von den Alten haben! So giebt es unter andern beym Shakspeare eine Situation, wo man beym Anblick eines schönen Mädchens die Eltern glücklich preiset, die sie Tochter nennen, und den Jüngling glücklich, der sie als Braut heimführen wird. Und weil nun beym Homer dasselbige vorkommt, so soll es der Sheakspeare auch vom Homer haben! -- Wie wunderlich! Als ob man nach solchen Dingen so weit zu gehen brauchte, und als ob man dergleichen nicht täglich vor Augen hätte und empfände und ausspräche!
"Ach ja, sagte Goethe, das ist höchst lächerlich!"
So auch, fuhr ich fort, zeigt selbst Lord Byron sich nicht klüger, wenn er Ihren Faust zerstückelt und der Meinung ist, als hätten Sie dieses hier her und jenes dort.
"Ich habe, sagte Goethe, alle jene von Lord Byron angeführten Herrlichkeiten größtentheils nicht einmal ge¬ lesen, viel weniger habe ich daran gedacht, als ich den Faust machte. Aber Lord Byron ist nur groß wenn er dichtet, sobald er reflectirt, ist er ein Kind. So weiß er sich auch gegen dergleichen ihn selbst betref¬ fende unverständige Angriffe seiner eigenen Nation nicht zu helfen; er hätte sich stärker dagegen ausdrücken sol¬ len. Was da ist, das ist mein! hätte er sagen sollen, und ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche genommen, das ist gleichviel, es kam bloß darauf an, daß ich es recht gebrauchte! Walter Scott benutzte eine
von den Alten haben! So giebt es unter andern beym Shakſpeare eine Situation, wo man beym Anblick eines ſchoͤnen Maͤdchens die Eltern gluͤcklich preiſet, die ſie Tochter nennen, und den Juͤngling gluͤcklich, der ſie als Braut heimfuͤhren wird. Und weil nun beym Homer daſſelbige vorkommt, ſo ſoll es der Sheakſpeare auch vom Homer haben! — Wie wunderlich! Als ob man nach ſolchen Dingen ſo weit zu gehen brauchte, und als ob man dergleichen nicht taͤglich vor Augen haͤtte und empfaͤnde und ausſpraͤche!
„Ach ja, ſagte Goethe, das iſt hoͤchſt laͤcherlich!“
So auch, fuhr ich fort, zeigt ſelbſt Lord Byron ſich nicht kluͤger, wenn er Ihren Fauſt zerſtuͤckelt und der Meinung iſt, als haͤtten Sie dieſes hier her und jenes dort.
„Ich habe, ſagte Goethe, alle jene von Lord Byron angefuͤhrten Herrlichkeiten groͤßtentheils nicht einmal ge¬ leſen, viel weniger habe ich daran gedacht, als ich den Fauſt machte. Aber Lord Byron iſt nur groß wenn er dichtet, ſobald er reflectirt, iſt er ein Kind. So weiß er ſich auch gegen dergleichen ihn ſelbſt betref¬ fende unverſtaͤndige Angriffe ſeiner eigenen Nation nicht zu helfen; er haͤtte ſich ſtaͤrker dagegen ausdruͤcken ſol¬ len. Was da iſt, das iſt mein! haͤtte er ſagen ſollen, und ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche genommen, das iſt gleichviel, es kam bloß darauf an, daß ich es recht gebrauchte! Walter Scott benutzte eine
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von den Alten haben! So giebt es unter andern beym
Shakſpeare eine Situation, wo man beym Anblick eines
ſchoͤnen Maͤdchens die Eltern gluͤcklich preiſet, die ſie
Tochter nennen, und den Juͤngling gluͤcklich, der ſie als
Braut heimfuͤhren wird. Und weil nun beym Homer
daſſelbige vorkommt, ſo ſoll es der Sheakſpeare auch
vom Homer haben! — Wie wunderlich! Als ob man
nach ſolchen Dingen ſo weit zu gehen brauchte, und
als ob man dergleichen nicht taͤglich vor Augen haͤtte
und empfaͤnde und ausſpraͤche!
„Ach ja, ſagte Goethe, das iſt hoͤchſt laͤcherlich!“
So auch, fuhr ich fort, zeigt ſelbſt Lord Byron
ſich nicht kluͤger, wenn er Ihren Fauſt zerſtuͤckelt und
der Meinung iſt, als haͤtten Sie dieſes hier her und
jenes dort.
„Ich habe, ſagte Goethe, alle jene von Lord Byron
angefuͤhrten Herrlichkeiten groͤßtentheils nicht einmal ge¬
leſen, viel weniger habe ich daran gedacht, als ich den
Fauſt machte. Aber Lord Byron iſt nur groß wenn
er dichtet, ſobald er reflectirt, iſt er ein Kind. So
weiß er ſich auch gegen dergleichen ihn ſelbſt betref¬
fende unverſtaͤndige Angriffe ſeiner eigenen Nation nicht
zu helfen; er haͤtte ſich ſtaͤrker dagegen ausdruͤcken ſol¬
len. Was da iſt, das iſt mein! haͤtte er ſagen ſollen,
und ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche
genommen, das iſt gleichviel, es kam bloß darauf an,
daß ich es recht gebrauchte! Walter Scott benutzte eine
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/211>, abgerufen am 16.02.2025.
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