große Kriege geführt haben und noch heut im Waffen- schmucke der Männer einhergehn."
"Von wem weißt Du das?"
"Meine Wärterin, die alte Stephanion aus Sinope, welche der Vater als Kriegsgefangne nach Pasargadae brachte, hat es mir erzählt."
"Jch aber kann Dich eines Bessern belehren," sagte Nitetis. -- "Zu Themiskyra und Komana finden sich frei- lich eine Menge von Weibern, welche sich wie streitbare Männer rüsten; diese alle sind aber nichts als Prieste- rinnen, welche sich wie die kriegerische Göttin, der sie die- nen, zu kleiden pflegen, um den Betern in ihrer eigenen Gestalt das Bild der Gottheit zu zeigen. -- Krösus sagt, es habe niemals ein Amazonenheer gegeben; die Griechen aber, welche aus allen Dingen schnell eine schöne Sage zu formen wüßten, hätten auch, nachdem diese Priesterin- nen ihnen begegnet wären, aus den bewaffneten Jung- frauen jener Göttin ein Volk von streitbaren Weibern gemacht 32).
"Aber dann sind sie ja Lügner!" rief das enttäuschte Kind.
"Freilich," erwiederte Nitetis, "ist den Hellenen die Wahrheit nicht so heilig, als euch; solche Mähren zu er- finden und staunenden Hörern in schönen Versen vorzu- singen, nennen sie aber nicht ,Lügen,' sondern ,Dichten'."
"Grade wie bei uns," sagte Kassandane. "Haben doch die Sänger, welche den Ruhm meines Gatten preisen, die Jugendgeschichte des Kyros ganz wunderbar verkehrt und ausgeschmückt, ohne doch Lügner genannt zu werden. -- Aber sage mir, meine Tochter, ist es wahr, daß diese Hellenen schöner sind als die anderen Menschen, und alle Künste besser verstehen, als selbst die Aegypter?"
große Kriege geführt haben und noch heut im Waffen- ſchmucke der Männer einhergehn.“
„Von wem weißt Du das?“
„Meine Wärterin, die alte Stephanion aus Sinope, welche der Vater als Kriegsgefangne nach Paſargadae brachte, hat es mir erzählt.“
„Jch aber kann Dich eines Beſſern belehren,“ ſagte Nitetis. — „Zu Themiskyra und Komana finden ſich frei- lich eine Menge von Weibern, welche ſich wie ſtreitbare Männer rüſten; dieſe alle ſind aber nichts als Prieſte- rinnen, welche ſich wie die kriegeriſche Göttin, der ſie die- nen, zu kleiden pflegen, um den Betern in ihrer eigenen Geſtalt das Bild der Gottheit zu zeigen. — Kröſus ſagt, es habe niemals ein Amazonenheer gegeben; die Griechen aber, welche aus allen Dingen ſchnell eine ſchöne Sage zu formen wüßten, hätten auch, nachdem dieſe Prieſterin- nen ihnen begegnet wären, aus den bewaffneten Jung- frauen jener Göttin ein Volk von ſtreitbaren Weibern gemacht 32).
„Aber dann ſind ſie ja Lügner!“ rief das enttäuſchte Kind.
„Freilich,“ erwiederte Nitetis, „iſt den Hellenen die Wahrheit nicht ſo heilig, als euch; ſolche Mähren zu er- finden und ſtaunenden Hörern in ſchönen Verſen vorzu- ſingen, nennen ſie aber nicht ‚Lügen,‘ ſondern ‚Dichten‘.“
„Grade wie bei uns,“ ſagte Kaſſandane. „Haben doch die Sänger, welche den Ruhm meines Gatten preiſen, die Jugendgeſchichte des Kyros ganz wunderbar verkehrt und ausgeſchmückt, ohne doch Lügner genannt zu werden. — Aber ſage mir, meine Tochter, iſt es wahr, daß dieſe Hellenen ſchöner ſind als die anderen Menſchen, und alle Künſte beſſer verſtehen, als ſelbſt die Aegypter?“
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große Kriege geführt haben und noch heut im Waffen-
ſchmucke der Männer einhergehn.“
„Von wem weißt Du das?“
„Meine Wärterin, die alte Stephanion aus Sinope,
welche der Vater als Kriegsgefangne nach Paſargadae
brachte, hat es mir erzählt.“
„Jch aber kann Dich eines Beſſern belehren,“ ſagte
Nitetis. — „Zu Themiskyra und Komana finden ſich frei-
lich eine Menge von Weibern, welche ſich wie ſtreitbare
Männer rüſten; dieſe alle ſind aber nichts als Prieſte-
rinnen, welche ſich wie die kriegeriſche Göttin, der ſie die-
nen, zu kleiden pflegen, um den Betern in ihrer eigenen
Geſtalt das Bild der Gottheit zu zeigen. — Kröſus ſagt,
es habe niemals ein Amazonenheer gegeben; die Griechen
aber, welche aus allen Dingen ſchnell eine ſchöne Sage
zu formen wüßten, hätten auch, nachdem dieſe Prieſterin-
nen ihnen begegnet wären, aus den bewaffneten Jung-
frauen jener Göttin ein Volk von ſtreitbaren Weibern
gemacht 32).
„Aber dann ſind ſie ja Lügner!“ rief das enttäuſchte
Kind.
„Freilich,“ erwiederte Nitetis, „iſt den Hellenen die
Wahrheit nicht ſo heilig, als euch; ſolche Mähren zu er-
finden und ſtaunenden Hörern in ſchönen Verſen vorzu-
ſingen, nennen ſie aber nicht ‚Lügen,‘ ſondern ‚Dichten‘.“
„Grade wie bei uns,“ ſagte Kaſſandane. „Haben
doch die Sänger, welche den Ruhm meines Gatten preiſen,
die Jugendgeſchichte des Kyros ganz wunderbar verkehrt
und ausgeſchmückt, ohne doch Lügner genannt zu werden.
— Aber ſage mir, meine Tochter, iſt es wahr, daß dieſe
Hellenen ſchöner ſind als die anderen Menſchen, und alle
Künſte beſſer verſtehen, als ſelbſt die Aegypter?“
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/44>, abgerufen am 17.02.2025.
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