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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Fläche goldne Boote schwammen, in denen liebliche, schnee-
weiß gekleidete Knaben und Mädchen, süße Lieder singend,
fuhren. Kein Schiffer lenkte die Nachen, und dennoch
durchkreuzten dieselben in zierlichen Wendungen, wie von
Zauberhand geleitet, die glatten Wogen. Jn Mitten dieser
Kähne schwamm ein herrliches, großes Schiff, dessen Bord
von Edelsteinen erglänzte. Ein schöner Knabe schien der
einzige Leiter desselben zu sein; aber wunderbar, das
Steuer, welches er regierte, bestand nur aus einer weißen
Lotosblume, deren zarte Blätter die Fluten kaum be-
rührten. Jn der Mitte des Fahrzeugs ruhte auf seidnen
Kissen ein wunderholdes, mit königlicher Pracht gekleidetes
Weib. An ihrer Seite saß ein übermenschlich großer
Mann, der eine mit Epheu umrankte hohe Krone auf den
wallenden Locken, ein Pantherfell über den Schultern und
einen gekrümmten Stab in der Rechten führte. Jm Hin-
tertheile des Schiffes stand, unter einem von Rosen, Epheu
und Lotosblumen gebildeten Dach' eine schneeweiße Kuh 124)
mit goldenen Hörnern, über deren Rücken sich eine pur-
purne Decke breitete. Der Mann war Osiris, das Weib
Jsis, der Knabe am Steuer Horus, der Sohn des Götter-
paares, die Kuh das heilige Thier der unsterblichen Frau 125).
All' die kleinen Boote fuhren an dem großen Schiffe vor-
über, und Jubellieder erklangen, sobald sich die Nachen den
Himmlischen näherten, welche Blumen und Früchte auf die
holden Sänger und Sängerinnen warfen. Plötzlich ließ
sich ein Donner vernehmen, dessen Grollen immer lauter
erschallte und zu herzerschreckendem Krachen wurde, als
ein furchtbar anzuschauender, mit der Haut eines
Ebers bekleideter Mann, dessen rothes Haar in strup-
pigem Gewirr ein scheußliches Angesicht umgab, aus
der Nacht des Haines hervortrat und sich, in den See

Fläche goldne Boote ſchwammen, in denen liebliche, ſchnee-
weiß gekleidete Knaben und Mädchen, ſüße Lieder ſingend,
fuhren. Kein Schiffer lenkte die Nachen, und dennoch
durchkreuzten dieſelben in zierlichen Wendungen, wie von
Zauberhand geleitet, die glatten Wogen. Jn Mitten dieſer
Kähne ſchwamm ein herrliches, großes Schiff, deſſen Bord
von Edelſteinen erglänzte. Ein ſchöner Knabe ſchien der
einzige Leiter deſſelben zu ſein; aber wunderbar, das
Steuer, welches er regierte, beſtand nur aus einer weißen
Lotosblume, deren zarte Blätter die Fluten kaum be-
rührten. Jn der Mitte des Fahrzeugs ruhte auf ſeidnen
Kiſſen ein wunderholdes, mit königlicher Pracht gekleidetes
Weib. An ihrer Seite ſaß ein übermenſchlich großer
Mann, der eine mit Epheu umrankte hohe Krone auf den
wallenden Locken, ein Pantherfell über den Schultern und
einen gekrümmten Stab in der Rechten führte. Jm Hin-
tertheile des Schiffes ſtand, unter einem von Roſen, Epheu
und Lotosblumen gebildeten Dach’ eine ſchneeweiße Kuh 124)
mit goldenen Hörnern, über deren Rücken ſich eine pur-
purne Decke breitete. Der Mann war Oſiris, das Weib
Jſis, der Knabe am Steuer Horus, der Sohn des Götter-
paares, die Kuh das heilige Thier der unſterblichen Frau 125).
All’ die kleinen Boote fuhren an dem großen Schiffe vor-
über, und Jubellieder erklangen, ſobald ſich die Nachen den
Himmliſchen näherten, welche Blumen und Früchte auf die
holden Sänger und Sängerinnen warfen. Plötzlich ließ
ſich ein Donner vernehmen, deſſen Grollen immer lauter
erſchallte und zu herzerſchreckendem Krachen wurde, als
ein furchtbar anzuſchauender, mit der Haut eines
Ebers bekleideter Mann, deſſen rothes Haar in ſtrup-
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[184/0194] Fläche goldne Boote ſchwammen, in denen liebliche, ſchnee- weiß gekleidete Knaben und Mädchen, ſüße Lieder ſingend, fuhren. Kein Schiffer lenkte die Nachen, und dennoch durchkreuzten dieſelben in zierlichen Wendungen, wie von Zauberhand geleitet, die glatten Wogen. Jn Mitten dieſer Kähne ſchwamm ein herrliches, großes Schiff, deſſen Bord von Edelſteinen erglänzte. Ein ſchöner Knabe ſchien der einzige Leiter deſſelben zu ſein; aber wunderbar, das Steuer, welches er regierte, beſtand nur aus einer weißen Lotosblume, deren zarte Blätter die Fluten kaum be- rührten. Jn der Mitte des Fahrzeugs ruhte auf ſeidnen Kiſſen ein wunderholdes, mit königlicher Pracht gekleidetes Weib. An ihrer Seite ſaß ein übermenſchlich großer Mann, der eine mit Epheu umrankte hohe Krone auf den wallenden Locken, ein Pantherfell über den Schultern und einen gekrümmten Stab in der Rechten führte. Jm Hin- tertheile des Schiffes ſtand, unter einem von Roſen, Epheu und Lotosblumen gebildeten Dach’ eine ſchneeweiße Kuh 124) mit goldenen Hörnern, über deren Rücken ſich eine pur- purne Decke breitete. Der Mann war Oſiris, das Weib Jſis, der Knabe am Steuer Horus, der Sohn des Götter- paares, die Kuh das heilige Thier der unſterblichen Frau 125). All’ die kleinen Boote fuhren an dem großen Schiffe vor- über, und Jubellieder erklangen, ſobald ſich die Nachen den Himmliſchen näherten, welche Blumen und Früchte auf die holden Sänger und Sängerinnen warfen. Plötzlich ließ ſich ein Donner vernehmen, deſſen Grollen immer lauter erſchallte und zu herzerſchreckendem Krachen wurde, als ein furchtbar anzuſchauender, mit der Haut eines Ebers bekleideter Mann, deſſen rothes Haar in ſtrup- pigem Gewirr ein ſcheußliches Angeſicht umgab, aus der Nacht des Haines hervortrat und ſich, in den See

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/194>, abgerufen am 10.05.2024.