Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Kusse, eine seltne und nur den Tischgenossen gewährte
Gunstbezeugung, und rief: "Alle Gefangenen sind sofort
auf freien Fuß zu setzen. Geht hin zu euren Söhnen, ihr
geängstigten Väter, und sagt denselben, sie möchten meiner
Huld und Gnade versichert sein. Es wird sich wohl für
Jeden von ihnen eine Satrapie, als Ersatz für diese Nacht
unschuldiger Gefangenschaft, finden. Dir, mein hellenischer
Freund, bin ich zu großem Danke verpflichtet. Um mich
desselben zu entledigen und Dich an meinen Hof zu fesseln,
bitte ich Dich, Dir von unserm Schatzmeister hundert *)
Talente auszahlen zu lassen."

"Eine so große Summe," gab Phanes sich verneigend
zurück, "werde ich kaum gebrauchen können."

"Dann mißbrauche sie!" erwiederte der König, freund-
lich lächelnd, und verließ mit dem an den Athener gerich-
teten Rufe: "Auf Wiedersehen beim Schmause!" von sei-
nen Hofbeamten begleitet, die Halle.



Während dieser Vorgänge herrschte in den Gemächern
der Mutter des Königs tiefe Trauer. -- Kassandane glaubte,
nachdem sie den Jnhalt jenes Briefes an Bartja vernom-
men hatte, an die Treulosigkeit der Nitetis, während sie
ihren geliebten Sohn für unschuldig hielt. -- Wem durfte
sie noch trauen, wenn das Mädchen, in dem sie bis dahin
die Verkörperung aller weiblichen Tugenden gesehen hatte,
eine verworfene Treulose genannt werden mußte, wenn die
edelsten Jünglinge meineidig werden konnten?!

Nitetis war für sie mehr als todt; Bartja, Krösus,
Darius, Gyges, Araspes, mit denen Allen ihr Herz durch

*) 150,000 Thaler.

zum Kuſſe, eine ſeltne und nur den Tiſchgenoſſen gewährte
Gunſtbezeugung, und rief: „Alle Gefangenen ſind ſofort
auf freien Fuß zu ſetzen. Geht hin zu euren Söhnen, ihr
geängſtigten Väter, und ſagt denſelben, ſie möchten meiner
Huld und Gnade verſichert ſein. Es wird ſich wohl für
Jeden von ihnen eine Satrapie, als Erſatz für dieſe Nacht
unſchuldiger Gefangenſchaft, finden. Dir, mein helleniſcher
Freund, bin ich zu großem Danke verpflichtet. Um mich
deſſelben zu entledigen und Dich an meinen Hof zu feſſeln,
bitte ich Dich, Dir von unſerm Schatzmeiſter hundert *)
Talente auszahlen zu laſſen.“

„Eine ſo große Summe,“ gab Phanes ſich verneigend
zurück, „werde ich kaum gebrauchen können.“

„Dann mißbrauche ſie!“ erwiederte der König, freund-
lich lächelnd, und verließ mit dem an den Athener gerich-
teten Rufe: „Auf Wiederſehen beim Schmauſe!“ von ſei-
nen Hofbeamten begleitet, die Halle.



Während dieſer Vorgänge herrſchte in den Gemächern
der Mutter des Königs tiefe Trauer. — Kaſſandane glaubte,
nachdem ſie den Jnhalt jenes Briefes an Bartja vernom-
men hatte, an die Treuloſigkeit der Nitetis, während ſie
ihren geliebten Sohn für unſchuldig hielt. — Wem durfte
ſie noch trauen, wenn das Mädchen, in dem ſie bis dahin
die Verkörperung aller weiblichen Tugenden geſehen hatte,
eine verworfene Treuloſe genannt werden mußte, wenn die
edelſten Jünglinge meineidig werden konnten?!

Nitetis war für ſie mehr als todt; Bartja, Kröſus,
Darius, Gyges, Araspes, mit denen Allen ihr Herz durch

*) 150,000 Thaler.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0230" n="228"/>
zum Ku&#x017F;&#x017F;e, eine &#x017F;eltne und nur den Ti&#x017F;chgeno&#x017F;&#x017F;en gewährte<lb/>
Gun&#x017F;tbezeugung, und rief: &#x201E;Alle Gefangenen &#x017F;ind &#x017F;ofort<lb/>
auf freien Fuß zu &#x017F;etzen. Geht hin zu euren Söhnen, ihr<lb/>
geäng&#x017F;tigten Väter, und &#x017F;agt den&#x017F;elben, &#x017F;ie möchten meiner<lb/>
Huld und Gnade ver&#x017F;ichert &#x017F;ein. Es wird &#x017F;ich wohl für<lb/>
Jeden von ihnen eine Satrapie, als Er&#x017F;atz für die&#x017F;e Nacht<lb/>
un&#x017F;chuldiger Gefangen&#x017F;chaft, finden. Dir, mein helleni&#x017F;cher<lb/>
Freund, bin ich zu großem Danke verpflichtet. Um mich<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben zu entledigen und Dich an meinen Hof zu fe&#x017F;&#x017F;eln,<lb/>
bitte ich Dich, Dir von un&#x017F;erm Schatzmei&#x017F;ter hundert <note place="foot" n="*)">150,000 Thaler.</note><lb/>
Talente auszahlen zu la&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eine &#x017F;o große Summe,&#x201C; gab Phanes &#x017F;ich verneigend<lb/>
zurück, &#x201E;werde ich kaum gebrauchen können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dann mißbrauche &#x017F;ie!&#x201C; erwiederte der König, freund-<lb/>
lich lächelnd, und verließ mit dem an den Athener gerich-<lb/>
teten Rufe: &#x201E;Auf Wieder&#x017F;ehen beim Schmau&#x017F;e!&#x201C; von &#x017F;ei-<lb/>
nen Hofbeamten begleitet, die Halle.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Während die&#x017F;er Vorgänge herr&#x017F;chte in den Gemächern<lb/>
der Mutter des Königs tiefe Trauer. &#x2014; Ka&#x017F;&#x017F;andane glaubte,<lb/>
nachdem &#x017F;ie den Jnhalt jenes Briefes an Bartja vernom-<lb/>
men hatte, an die Treulo&#x017F;igkeit der Nitetis, während &#x017F;ie<lb/>
ihren geliebten Sohn für un&#x017F;chuldig hielt. &#x2014; Wem durfte<lb/>
&#x017F;ie noch trauen, wenn das Mädchen, in dem &#x017F;ie bis dahin<lb/>
die Verkörperung aller weiblichen Tugenden ge&#x017F;ehen hatte,<lb/>
eine verworfene Treulo&#x017F;e genannt werden mußte, wenn die<lb/>
edel&#x017F;ten Jünglinge meineidig werden konnten?!</p><lb/>
        <p>Nitetis war für &#x017F;ie mehr als todt; Bartja, Krö&#x017F;us,<lb/>
Darius, Gyges, Araspes, mit denen Allen ihr Herz durch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0230] zum Kuſſe, eine ſeltne und nur den Tiſchgenoſſen gewährte Gunſtbezeugung, und rief: „Alle Gefangenen ſind ſofort auf freien Fuß zu ſetzen. Geht hin zu euren Söhnen, ihr geängſtigten Väter, und ſagt denſelben, ſie möchten meiner Huld und Gnade verſichert ſein. Es wird ſich wohl für Jeden von ihnen eine Satrapie, als Erſatz für dieſe Nacht unſchuldiger Gefangenſchaft, finden. Dir, mein helleniſcher Freund, bin ich zu großem Danke verpflichtet. Um mich deſſelben zu entledigen und Dich an meinen Hof zu feſſeln, bitte ich Dich, Dir von unſerm Schatzmeiſter hundert *) Talente auszahlen zu laſſen.“ „Eine ſo große Summe,“ gab Phanes ſich verneigend zurück, „werde ich kaum gebrauchen können.“ „Dann mißbrauche ſie!“ erwiederte der König, freund- lich lächelnd, und verließ mit dem an den Athener gerich- teten Rufe: „Auf Wiederſehen beim Schmauſe!“ von ſei- nen Hofbeamten begleitet, die Halle. Während dieſer Vorgänge herrſchte in den Gemächern der Mutter des Königs tiefe Trauer. — Kaſſandane glaubte, nachdem ſie den Jnhalt jenes Briefes an Bartja vernom- men hatte, an die Treuloſigkeit der Nitetis, während ſie ihren geliebten Sohn für unſchuldig hielt. — Wem durfte ſie noch trauen, wenn das Mädchen, in dem ſie bis dahin die Verkörperung aller weiblichen Tugenden geſehen hatte, eine verworfene Treuloſe genannt werden mußte, wenn die edelſten Jünglinge meineidig werden konnten?! Nitetis war für ſie mehr als todt; Bartja, Kröſus, Darius, Gyges, Araspes, mit denen Allen ihr Herz durch *) 150,000 Thaler.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/230
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/230>, abgerufen am 05.12.2024.