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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Augen vorüberziehen lassen. Jetzt schaute er um sich,
und gewahrte staunend, daß der graue Mann mit dem
Stelzfuße, den er, ohne ihn zu kennen, schon bemerkt hatte,
sein Angesicht in den Händen verbarg und heiße Thränen
weinte. Zu seiner Rechten stand Rhodopis, zu seiner Lin-
ken Phanes; alle anderen Gäste schauten auf den Spar-
taner, als sei dieser der Held der Erzählung des Kallias
gewesen. Der kluge Athener merkte sofort, daß der Greis
in nächster Beziehung zu irgend einem der olympischen
Sieger stehe; -- als er aber hörte, daß Aristomachos der
Vater jenes ruhmgekrönten spartanischen Bruderpaares sei,
dessen schöne Gestalten noch immer, wie Erscheinungen
aus der Götterwelt, vor seinen Blicken schwebten, da sah
auch er mit neidischer Bewunderung auf den schluchzenden
Alten und eine Thräne füllte sein kluges Auge, ohne daß
er ihr zu wehren versuchte. Jn jenen Zeiten weinten die
Männer, wann sie eben von dem Balsam der Zähren Er-
leichterung hofften. Jm Zorn, bei hoher Wonne, bei
jedem Seelenschmerze sehen wir die stärksten Helden wei-
nen, -- wogegen sich der spartanische Knabe am Altar
der Artemis Orthia, ohne einen Klagelaut von sich zu ge-
ben, wund, ja manchmal zu Tode peitschen ließ, um des
Lobes der Männer theilhaftig zu werden.

Eine Zeit lang blieben alle Gäste stumm, die
Rührung des Greises ehrend. Endlich unterbrach Jesua,
der Jsraelit, das Schweigen und sagte in gebrochenem
Griechisch:

"Weine Dich recht aus, spartanischer Mann! Jch
weiß, was es heißt, einen Sohn zu verlieren. Habe ich
doch vor elf Jahren einen schönen Knaben in die Grube
senken müssen, in fremdem Lande, an den Wassern Ba-
bels, wo mein Volk in Gefangenschaft schmachtete.

Augen vorüberziehen laſſen. Jetzt ſchaute er um ſich,
und gewahrte ſtaunend, daß der graue Mann mit dem
Stelzfuße, den er, ohne ihn zu kennen, ſchon bemerkt hatte,
ſein Angeſicht in den Händen verbarg und heiße Thränen
weinte. Zu ſeiner Rechten ſtand Rhodopis, zu ſeiner Lin-
ken Phanes; alle anderen Gäſte ſchauten auf den Spar-
taner, als ſei dieſer der Held der Erzählung des Kallias
geweſen. Der kluge Athener merkte ſofort, daß der Greis
in nächſter Beziehung zu irgend einem der olympiſchen
Sieger ſtehe; — als er aber hörte, daß Ariſtomachos der
Vater jenes ruhmgekrönten ſpartaniſchen Bruderpaares ſei,
deſſen ſchöne Geſtalten noch immer, wie Erſcheinungen
aus der Götterwelt, vor ſeinen Blicken ſchwebten, da ſah
auch er mit neidiſcher Bewunderung auf den ſchluchzenden
Alten und eine Thräne füllte ſein kluges Auge, ohne daß
er ihr zu wehren verſuchte. Jn jenen Zeiten weinten die
Männer, wann ſie eben von dem Balſam der Zähren Er-
leichterung hofften. Jm Zorn, bei hoher Wonne, bei
jedem Seelenſchmerze ſehen wir die ſtärkſten Helden wei-
nen, — wogegen ſich der ſpartaniſche Knabe am Altar
der Artemis Orthia, ohne einen Klagelaut von ſich zu ge-
ben, wund, ja manchmal zu Tode peitſchen ließ, um des
Lobes der Männer theilhaftig zu werden.

Eine Zeit lang blieben alle Gäſte ſtumm, die
Rührung des Greiſes ehrend. Endlich unterbrach Jeſua,
der Jſraelit, das Schweigen und ſagte in gebrochenem
Griechiſch:

„Weine Dich recht aus, ſpartaniſcher Mann! Jch
weiß, was es heißt, einen Sohn zu verlieren. Habe ich
doch vor elf Jahren einen ſchönen Knaben in die Grube
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[41/0059] Augen vorüberziehen laſſen. Jetzt ſchaute er um ſich, und gewahrte ſtaunend, daß der graue Mann mit dem Stelzfuße, den er, ohne ihn zu kennen, ſchon bemerkt hatte, ſein Angeſicht in den Händen verbarg und heiße Thränen weinte. Zu ſeiner Rechten ſtand Rhodopis, zu ſeiner Lin- ken Phanes; alle anderen Gäſte ſchauten auf den Spar- taner, als ſei dieſer der Held der Erzählung des Kallias geweſen. Der kluge Athener merkte ſofort, daß der Greis in nächſter Beziehung zu irgend einem der olympiſchen Sieger ſtehe; — als er aber hörte, daß Ariſtomachos der Vater jenes ruhmgekrönten ſpartaniſchen Bruderpaares ſei, deſſen ſchöne Geſtalten noch immer, wie Erſcheinungen aus der Götterwelt, vor ſeinen Blicken ſchwebten, da ſah auch er mit neidiſcher Bewunderung auf den ſchluchzenden Alten und eine Thräne füllte ſein kluges Auge, ohne daß er ihr zu wehren verſuchte. Jn jenen Zeiten weinten die Männer, wann ſie eben von dem Balſam der Zähren Er- leichterung hofften. Jm Zorn, bei hoher Wonne, bei jedem Seelenſchmerze ſehen wir die ſtärkſten Helden wei- nen, — wogegen ſich der ſpartaniſche Knabe am Altar der Artemis Orthia, ohne einen Klagelaut von ſich zu ge- ben, wund, ja manchmal zu Tode peitſchen ließ, um des Lobes der Männer theilhaftig zu werden. Eine Zeit lang blieben alle Gäſte ſtumm, die Rührung des Greiſes ehrend. Endlich unterbrach Jeſua, der Jſraelit, das Schweigen und ſagte in gebrochenem Griechiſch: „Weine Dich recht aus, ſpartaniſcher Mann! Jch weiß, was es heißt, einen Sohn zu verlieren. Habe ich doch vor elf Jahren einen ſchönen Knaben in die Grube ſenken müſſen, in fremdem Lande, an den Waſſern Ba- bels, wo mein Volk in Gefangenſchaft ſchmachtete.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/59>, abgerufen am 27.04.2024.