe am Theater nur ſo lange ein wahrhaftes Intereſſe gehabt, als ich dabey practiſch einwirken konnte. Es war meine Freude, die Anſtalt auf eine hoͤhere Stufe zu bringen und ich nahm bey den Vorſtellungen weniger Antheil an den Stuͤcken, als daß ich darauf ſah, ob die Schauſpieler ihre Sachen recht machten oder nicht. Was ich zu tadeln hatte, ſchickte ich am andern Morgen dem Regiſſeur auf einem Zettel, und ich konnte gewiß ſeyn, bey der naͤchſten Vorſtellung die Fehler vermieden zu ſehen. Nun aber, wo ich beim Theater nicht mehr practiſch einwirken kann, habe ich auch kei¬ nen Beruf mehr hineinzugehen. Ich muͤßte das Man¬ gelhafte geſchehen laſſen, ohne es verbeſſern zu koͤnnen, und das iſt nicht meine Sache.“ „Mit dem Leſen von Stuͤcken geht es mir nicht beſſer. Die jungen deutſchen Dichter ſchicken mir im¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/262>, abgerufen am 23.11.2024.