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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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vereint mit der Ehrfurcht vor den Göttern, haben uns
Perser groß gemacht."

"Aber ich denke, daß ihr keine Götter kennt?"

"Thörichtes Kind! Wer könnte ohne Götter, wer
möchte ohne einen höheren Lenker bestehen? Freilich lassen wir
die Himmlischen nicht, wie ihr, in Häusern und Bildern
wohnen, denn ihre Wohnung ist Alles, was geschaffen
ist. Die Gottheit, welche überall sein, und Jedes hören
und sehen muß, läßt sich nicht in Mauern verschließen 189)."

"Wo aber betet und opfert ihr denn, wenn ihr keine
Tempel habt?"

"Auf dem größesten aller Altäre: in der freien Na-
tur; am liebsten auf dem Gipfel der Berge 190). Dort
sind wir unserm Mithra, der großen Sonne und Aura-
mazda, dem reinen schaffenden Lichte, am nächsten; da
dunkelt es zuletzt und wird es am frühsten hell. Nur das
Licht ist rein und gut; die Finsterniß schwarz und böse.
-- Ja, Mädchen, auf den Bergen ist uns die Gottheit am
nächsten; dort weilt sie am liebsten. Hast Du einmal auf
der waldigen Spitze eines Hochgebirgs gestanden und Dich
im feierlichen Schweigen der Natur vom schaurig leisen
Wehen des Odems der Gottheit umkreisen lassen? Hast
Du Dich jemals im grünen Walde, an reinen Quellen,
unter freiem Himmel, niedergeworfen und auf die Stimme
des Gottes gelauscht, welche aus allen Blättern redet und
aus allen Wassern spricht? Hast Du je gesehen, wie die
Flamme sich unwiderstehlich hinaufschwingt zu ihrem Va-
ter, der Sonne, und das Gebet, im himmelansteigenden
Rauche, dem großen strahlenden Schöpfer entgegenträgt? --
Du hörst mir verwundert zu; aber, Mädchen, ich sage Dir, Du
würdest mit mir niederknieen und anbeten, wenn ich Dich zu
einem Altar auf die Spitze des Hochgebirges führen wollte!"

Ebers, Eine ägyptische Königstochter. I. 10

vereint mit der Ehrfurcht vor den Göttern, haben uns
Perſer groß gemacht.“

„Aber ich denke, daß ihr keine Götter kennt?“

„Thörichtes Kind! Wer könnte ohne Götter, wer
möchte ohne einen höheren Lenker beſtehen? Freilich laſſen wir
die Himmliſchen nicht, wie ihr, in Häuſern und Bildern
wohnen, denn ihre Wohnung iſt Alles, was geſchaffen
iſt. Die Gottheit, welche überall ſein, und Jedes hören
und ſehen muß, läßt ſich nicht in Mauern verſchließen 189).“

„Wo aber betet und opfert ihr denn, wenn ihr keine
Tempel habt?“

„Auf dem größeſten aller Altäre: in der freien Na-
tur; am liebſten auf dem Gipfel der Berge 190). Dort
ſind wir unſerm Mithra, der großen Sonne und Aura-
mazda, dem reinen ſchaffenden Lichte, am nächſten; da
dunkelt es zuletzt und wird es am frühſten hell. Nur das
Licht iſt rein und gut; die Finſterniß ſchwarz und böſe.
— Ja, Mädchen, auf den Bergen iſt uns die Gottheit am
nächſten; dort weilt ſie am liebſten. Haſt Du einmal auf
der waldigen Spitze eines Hochgebirgs geſtanden und Dich
im feierlichen Schweigen der Natur vom ſchaurig leiſen
Wehen des Odems der Gottheit umkreiſen laſſen? Haſt
Du Dich jemals im grünen Walde, an reinen Quellen,
unter freiem Himmel, niedergeworfen und auf die Stimme
des Gottes gelauſcht, welche aus allen Blättern redet und
aus allen Waſſern ſpricht? Haſt Du je geſehen, wie die
Flamme ſich unwiderſtehlich hinaufſchwingt zu ihrem Va-
ter, der Sonne, und das Gebet, im himmelanſteigenden
Rauche, dem großen ſtrahlenden Schöpfer entgegenträgt? —
Du hörſt mir verwundert zu; aber, Mädchen, ich ſage Dir, Du
würdeſt mit mir niederknieen und anbeten, wenn ich Dich zu
einem Altar auf die Spitze des Hochgebirges führen wollte!“

Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. I. 10
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[145/0163] vereint mit der Ehrfurcht vor den Göttern, haben uns Perſer groß gemacht.“ „Aber ich denke, daß ihr keine Götter kennt?“ „Thörichtes Kind! Wer könnte ohne Götter, wer möchte ohne einen höheren Lenker beſtehen? Freilich laſſen wir die Himmliſchen nicht, wie ihr, in Häuſern und Bildern wohnen, denn ihre Wohnung iſt Alles, was geſchaffen iſt. Die Gottheit, welche überall ſein, und Jedes hören und ſehen muß, läßt ſich nicht in Mauern verſchließen 189).“ „Wo aber betet und opfert ihr denn, wenn ihr keine Tempel habt?“ „Auf dem größeſten aller Altäre: in der freien Na- tur; am liebſten auf dem Gipfel der Berge 190). Dort ſind wir unſerm Mithra, der großen Sonne und Aura- mazda, dem reinen ſchaffenden Lichte, am nächſten; da dunkelt es zuletzt und wird es am frühſten hell. Nur das Licht iſt rein und gut; die Finſterniß ſchwarz und böſe. — Ja, Mädchen, auf den Bergen iſt uns die Gottheit am nächſten; dort weilt ſie am liebſten. Haſt Du einmal auf der waldigen Spitze eines Hochgebirgs geſtanden und Dich im feierlichen Schweigen der Natur vom ſchaurig leiſen Wehen des Odems der Gottheit umkreiſen laſſen? Haſt Du Dich jemals im grünen Walde, an reinen Quellen, unter freiem Himmel, niedergeworfen und auf die Stimme des Gottes gelauſcht, welche aus allen Blättern redet und aus allen Waſſern ſpricht? Haſt Du je geſehen, wie die Flamme ſich unwiderſtehlich hinaufſchwingt zu ihrem Va- ter, der Sonne, und das Gebet, im himmelanſteigenden Rauche, dem großen ſtrahlenden Schöpfer entgegenträgt? — Du hörſt mir verwundert zu; aber, Mädchen, ich ſage Dir, Du würdeſt mit mir niederknieen und anbeten, wenn ich Dich zu einem Altar auf die Spitze des Hochgebirges führen wollte!“ Ebers, Eine ägyptiſche Königstochter. I. 10

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/163>, abgerufen am 30.04.2024.