die Welt käme und er die poetischen und wissenschaft¬ lichen Bestrebungen seiner Nation bereits auf der Höhe vorfände, auf welche sie jetzt, und zwar größtentheils durch ihn, gebracht sind, er sodann sicher zu so mannig¬ faltigen Richtungen keine Veranlassung finden und sich gewiß auf ein einziges Fach beschränken würde.
So aber lag es nicht allein in seiner Natur, nach allen Seiten hin zu forschen und sich über die irdischen Dinge klar zu machen; sondern es lag auch im Be¬ dürfniß der Zeit, das Wahrgenommene auszusprechen.
Er that bey seinem Erscheinen zwey große Erb¬ schaften: der Irrthum und die Unzulänglichkeit fielen ihm zu daß er sie hinwegräume, und verlangten seine lebenslänglichen Bemühungen nach vielen Seiten.
Wäre die Newtonische Theorie Goethen nicht als ein großer dem menschlichen Geiste höchst schädlicher Irrthum erschienen, glaubt man denn, daß es ihm je eingefallen seyn würde, eine Farbenlehre zu schreiben und vieljährige Bemühungen einer solchen Nebenrichtung zu widmen? Keineswegs! Sondern sein Wahrheitsgefühl im Conflict mit dem Irrthum war es, das ihn bewog, sein reines Licht auch in diese Dunkelheiten leuchten zu lassen.
Ein Gleiches ist von seiner Metamorphosenlehre zu sagen, worin wir ihm jetzt ein Muster wissenschaftlicher Behandlung verdanken; welches Werk zu schreiben Goe¬ then aber gewiß nie eingefallen seyn würde, wenn er
die Welt kaͤme und er die poetiſchen und wiſſenſchaft¬ lichen Beſtrebungen ſeiner Nation bereits auf der Hoͤhe vorfaͤnde, auf welche ſie jetzt, und zwar groͤßtentheils durch ihn, gebracht ſind, er ſodann ſicher zu ſo mannig¬ faltigen Richtungen keine Veranlaſſung finden und ſich gewiß auf ein einziges Fach beſchraͤnken wuͤrde.
So aber lag es nicht allein in ſeiner Natur, nach allen Seiten hin zu forſchen und ſich uͤber die irdiſchen Dinge klar zu machen; ſondern es lag auch im Be¬ duͤrfniß der Zeit, das Wahrgenommene auszuſprechen.
Er that bey ſeinem Erſcheinen zwey große Erb¬ ſchaften: der Irrthum und die Unzulaͤnglichkeit fielen ihm zu daß er ſie hinwegraͤume, und verlangten ſeine lebenslaͤnglichen Bemuͤhungen nach vielen Seiten.
Waͤre die Newtoniſche Theorie Goethen nicht als ein großer dem menſchlichen Geiſte hoͤchſt ſchaͤdlicher Irrthum erſchienen, glaubt man denn, daß es ihm je eingefallen ſeyn wuͤrde, eine Farbenlehre zu ſchreiben und vieljaͤhrige Bemuͤhungen einer ſolchen Nebenrichtung zu widmen? Keineswegs! Sondern ſein Wahrheitsgefuͤhl im Conflict mit dem Irrthum war es, das ihn bewog, ſein reines Licht auch in dieſe Dunkelheiten leuchten zu laſſen.
Ein Gleiches iſt von ſeiner Metamorphoſenlehre zu ſagen, worin wir ihm jetzt ein Muſter wiſſenſchaftlicher Behandlung verdanken; welches Werk zu ſchreiben Goe¬ then aber gewiß nie eingefallen ſeyn wuͤrde, wenn er
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die Welt kaͤme und er die poetiſchen und wiſſenſchaft¬
lichen Beſtrebungen ſeiner Nation bereits auf der Hoͤhe
vorfaͤnde, auf welche ſie jetzt, und zwar groͤßtentheils
durch ihn, gebracht ſind, er ſodann ſicher zu ſo mannig¬
faltigen Richtungen keine Veranlaſſung finden und ſich
gewiß auf ein einziges Fach beſchraͤnken wuͤrde.
So aber lag es nicht allein in ſeiner Natur, nach
allen Seiten hin zu forſchen und ſich uͤber die irdiſchen
Dinge klar zu machen; ſondern es lag auch im Be¬
duͤrfniß der Zeit, das Wahrgenommene auszuſprechen.
Er that bey ſeinem Erſcheinen zwey große Erb¬
ſchaften: der Irrthum und die Unzulaͤnglichkeit
fielen ihm zu daß er ſie hinwegraͤume, und verlangten
ſeine lebenslaͤnglichen Bemuͤhungen nach vielen Seiten.
Waͤre die Newtoniſche Theorie Goethen nicht als
ein großer dem menſchlichen Geiſte hoͤchſt ſchaͤdlicher
Irrthum erſchienen, glaubt man denn, daß es ihm je
eingefallen ſeyn wuͤrde, eine Farbenlehre zu ſchreiben und
vieljaͤhrige Bemuͤhungen einer ſolchen Nebenrichtung zu
widmen? Keineswegs! Sondern ſein Wahrheitsgefuͤhl
im Conflict mit dem Irrthum war es, das ihn bewog,
ſein reines Licht auch in dieſe Dunkelheiten leuchten zu
laſſen.
Ein Gleiches iſt von ſeiner Metamorphoſenlehre zu
ſagen, worin wir ihm jetzt ein Muſter wiſſenſchaftlicher
Behandlung verdanken; welches Werk zu ſchreiben Goe¬
then aber gewiß nie eingefallen ſeyn wuͤrde, wenn er
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/236>, abgerufen am 22.11.2024.
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