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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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dunklen von Thränen erfüllten Augen glänzten dabei so
warm und selig, daß auch das Antlitz der Greisin wieder
freundlich wurde.

Sappho schlang nun noch einmal ihre Arme um den
Hals der Großmutter, erzählte derselben jedes Wort, wel-
ches der Geliebte zu ihr gesprochen hatte, und endete ihre
lange Rede mit dem Ausrufe: "O Großmutter, ich bin
gar zu glücklich! Und wenn Du nun gar mit uns nach
Persien kommst, dann hab' ich nichts mehr von den Un-
sterblichen zu erbitten."

"Mögen Dich die Götter vor Enttäuschung behüten,"
seufzte Rhodopis. "Nur mit neidischem Blicke betrachten
sie das Glück der Sterblichen und wägen uns das Schlimme
mit verschwenderischen, das Gute mit kargen Händen zu.
Geh jetzt in's Bett, mein Kind, und bete mit mir, daß
dieß Alles ein glückliches Ende nehmen möge. Einem
Kinde habe ich meinen Morgengruß gebracht, einer Jung-
frau sage ich gute Nacht; mögest Du mir als Gattin eben
so freudig Deinen Mund zum Kusse bieten, als eben jetzt.
-- Morgen will ich euretwegen mit Krösus reden. Von
seinem Ausspruche wird es abhängen, ob ich Dir gestatten
kann, Dich als Braut des Persers zu betrachten, oder ob
ich Dich beschwören muß, den Königssohn zu vergessen, um
bald die Hausfrau eines Hellenen meiner Wahl zu werden.
Schlafe wohl, mein Liebling, schlummre ruhig; Deine alte
Großmutter wacht für Dich!"

Sappho entschlief von seligen Träumen einge-
wiegt; Rhodopis aber schaute mit offenen Augen, bald
lächelnd, bald bedenklich die Stirn runzelnd, in die auf-
gehende Sonne und den lichten Tag.

Am folgenden Morgen ließ Rhodopis Krösus ersu-
chen, ihr eine Stunde zu schenken.

dunklen von Thränen erfüllten Augen glänzten dabei ſo
warm und ſelig, daß auch das Antlitz der Greiſin wieder
freundlich wurde.

Sappho ſchlang nun noch einmal ihre Arme um den
Hals der Großmutter, erzählte derſelben jedes Wort, wel-
ches der Geliebte zu ihr geſprochen hatte, und endete ihre
lange Rede mit dem Ausrufe: „O Großmutter, ich bin
gar zu glücklich! Und wenn Du nun gar mit uns nach
Perſien kommſt, dann hab’ ich nichts mehr von den Un-
ſterblichen zu erbitten.“

„Mögen Dich die Götter vor Enttäuſchung behüten,“
ſeufzte Rhodopis. „Nur mit neidiſchem Blicke betrachten
ſie das Glück der Sterblichen und wägen uns das Schlimme
mit verſchwenderiſchen, das Gute mit kargen Händen zu.
Geh jetzt in’s Bett, mein Kind, und bete mit mir, daß
dieß Alles ein glückliches Ende nehmen möge. Einem
Kinde habe ich meinen Morgengruß gebracht, einer Jung-
frau ſage ich gute Nacht; mögeſt Du mir als Gattin eben
ſo freudig Deinen Mund zum Kuſſe bieten, als eben jetzt.
— Morgen will ich euretwegen mit Kröſus reden. Von
ſeinem Ausſpruche wird es abhängen, ob ich Dir geſtatten
kann, Dich als Braut des Perſers zu betrachten, oder ob
ich Dich beſchwören muß, den Königsſohn zu vergeſſen, um
bald die Hausfrau eines Hellenen meiner Wahl zu werden.
Schlafe wohl, mein Liebling, ſchlummre ruhig; Deine alte
Großmutter wacht für Dich!“

Sappho entſchlief von ſeligen Träumen einge-
wiegt; Rhodopis aber ſchaute mit offenen Augen, bald
lächelnd, bald bedenklich die Stirn runzelnd, in die auf-
gehende Sonne und den lichten Tag.

Am folgenden Morgen ließ Rhodopis Kröſus erſu-
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[171/0189] dunklen von Thränen erfüllten Augen glänzten dabei ſo warm und ſelig, daß auch das Antlitz der Greiſin wieder freundlich wurde. Sappho ſchlang nun noch einmal ihre Arme um den Hals der Großmutter, erzählte derſelben jedes Wort, wel- ches der Geliebte zu ihr geſprochen hatte, und endete ihre lange Rede mit dem Ausrufe: „O Großmutter, ich bin gar zu glücklich! Und wenn Du nun gar mit uns nach Perſien kommſt, dann hab’ ich nichts mehr von den Un- ſterblichen zu erbitten.“ „Mögen Dich die Götter vor Enttäuſchung behüten,“ ſeufzte Rhodopis. „Nur mit neidiſchem Blicke betrachten ſie das Glück der Sterblichen und wägen uns das Schlimme mit verſchwenderiſchen, das Gute mit kargen Händen zu. Geh jetzt in’s Bett, mein Kind, und bete mit mir, daß dieß Alles ein glückliches Ende nehmen möge. Einem Kinde habe ich meinen Morgengruß gebracht, einer Jung- frau ſage ich gute Nacht; mögeſt Du mir als Gattin eben ſo freudig Deinen Mund zum Kuſſe bieten, als eben jetzt. — Morgen will ich euretwegen mit Kröſus reden. Von ſeinem Ausſpruche wird es abhängen, ob ich Dir geſtatten kann, Dich als Braut des Perſers zu betrachten, oder ob ich Dich beſchwören muß, den Königsſohn zu vergeſſen, um bald die Hausfrau eines Hellenen meiner Wahl zu werden. Schlafe wohl, mein Liebling, ſchlummre ruhig; Deine alte Großmutter wacht für Dich!“ Sappho entſchlief von ſeligen Träumen einge- wiegt; Rhodopis aber ſchaute mit offenen Augen, bald lächelnd, bald bedenklich die Stirn runzelnd, in die auf- gehende Sonne und den lichten Tag. Am folgenden Morgen ließ Rhodopis Kröſus erſu- chen, ihr eine Stunde zu ſchenken.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/189>, abgerufen am 30.04.2024.