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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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"Mit diesen Worten," sprach der Greis, "erinnerst
Du mich daran, daß ich es übernommen habe, Deine Zeit
für den Unterricht in den persischen Gebräuchen, der Re-
ligion und Sprache dieses Landes einzutheilen. Jch hätte
mich gern nach Barene, der Stadt, welche Kyros mir zum
Geschenke machte, zurückgezogen, um dort in dem stillsten
und lieblichsten aller Gebirgsthäler auszuruhn; um Deinet-
und des Königs Willen bleib ich aber hier und werde
fortfahren, Dich in der persischen Sprache zu unterrichten.
Kassandane selbst wird Dich in die Sitten der Frauen
dieses Hofes einweihen, Oropastes, der Oberpriester, soll
Dich, nach dem Befehle des Königs, mit der iranischen
Götterlehre bekannt machen. Er soll Dein geistlicher, ich
Dein weltlicher Vormund sein 36).

Nitetis, welche bis dahin freudig gelächelt hatte, schlug
jetzt die Augen nieder und fragte mit gedämpfter Stimme:
"Soll ich den Göttern meiner Heimat, zu denen ich bis
heute gebetet habe, und die mich niemals unerhört ließen,
untreu werden? Kann ich, darf ich ihrer vergessen?"

"Du kannst, darfst und mußt," sagte Kassandane mit
fester Stimme, "denn die Frau soll keine andern Freunde
haben, als der Mann. Die Götter sind aber die mäch-
tigsten, treusten und ersten Freunde des Mannes, darum
ist es Deine Pflicht, als Frau, dieselben zu ehren, und,
wie Du fremden Bewerbern Dein Haus verbietest, Dein
Herz vor den Göttern und dem Aberglauben der Fremde
zu verschließen."

"Und dann," sagte Krösus, "will man Dich ja nicht
der Gottheit berauben; man gibt sie Dir nur unter einem
andern Namen. Denn wie die Wahrheit sich ewig gleich
bleibt, ob Du sie, wie die Aegypter ,mei' oder wie die
Hellenen ,Aletheia' nennen magst, so verändert sich auch

„Mit dieſen Worten,“ ſprach der Greis, „erinnerſt
Du mich daran, daß ich es übernommen habe, Deine Zeit
für den Unterricht in den perſiſchen Gebräuchen, der Re-
ligion und Sprache dieſes Landes einzutheilen. Jch hätte
mich gern nach Barene, der Stadt, welche Kyros mir zum
Geſchenke machte, zurückgezogen, um dort in dem ſtillſten
und lieblichſten aller Gebirgsthäler auszuruhn; um Deinet-
und des Königs Willen bleib ich aber hier und werde
fortfahren, Dich in der perſiſchen Sprache zu unterrichten.
Kaſſandane ſelbſt wird Dich in die Sitten der Frauen
dieſes Hofes einweihen, Oropaſtes, der Oberprieſter, ſoll
Dich, nach dem Befehle des Königs, mit der iraniſchen
Götterlehre bekannt machen. Er ſoll Dein geiſtlicher, ich
Dein weltlicher Vormund ſein 36).

Nitetis, welche bis dahin freudig gelächelt hatte, ſchlug
jetzt die Augen nieder und fragte mit gedämpfter Stimme:
„Soll ich den Göttern meiner Heimat, zu denen ich bis
heute gebetet habe, und die mich niemals unerhört ließen,
untreu werden? Kann ich, darf ich ihrer vergeſſen?“

„Du kannſt, darfſt und mußt,“ ſagte Kaſſandane mit
feſter Stimme, „denn die Frau ſoll keine andern Freunde
haben, als der Mann. Die Götter ſind aber die mäch-
tigſten, treuſten und erſten Freunde des Mannes, darum
iſt es Deine Pflicht, als Frau, dieſelben zu ehren, und,
wie Du fremden Bewerbern Dein Haus verbieteſt, Dein
Herz vor den Göttern und dem Aberglauben der Fremde
zu verſchließen.“

„Und dann,“ ſagte Kröſus, „will man Dich ja nicht
der Gottheit berauben; man gibt ſie Dir nur unter einem
andern Namen. Denn wie die Wahrheit ſich ewig gleich
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Hellenen ‚Aletheia‘ nennen magſt, ſo verändert ſich auch

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[47/0049] „Mit dieſen Worten,“ ſprach der Greis, „erinnerſt Du mich daran, daß ich es übernommen habe, Deine Zeit für den Unterricht in den perſiſchen Gebräuchen, der Re- ligion und Sprache dieſes Landes einzutheilen. Jch hätte mich gern nach Barene, der Stadt, welche Kyros mir zum Geſchenke machte, zurückgezogen, um dort in dem ſtillſten und lieblichſten aller Gebirgsthäler auszuruhn; um Deinet- und des Königs Willen bleib ich aber hier und werde fortfahren, Dich in der perſiſchen Sprache zu unterrichten. Kaſſandane ſelbſt wird Dich in die Sitten der Frauen dieſes Hofes einweihen, Oropaſtes, der Oberprieſter, ſoll Dich, nach dem Befehle des Königs, mit der iraniſchen Götterlehre bekannt machen. Er ſoll Dein geiſtlicher, ich Dein weltlicher Vormund ſein 36). Nitetis, welche bis dahin freudig gelächelt hatte, ſchlug jetzt die Augen nieder und fragte mit gedämpfter Stimme: „Soll ich den Göttern meiner Heimat, zu denen ich bis heute gebetet habe, und die mich niemals unerhört ließen, untreu werden? Kann ich, darf ich ihrer vergeſſen?“ „Du kannſt, darfſt und mußt,“ ſagte Kaſſandane mit feſter Stimme, „denn die Frau ſoll keine andern Freunde haben, als der Mann. Die Götter ſind aber die mäch- tigſten, treuſten und erſten Freunde des Mannes, darum iſt es Deine Pflicht, als Frau, dieſelben zu ehren, und, wie Du fremden Bewerbern Dein Haus verbieteſt, Dein Herz vor den Göttern und dem Aberglauben der Fremde zu verſchließen.“ „Und dann,“ ſagte Kröſus, „will man Dich ja nicht der Gottheit berauben; man gibt ſie Dir nur unter einem andern Namen. Denn wie die Wahrheit ſich ewig gleich bleibt, ob Du ſie, wie die Aegypter ‚mei‘ oder wie die Hellenen ‚Aletheia‘ nennen magſt, ſo verändert ſich auch

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/49>, abgerufen am 23.11.2024.