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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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miern. Sie unterhielt sich mit denselben über Kunst und
Poesie.

Die Augen der Thrakerin glühten im Feuer der Ju-
gend, ihre hohe Gestalt war voll und ungebeugt, das
graue Haar schlang sich noch immer in üppigen Wellen
um das schön geformte Haupt, und schmiegte sich am Hin-
terkopfe in ein Netz von zartem Goldgeflechte. Die hohe
Stirn war mit einem leuchtenden Diadem geschmückt.

Das edle griechische Angesicht erschien bleich, aber
schön und faltenlos, trotz seines hohen Alters; ja der kleine
Mund, die vollen Lippen, die weißen Zähne, die leuch-
tenden und doch milden Augen, die edle Stirn und Nase
dieses Weibes konnten einer Jungfrau zur Zier gereichen.

Man mußte Rhodopis für jünger halten, als sie
wirklich war, und dennoch verläugnete sie die Greisin kei-
neswegs.

Aus jeder ihrer Bewegungen sprach matronenhafte
Würde, und ihre Anmuth war nicht die der Jugend,
welche zu gefallen sucht, sondern die des Alters, die sich
gefällig erweisen will, welche Rücksichten nimmt und Rück-
sichten verlangt.

Jetzt zeigten sich die uns bekannten Männer in der
Halle. Aller Augen wendeten sich denselben zu, und als
Phanes, seinen Freund an der Hand führend, eintrat, be-
willkommte man ihn auf's Herzlichste; einer der Milesier
aber rief:

"Wußt' ich doch nicht, was uns fehlte! Jetzt ist mir's
auf einmal klar; ohne Phanes gibt es keine Fröhlichkeit!"

Oinophilos der Sybarit erhob jetzt seine tiefe Stimme
und rief, ohne sich in seiner Ruhe stören zu lassen: "Die
Fröhlichkeit ist ein schönes Ding, und wenn Du sie mit-
bringst, so sei auch mir willkommen, Athener!"

miern. Sie unterhielt ſich mit denſelben über Kunſt und
Poeſie.

Die Augen der Thrakerin glühten im Feuer der Ju-
gend, ihre hohe Geſtalt war voll und ungebeugt, das
graue Haar ſchlang ſich noch immer in üppigen Wellen
um das ſchön geformte Haupt, und ſchmiegte ſich am Hin-
terkopfe in ein Netz von zartem Goldgeflechte. Die hohe
Stirn war mit einem leuchtenden Diadem geſchmückt.

Das edle griechiſche Angeſicht erſchien bleich, aber
ſchön und faltenlos, trotz ſeines hohen Alters; ja der kleine
Mund, die vollen Lippen, die weißen Zähne, die leuch-
tenden und doch milden Augen, die edle Stirn und Naſe
dieſes Weibes konnten einer Jungfrau zur Zier gereichen.

Man mußte Rhodopis für jünger halten, als ſie
wirklich war, und dennoch verläugnete ſie die Greiſin kei-
neswegs.

Aus jeder ihrer Bewegungen ſprach matronenhafte
Würde, und ihre Anmuth war nicht die der Jugend,
welche zu gefallen ſucht, ſondern die des Alters, die ſich
gefällig erweiſen will, welche Rückſichten nimmt und Rück-
ſichten verlangt.

Jetzt zeigten ſich die uns bekannten Männer in der
Halle. Aller Augen wendeten ſich denſelben zu, und als
Phanes, ſeinen Freund an der Hand führend, eintrat, be-
willkommte man ihn auf’s Herzlichſte; einer der Mileſier
aber rief:

„Wußt’ ich doch nicht, was uns fehlte! Jetzt iſt mir’s
auf einmal klar; ohne Phanes gibt es keine Fröhlichkeit!“

Oinophilos der Sybarit erhob jetzt ſeine tiefe Stimme
und rief, ohne ſich in ſeiner Ruhe ſtören zu laſſen: „Die
Fröhlichkeit iſt ein ſchönes Ding, und wenn Du ſie mit-
bringſt, ſo ſei auch mir willkommen, Athener!“

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[15/0033] miern. Sie unterhielt ſich mit denſelben über Kunſt und Poeſie. Die Augen der Thrakerin glühten im Feuer der Ju- gend, ihre hohe Geſtalt war voll und ungebeugt, das graue Haar ſchlang ſich noch immer in üppigen Wellen um das ſchön geformte Haupt, und ſchmiegte ſich am Hin- terkopfe in ein Netz von zartem Goldgeflechte. Die hohe Stirn war mit einem leuchtenden Diadem geſchmückt. Das edle griechiſche Angeſicht erſchien bleich, aber ſchön und faltenlos, trotz ſeines hohen Alters; ja der kleine Mund, die vollen Lippen, die weißen Zähne, die leuch- tenden und doch milden Augen, die edle Stirn und Naſe dieſes Weibes konnten einer Jungfrau zur Zier gereichen. Man mußte Rhodopis für jünger halten, als ſie wirklich war, und dennoch verläugnete ſie die Greiſin kei- neswegs. Aus jeder ihrer Bewegungen ſprach matronenhafte Würde, und ihre Anmuth war nicht die der Jugend, welche zu gefallen ſucht, ſondern die des Alters, die ſich gefällig erweiſen will, welche Rückſichten nimmt und Rück- ſichten verlangt. Jetzt zeigten ſich die uns bekannten Männer in der Halle. Aller Augen wendeten ſich denſelben zu, und als Phanes, ſeinen Freund an der Hand führend, eintrat, be- willkommte man ihn auf’s Herzlichſte; einer der Mileſier aber rief: „Wußt’ ich doch nicht, was uns fehlte! Jetzt iſt mir’s auf einmal klar; ohne Phanes gibt es keine Fröhlichkeit!“ Oinophilos der Sybarit erhob jetzt ſeine tiefe Stimme und rief, ohne ſich in ſeiner Ruhe ſtören zu laſſen: „Die Fröhlichkeit iſt ein ſchönes Ding, und wenn Du ſie mit- bringſt, ſo ſei auch mir willkommen, Athener!“

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/33>, abgerufen am 19.04.2024.