Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Wasserbejahung. Ferner: daß jeder Ort seine eigene
Atmosphäre habe, daß jedoch in den Barometerständen
von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die
Natur sey incommensurabel, und bey den großen Irre¬
gularitäten sey es sehr schwer das Gesetzliche zu finden.

Während er mich so über höhere Dinge belehrte,
gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf
und ab. Wir traten in die Nähe des Hauses, das er
seinem Diener aufzuschließen befahl, um mir später das
Innere zu zeigen. Die weißabgetünchten Außenseiten
sah ich ganz mit Rosenstöcken umgeben, die, von Spa¬
lieren gehalten, sich bis zum Dach hinaufgerankt hatten.
Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem
besonderen Interesse an den Wänden in den Zweigen
des Rosengebüsches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬
nester, die sich von vorigem Sommer her erhalten hat¬
ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey
standen. Besonders Nester der Hänflinge und verschie¬
dener Art Grasemücken, wie sie höher oder niedriger
zu bauen Neigung haben.

Goethe führte mich darauf in das Innere des Hau¬
ses, das ich vorigen Sommer zu sehen versäumt hatte.
Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an dessen
Wänden einige Karten und Kupferstiche hingen; de߬
gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgröße
und zwar von Meyer gemalt bald nach der Zurück¬
kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe erscheint hier

Waſſerbejahung. Ferner: daß jeder Ort ſeine eigene
Atmoſphaͤre habe, daß jedoch in den Barometerſtaͤnden
von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die
Natur ſey incommenſurabel, und bey den großen Irre¬
gularitaͤten ſey es ſehr ſchwer das Geſetzliche zu finden.

Waͤhrend er mich ſo uͤber hoͤhere Dinge belehrte,
gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf
und ab. Wir traten in die Naͤhe des Hauſes, das er
ſeinem Diener aufzuſchließen befahl, um mir ſpaͤter das
Innere zu zeigen. Die weißabgetuͤnchten Außenſeiten
ſah ich ganz mit Roſenſtoͤcken umgeben, die, von Spa¬
lieren gehalten, ſich bis zum Dach hinaufgerankt hatten.
Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem
beſonderen Intereſſe an den Waͤnden in den Zweigen
des Roſengebuͤſches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬
neſter, die ſich von vorigem Sommer her erhalten hat¬
ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey
ſtanden. Beſonders Neſter der Haͤnflinge und verſchie¬
dener Art Graſemuͤcken, wie ſie hoͤher oder niedriger
zu bauen Neigung haben.

Goethe fuͤhrte mich darauf in das Innere des Hau¬
ſes, das ich vorigen Sommer zu ſehen verſaͤumt hatte.
Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an deſſen
Waͤnden einige Karten und Kupferſtiche hingen; de߬
gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgroͤße
und zwar von Meyer gemalt bald nach der Zuruͤck¬
kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe erſcheint hier

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0156" n="136"/>
Wa&#x017F;&#x017F;erbejahung. Ferner: daß jeder Ort &#x017F;eine eigene<lb/>
Atmo&#x017F;pha&#x0364;re habe, daß jedoch in den Barometer&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die<lb/>
Natur &#x017F;ey incommen&#x017F;urabel, und bey den großen Irre¬<lb/>
gularita&#x0364;ten &#x017F;ey es &#x017F;ehr &#x017F;chwer das Ge&#x017F;etzliche zu finden.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;hrend er mich &#x017F;o u&#x0364;ber ho&#x0364;here Dinge belehrte,<lb/>
gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf<lb/>
und ab. Wir traten in die Na&#x0364;he des Hau&#x017F;es, das er<lb/>
&#x017F;einem Diener aufzu&#x017F;chließen befahl, um mir &#x017F;pa&#x0364;ter das<lb/>
Innere zu zeigen. Die weißabgetu&#x0364;nchten Außen&#x017F;eiten<lb/>
&#x017F;ah ich ganz mit Ro&#x017F;en&#x017F;to&#x0364;cken umgeben, die, von Spa¬<lb/>
lieren gehalten, &#x017F;ich bis zum Dach hinaufgerankt hatten.<lb/>
Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem<lb/>
be&#x017F;onderen Intere&#x017F;&#x017F;e an den Wa&#x0364;nden in den Zweigen<lb/>
des Ro&#x017F;engebu&#x0364;&#x017F;ches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬<lb/>
ne&#x017F;ter, die &#x017F;ich von vorigem Sommer her erhalten hat¬<lb/>
ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey<lb/>
&#x017F;tanden. Be&#x017F;onders Ne&#x017F;ter der Ha&#x0364;nflinge und ver&#x017F;chie¬<lb/>
dener Art Gra&#x017F;emu&#x0364;cken, wie &#x017F;ie ho&#x0364;her oder niedriger<lb/>
zu bauen Neigung haben.</p><lb/>
          <p>Goethe fu&#x0364;hrte mich darauf in das Innere des Hau¬<lb/>
&#x017F;es, das ich vorigen Sommer zu &#x017F;ehen ver&#x017F;a&#x0364;umt hatte.<lb/>
Unten fand ich nur <hi rendition="#g">ein</hi> wohnbares Zimmer, an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Wa&#x0364;nden einige Karten und Kupfer&#x017F;tiche hingen; de߬<lb/>
gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgro&#x0364;ße<lb/>
und zwar von <hi rendition="#g">Meyer</hi> gemalt bald nach der Zuru&#x0364;ck¬<lb/>
kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe er&#x017F;cheint hier<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0156] Waſſerbejahung. Ferner: daß jeder Ort ſeine eigene Atmoſphaͤre habe, daß jedoch in den Barometerſtaͤnden von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die Natur ſey incommenſurabel, und bey den großen Irre¬ gularitaͤten ſey es ſehr ſchwer das Geſetzliche zu finden. Waͤhrend er mich ſo uͤber hoͤhere Dinge belehrte, gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf und ab. Wir traten in die Naͤhe des Hauſes, das er ſeinem Diener aufzuſchließen befahl, um mir ſpaͤter das Innere zu zeigen. Die weißabgetuͤnchten Außenſeiten ſah ich ganz mit Roſenſtoͤcken umgeben, die, von Spa¬ lieren gehalten, ſich bis zum Dach hinaufgerankt hatten. Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem beſonderen Intereſſe an den Waͤnden in den Zweigen des Roſengebuͤſches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬ neſter, die ſich von vorigem Sommer her erhalten hat¬ ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey ſtanden. Beſonders Neſter der Haͤnflinge und verſchie¬ dener Art Graſemuͤcken, wie ſie hoͤher oder niedriger zu bauen Neigung haben. Goethe fuͤhrte mich darauf in das Innere des Hau¬ ſes, das ich vorigen Sommer zu ſehen verſaͤumt hatte. Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an deſſen Waͤnden einige Karten und Kupferſtiche hingen; de߬ gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgroͤße und zwar von Meyer gemalt bald nach der Zuruͤck¬ kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe erſcheint hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/156
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/156>, abgerufen am 17.05.2024.