denken, mein König!?" Kein Vorwurf, nur tiefes Weh sprach aus diesen Worten, welche Kambyses mit der leisen Bitte: "Verzeih' mir," beantwortete.
Kassandane dankte durch einen freundlichen Blick ihrer blinden Augen dieser Selbstverläugnung ihres Sohnes und sagte: "Auch ich, meine Tochter, bedarf Deiner Vergebung."
"Jch aber habe nie an Dir gezweifelt!" rief Atossa, die Freundin stolz und glücklich auf den Mund küssend.
"Dein Schreiben an Bartja erschütterte meinen Glau- ben an Deine Unschuld," fügte die Mutter des Königs hinzu.
"Und doch war das Alles so einfach und natürlich," antwortete Nitetis. "Hier, meine Mutter, nimm diesen Brief aus Aegypten. Krösus mag ihn Dir übersetzen. Er wird Alles erklären. Vielleicht bin ich unvorsichtig gewesen. Laß Dir von Deiner Mutter das Nöthige mit- theilen, mein König. O, bitte, spotte nicht meiner armen, kranken Schwester. Wenn eine Aegypterin liebt, so kann sie nicht vergessen. Mir ist so bang! Es geht zu Ende. Die letzten Stunden waren gar so entsetzlich! Das furcht- bare Todesurtheil, welches Boges, der entsetzliche Mann, mir vorlas; dieß Urtheil zwang mir das Gift in die Hand. Ach, mein Herz!"
Mit diesen Worten sank sie in den Schooß der Greisin zurück. Nebenchari, der Arzt, stürzte herbei, flößte der Kranken einige neue Tropfen ein und rief: "Dachte ich's doch! Sie hat Gift genommen und wird sicher sterben, wenn dieses Gegenmittel ihren Tod auch noch um einige Tage verzögert!"
Kambyses stand neben ihm, bleich und starr jede sei- ner Bewegungen verfolgend, während Atossa die Stirn der Freundin mit Thränen benetzte.
denken, mein König!?“ Kein Vorwurf, nur tiefes Weh ſprach aus dieſen Worten, welche Kambyſes mit der leiſen Bitte: „Verzeih’ mir,“ beantwortete.
Kaſſandane dankte durch einen freundlichen Blick ihrer blinden Augen dieſer Selbſtverläugnung ihres Sohnes und ſagte: „Auch ich, meine Tochter, bedarf Deiner Vergebung.“
„Jch aber habe nie an Dir gezweifelt!“ rief Atoſſa, die Freundin ſtolz und glücklich auf den Mund küſſend.
„Dein Schreiben an Bartja erſchütterte meinen Glau- ben an Deine Unſchuld,“ fügte die Mutter des Königs hinzu.
„Und doch war das Alles ſo einfach und natürlich,“ antwortete Nitetis. „Hier, meine Mutter, nimm dieſen Brief aus Aegypten. Kröſus mag ihn Dir überſetzen. Er wird Alles erklären. Vielleicht bin ich unvorſichtig geweſen. Laß Dir von Deiner Mutter das Nöthige mit- theilen, mein König. O, bitte, ſpotte nicht meiner armen, kranken Schweſter. Wenn eine Aegypterin liebt, ſo kann ſie nicht vergeſſen. Mir iſt ſo bang! Es geht zu Ende. Die letzten Stunden waren gar ſo entſetzlich! Das furcht- bare Todesurtheil, welches Boges, der entſetzliche Mann, mir vorlas; dieß Urtheil zwang mir das Gift in die Hand. Ach, mein Herz!“
Mit dieſen Worten ſank ſie in den Schooß der Greiſin zurück. Nebenchari, der Arzt, ſtürzte herbei, flößte der Kranken einige neue Tropfen ein und rief: „Dachte ich’s doch! Sie hat Gift genommen und wird ſicher ſterben, wenn dieſes Gegenmittel ihren Tod auch noch um einige Tage verzögert!“
Kambyſes ſtand neben ihm, bleich und ſtarr jede ſei- ner Bewegungen verfolgend, während Atoſſa die Stirn der Freundin mit Thränen benetzte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0236"n="234"/>
denken, mein König!?“ Kein Vorwurf, nur tiefes Weh<lb/>ſprach aus dieſen Worten, welche Kambyſes mit der leiſen<lb/>
Bitte: „Verzeih’ mir,“ beantwortete.</p><lb/><p>Kaſſandane dankte durch einen freundlichen Blick ihrer<lb/>
blinden Augen dieſer Selbſtverläugnung ihres Sohnes und<lb/>ſagte: „Auch ich, meine Tochter, bedarf Deiner Vergebung.“</p><lb/><p>„Jch aber habe nie an Dir gezweifelt!“ rief Atoſſa,<lb/>
die Freundin ſtolz und glücklich auf den Mund küſſend.</p><lb/><p>„Dein Schreiben an Bartja erſchütterte meinen Glau-<lb/>
ben an Deine Unſchuld,“ fügte die Mutter des Königs<lb/>
hinzu.</p><lb/><p>„Und doch war das Alles ſo einfach und natürlich,“<lb/>
antwortete Nitetis. „Hier, meine Mutter, nimm dieſen<lb/>
Brief aus Aegypten. Kröſus mag ihn Dir überſetzen.<lb/>
Er wird Alles erklären. Vielleicht bin ich unvorſichtig<lb/>
geweſen. Laß Dir von Deiner Mutter das Nöthige mit-<lb/>
theilen, mein König. O, bitte, ſpotte nicht meiner armen,<lb/>
kranken Schweſter. Wenn eine Aegypterin liebt, ſo kann<lb/>ſie nicht vergeſſen. Mir iſt ſo bang! Es geht zu Ende.<lb/>
Die letzten Stunden waren gar ſo entſetzlich! Das furcht-<lb/>
bare Todesurtheil, welches Boges, der entſetzliche Mann,<lb/>
mir vorlas; dieß Urtheil zwang mir das Gift in die<lb/>
Hand. Ach, mein Herz!“</p><lb/><p>Mit dieſen Worten ſank ſie in den Schooß der Greiſin<lb/>
zurück. Nebenchari, der Arzt, ſtürzte herbei, flößte der<lb/>
Kranken einige neue Tropfen ein und rief: „Dachte ich’s<lb/>
doch! Sie hat Gift genommen und wird ſicher ſterben,<lb/>
wenn dieſes Gegenmittel ihren Tod auch noch um einige<lb/>
Tage verzögert!“</p><lb/><p>Kambyſes ſtand neben ihm, bleich und ſtarr jede ſei-<lb/>
ner Bewegungen verfolgend, während Atoſſa die Stirn<lb/>
der Freundin mit Thränen benetzte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[234/0236]
denken, mein König!?“ Kein Vorwurf, nur tiefes Weh
ſprach aus dieſen Worten, welche Kambyſes mit der leiſen
Bitte: „Verzeih’ mir,“ beantwortete.
Kaſſandane dankte durch einen freundlichen Blick ihrer
blinden Augen dieſer Selbſtverläugnung ihres Sohnes und
ſagte: „Auch ich, meine Tochter, bedarf Deiner Vergebung.“
„Jch aber habe nie an Dir gezweifelt!“ rief Atoſſa,
die Freundin ſtolz und glücklich auf den Mund küſſend.
„Dein Schreiben an Bartja erſchütterte meinen Glau-
ben an Deine Unſchuld,“ fügte die Mutter des Königs
hinzu.
„Und doch war das Alles ſo einfach und natürlich,“
antwortete Nitetis. „Hier, meine Mutter, nimm dieſen
Brief aus Aegypten. Kröſus mag ihn Dir überſetzen.
Er wird Alles erklären. Vielleicht bin ich unvorſichtig
geweſen. Laß Dir von Deiner Mutter das Nöthige mit-
theilen, mein König. O, bitte, ſpotte nicht meiner armen,
kranken Schweſter. Wenn eine Aegypterin liebt, ſo kann
ſie nicht vergeſſen. Mir iſt ſo bang! Es geht zu Ende.
Die letzten Stunden waren gar ſo entſetzlich! Das furcht-
bare Todesurtheil, welches Boges, der entſetzliche Mann,
mir vorlas; dieß Urtheil zwang mir das Gift in die
Hand. Ach, mein Herz!“
Mit dieſen Worten ſank ſie in den Schooß der Greiſin
zurück. Nebenchari, der Arzt, ſtürzte herbei, flößte der
Kranken einige neue Tropfen ein und rief: „Dachte ich’s
doch! Sie hat Gift genommen und wird ſicher ſterben,
wenn dieſes Gegenmittel ihren Tod auch noch um einige
Tage verzögert!“
Kambyſes ſtand neben ihm, bleich und ſtarr jede ſei-
ner Bewegungen verfolgend, während Atoſſa die Stirn
der Freundin mit Thränen benetzte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/236>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.