Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

was es für ein Bild giebt, wenn die beyden Mädchen
mit einander laufen und die Beine werfen und den
Staub mit ihren Füßen erregen, so muß man wohl
annehmen, der gute Klopstock habe nicht lebendig vor
Augen gehabt, und sich nicht sinnlich ausgebildet, was
er machte, denn sonst hätte er sich unmöglich so ver¬
greifen können."

Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬
stock gestanden und wie er ihn in jener Zeit angesehen.

"Ich verehrte ihn, sagte Goethe, mit der Pietät,
die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim.
Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es
fiel mir nicht ein, darüber denken und daran etwas
aussetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf
mich wirken und ging übrigens meinen eigenen Weg."

Wir kamen auf Herder zurück und ich fragte Goethe,
was er für das Beste seiner Werke halte. "Seine
Ideen zur Geschichte der Menschheit, antwortete Goethe,
sind unstreitig das vorzüglichste. Später warf er sich
auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich."

Bey der großen Bedeutung Herders, versetzte ich,
kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewissen
Dingen so wenig Urtheil zu haben schien. Ich kann
ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬
maligen Stande der deutschen Literatur, das Manuscript
des Götz von Berlichingen, ohne Würdigung seines
Guten, mit spöttelnden Anmerkungen zurücksandte. Es

was es fuͤr ein Bild giebt, wenn die beyden Maͤdchen
mit einander laufen und die Beine werfen und den
Staub mit ihren Fuͤßen erregen, ſo muß man wohl
annehmen, der gute Klopſtock habe nicht lebendig vor
Augen gehabt, und ſich nicht ſinnlich ausgebildet, was
er machte, denn ſonſt haͤtte er ſich unmoͤglich ſo ver¬
greifen koͤnnen.“

Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬
ſtock geſtanden und wie er ihn in jener Zeit angeſehen.

„Ich verehrte ihn, ſagte Goethe, mit der Pietaͤt,
die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim.
Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es
fiel mir nicht ein, daruͤber denken und daran etwas
ausſetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf
mich wirken und ging uͤbrigens meinen eigenen Weg.“

Wir kamen auf Herder zuruͤck und ich fragte Goethe,
was er fuͤr das Beſte ſeiner Werke halte. „Seine
Ideen zur Geſchichte der Menſchheit, antwortete Goethe,
ſind unſtreitig das vorzuͤglichſte. Spaͤter warf er ſich
auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich.“

Bey der großen Bedeutung Herders, verſetzte ich,
kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewiſſen
Dingen ſo wenig Urtheil zu haben ſchien. Ich kann
ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬
maligen Stande der deutſchen Literatur, das Manuſcript
des Goͤtz von Berlichingen, ohne Wuͤrdigung ſeines
Guten, mit ſpoͤttelnden Anmerkungen zuruͤckſandte. Es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="166"/>
was es fu&#x0364;r ein Bild giebt, wenn die beyden Ma&#x0364;dchen<lb/>
mit einander laufen und die Beine werfen und den<lb/>
Staub mit ihren Fu&#x0364;ßen erregen, &#x017F;o muß man wohl<lb/>
annehmen, der gute Klop&#x017F;tock habe nicht lebendig vor<lb/>
Augen gehabt, und &#x017F;ich nicht &#x017F;innlich ausgebildet, was<lb/>
er machte, denn &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tte er &#x017F;ich unmo&#x0364;glich &#x017F;o ver¬<lb/>
greifen ko&#x0364;nnen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬<lb/>
&#x017F;tock ge&#x017F;tanden und wie er ihn in jener Zeit ange&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich verehrte ihn, &#x017F;agte Goethe, mit der Pieta&#x0364;t,<lb/>
die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim.<lb/>
Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es<lb/>
fiel mir nicht ein, daru&#x0364;ber denken und daran etwas<lb/>
aus&#x017F;etzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf<lb/>
mich wirken und ging u&#x0364;brigens meinen eigenen Weg.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir kamen auf Herder zuru&#x0364;ck und ich fragte Goethe,<lb/>
was er fu&#x0364;r das Be&#x017F;te &#x017F;einer Werke halte. &#x201E;Seine<lb/>
Ideen zur Ge&#x017F;chichte der Men&#x017F;chheit, antwortete Goethe,<lb/>
&#x017F;ind un&#x017F;treitig das vorzu&#x0364;glich&#x017F;te. Spa&#x0364;ter warf er &#x017F;ich<lb/>
auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Bey der großen Bedeutung Herders, ver&#x017F;etzte ich,<lb/>
kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Dingen &#x017F;o wenig Urtheil zu haben &#x017F;chien. Ich kann<lb/>
ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬<lb/>
maligen Stande der deut&#x017F;chen Literatur, das Manu&#x017F;cript<lb/>
des Go&#x0364;tz von Berlichingen, ohne Wu&#x0364;rdigung &#x017F;eines<lb/>
Guten, mit &#x017F;po&#x0364;ttelnden Anmerkungen zuru&#x0364;ck&#x017F;andte. Es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0186] was es fuͤr ein Bild giebt, wenn die beyden Maͤdchen mit einander laufen und die Beine werfen und den Staub mit ihren Fuͤßen erregen, ſo muß man wohl annehmen, der gute Klopſtock habe nicht lebendig vor Augen gehabt, und ſich nicht ſinnlich ausgebildet, was er machte, denn ſonſt haͤtte er ſich unmoͤglich ſo ver¬ greifen koͤnnen.“ Ich fragte Goethe, wie er in der Jugend zu Klop¬ ſtock geſtanden und wie er ihn in jener Zeit angeſehen. „Ich verehrte ihn, ſagte Goethe, mit der Pietaͤt, die mir eigen war; ich betrachtete ihn wie meinen Oheim. Ich hatte Ehrfurcht vor dem was er machte, und es fiel mir nicht ein, daruͤber denken und daran etwas ausſetzen zu wollen. Sein Vortreffliches ließ ich auf mich wirken und ging uͤbrigens meinen eigenen Weg.“ Wir kamen auf Herder zuruͤck und ich fragte Goethe, was er fuͤr das Beſte ſeiner Werke halte. „Seine Ideen zur Geſchichte der Menſchheit, antwortete Goethe, ſind unſtreitig das vorzuͤglichſte. Spaͤter warf er ſich auf die negative Seite und da war er nicht erfreulich.“ Bey der großen Bedeutung Herders, verſetzte ich, kann ich nicht mit ihm vereinigen, wie er in gewiſſen Dingen ſo wenig Urtheil zu haben ſchien. Ich kann ihm z. B. nicht vergeben, daß er, zumal bey dem da¬ maligen Stande der deutſchen Literatur, das Manuſcript des Goͤtz von Berlichingen, ohne Wuͤrdigung ſeines Guten, mit ſpoͤttelnden Anmerkungen zuruͤckſandte. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/186
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/186>, abgerufen am 23.11.2024.