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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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bei Babylon versammelten Truppen mit eben so großer
Strenge, als Umsicht.

Nach dem Neujahrsfeste *) sollte die Reichsarmee auf-
brechen. Kambyses ließ dasselbe mit ungeheurem Aufwande
begehen und begab sich nach Beendigung der Feierlichkeit
zum Heere, bei dem er seinen vor Glückseligkeit strahlen-
den Bruder traf, welcher ihm, sein Gewand küssend, trium-
phirend erzählte, daß er hoffen dürfe, Vater zu werden.
Der König erbebte bei dieser Kunde, erwiederte dem be-
glückten Bruder kein einziges Wort, berauschte sich am
Abende bis zur Bewußtlosigkeit und rief am folgenden
Morgen die Mobeds, Magier und Chaldäer zusammen,
um denselben eine Frage vorzulegen.

"Jhr wißt," so begann er, "daß ihr, meine Träume
deutend, behauptet habt, Atossa würde einen künftigen
König dieses Reiches gebären. Werde ich gegen die Götter
sündigen, wenn ich meine Schwester zum Weibe nehme und
wahr mache, was mir mein Traum verhieß?" --

Die Magier beriethen sich kurze Zeit; dann warf sich
Oropastes, der Oberpriester, vor dem Könige nieder und
sprach:

"Wir glauben nicht, daß Du durch diese Heirat sün-
digen würdest; -- denn erstens ist es Sitte, daß die Perser
ihre Verwandten heimführen 93); -- zweitens steht es
zwar nicht im Gesetze, daß der Reine seine Schwester ehe-
lichen darf; -- wohl aber, daß der König thun kann,
was ihm beliebt 94). Handle, wie Du wünschest, und Du
wirst stets das Rechte vollbracht haben!"

Kambyses entließ die Magier mit reichen Geschenken,
übergab Oropastes alle Vollmachten als Statthalter des

*) Jn unserem März.

bei Babylon verſammelten Truppen mit eben ſo großer
Strenge, als Umſicht.

Nach dem Neujahrsfeſte *) ſollte die Reichsarmee auf-
brechen. Kambyſes ließ daſſelbe mit ungeheurem Aufwande
begehen und begab ſich nach Beendigung der Feierlichkeit
zum Heere, bei dem er ſeinen vor Glückſeligkeit ſtrahlen-
den Bruder traf, welcher ihm, ſein Gewand küſſend, trium-
phirend erzählte, daß er hoffen dürfe, Vater zu werden.
Der König erbebte bei dieſer Kunde, erwiederte dem be-
glückten Bruder kein einziges Wort, berauſchte ſich am
Abende bis zur Bewußtloſigkeit und rief am folgenden
Morgen die Mobeds, Magier und Chaldäer zuſammen,
um denſelben eine Frage vorzulegen.

„Jhr wißt,“ ſo begann er, „daß ihr, meine Träume
deutend, behauptet habt, Atoſſa würde einen künftigen
König dieſes Reiches gebären. Werde ich gegen die Götter
ſündigen, wenn ich meine Schweſter zum Weibe nehme und
wahr mache, was mir mein Traum verhieß?“ —

Die Magier beriethen ſich kurze Zeit; dann warf ſich
Oropaſtes, der Oberprieſter, vor dem Könige nieder und
ſprach:

„Wir glauben nicht, daß Du durch dieſe Heirat ſün-
digen würdeſt; — denn erſtens iſt es Sitte, daß die Perſer
ihre Verwandten heimführen 93); — zweitens ſteht es
zwar nicht im Geſetze, daß der Reine ſeine Schweſter ehe-
lichen darf; — wohl aber, daß der König thun kann,
was ihm beliebt 94). Handle, wie Du wünſcheſt, und Du
wirſt ſtets das Rechte vollbracht haben!“

Kambyſes entließ die Magier mit reichen Geſchenken,
übergab Oropaſtes alle Vollmachten als Statthalter des

*) Jn unſerem März.
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[143/0153] bei Babylon verſammelten Truppen mit eben ſo großer Strenge, als Umſicht. Nach dem Neujahrsfeſte *) ſollte die Reichsarmee auf- brechen. Kambyſes ließ daſſelbe mit ungeheurem Aufwande begehen und begab ſich nach Beendigung der Feierlichkeit zum Heere, bei dem er ſeinen vor Glückſeligkeit ſtrahlen- den Bruder traf, welcher ihm, ſein Gewand küſſend, trium- phirend erzählte, daß er hoffen dürfe, Vater zu werden. Der König erbebte bei dieſer Kunde, erwiederte dem be- glückten Bruder kein einziges Wort, berauſchte ſich am Abende bis zur Bewußtloſigkeit und rief am folgenden Morgen die Mobeds, Magier und Chaldäer zuſammen, um denſelben eine Frage vorzulegen. „Jhr wißt,“ ſo begann er, „daß ihr, meine Träume deutend, behauptet habt, Atoſſa würde einen künftigen König dieſes Reiches gebären. Werde ich gegen die Götter ſündigen, wenn ich meine Schweſter zum Weibe nehme und wahr mache, was mir mein Traum verhieß?“ — Die Magier beriethen ſich kurze Zeit; dann warf ſich Oropaſtes, der Oberprieſter, vor dem Könige nieder und ſprach: „Wir glauben nicht, daß Du durch dieſe Heirat ſün- digen würdeſt; — denn erſtens iſt es Sitte, daß die Perſer ihre Verwandten heimführen 93); — zweitens ſteht es zwar nicht im Geſetze, daß der Reine ſeine Schweſter ehe- lichen darf; — wohl aber, daß der König thun kann, was ihm beliebt 94). Handle, wie Du wünſcheſt, und Du wirſt ſtets das Rechte vollbracht haben!“ Kambyſes entließ die Magier mit reichen Geſchenken, übergab Oropaſtes alle Vollmachten als Statthalter des *) Jn unſerem März.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/153>, abgerufen am 28.11.2024.