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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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große Schönheit des persischen Königssohnes, -- denn dieser
war der frühe Besucher, -- rührte sich nicht von ihrem
Platze und konnte ihre Augen nicht von seinem Angesichte
wenden. Gerade so hatte sie sich den schönlockigen Apollon,
den Führer des Sonnenwagens und der Musen, vorgestellt.

Melitta und der Fremde näherten sich ihrem Ver-
stecke; -- sie aber drängte das Köpfchen zwischen den Ro-
sen hervor, um den Jüngling, welcher freundlich, aber in
gebrochenem Griechisch, zu der alten Sclavin sprach, besser
verstehen zu können.

Jetzt vernahm sie, daß sich derselbe in einer ge-
wissen Hast nach Krösus und dem Sohne desselben erkun-
digte. Dann hörte sie auch zum Erstenmale von der alten
Sclavin Alles, was sich am gestrigen Abende zugetragen
hatte. Sie zitterte für Phanes, sie dankte in ihrem Her-
zen dem edlen Gyges, sie fragte sich, wer dieser königlich
geschmückte Jüngling sein möge. Wohl hatte ihr Rhodo-
pis von den Heldenthaten des Kyros, vom Sturze des
Krösus, von der Macht und dem Reichthum der Perser
erzählt; bis dahin hatte sie aber die Asiaten für ein wil-
des, rohes Volk gehalten. -- Je länger sie nun den schö-
nen Bartja anschaute, je höher wuchs ihre Theilnahme
für die Perser. Als sich endlich Melitta entfernte, um
ihre Großmutter zu wecken und derselben den frühen Be-
such zu melden, wollte sie ihr folgen; Eros aber, der
thörichte Knabe, über dessen kindliche Unwissenheit das
Mädchen noch vor wenigen Minuten gespottet hatte, wollt'
es anders. Jhr Gewand verfing sich in den Dornen der
Rosen, und, ehe sie sich von denselben los machen konnte,
stand ihr der schöne Perser bereits gegenüber und half
dem hocherröthenden Mädchen ihr Kleid von dem verräthe-
rischen Strauche zu befreien.

große Schönheit des perſiſchen Königsſohnes, — denn dieſer
war der frühe Beſucher, — rührte ſich nicht von ihrem
Platze und konnte ihre Augen nicht von ſeinem Angeſichte
wenden. Gerade ſo hatte ſie ſich den ſchönlockigen Apollon,
den Führer des Sonnenwagens und der Muſen, vorgeſtellt.

Melitta und der Fremde näherten ſich ihrem Ver-
ſtecke; — ſie aber drängte das Köpfchen zwiſchen den Ro-
ſen hervor, um den Jüngling, welcher freundlich, aber in
gebrochenem Griechiſch, zu der alten Sclavin ſprach, beſſer
verſtehen zu können.

Jetzt vernahm ſie, daß ſich derſelbe in einer ge-
wiſſen Haſt nach Kröſus und dem Sohne deſſelben erkun-
digte. Dann hörte ſie auch zum Erſtenmale von der alten
Sclavin Alles, was ſich am geſtrigen Abende zugetragen
hatte. Sie zitterte für Phanes, ſie dankte in ihrem Her-
zen dem edlen Gyges, ſie fragte ſich, wer dieſer königlich
geſchmückte Jüngling ſein möge. Wohl hatte ihr Rhodo-
pis von den Heldenthaten des Kyros, vom Sturze des
Kröſus, von der Macht und dem Reichthum der Perſer
erzählt; bis dahin hatte ſie aber die Aſiaten für ein wil-
des, rohes Volk gehalten. — Je länger ſie nun den ſchö-
nen Bartja anſchaute, je höher wuchs ihre Theilnahme
für die Perſer. Als ſich endlich Melitta entfernte, um
ihre Großmutter zu wecken und derſelben den frühen Be-
ſuch zu melden, wollte ſie ihr folgen; Eros aber, der
thörichte Knabe, über deſſen kindliche Unwiſſenheit das
Mädchen noch vor wenigen Minuten geſpottet hatte, wollt’
es anders. Jhr Gewand verfing ſich in den Dornen der
Roſen, und, ehe ſie ſich von denſelben los machen konnte,
ſtand ihr der ſchöne Perſer bereits gegenüber und half
dem hocherröthenden Mädchen ihr Kleid von dem verräthe-
riſchen Strauche zu befreien.

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[140/0158] große Schönheit des perſiſchen Königsſohnes, — denn dieſer war der frühe Beſucher, — rührte ſich nicht von ihrem Platze und konnte ihre Augen nicht von ſeinem Angeſichte wenden. Gerade ſo hatte ſie ſich den ſchönlockigen Apollon, den Führer des Sonnenwagens und der Muſen, vorgeſtellt. Melitta und der Fremde näherten ſich ihrem Ver- ſtecke; — ſie aber drängte das Köpfchen zwiſchen den Ro- ſen hervor, um den Jüngling, welcher freundlich, aber in gebrochenem Griechiſch, zu der alten Sclavin ſprach, beſſer verſtehen zu können. Jetzt vernahm ſie, daß ſich derſelbe in einer ge- wiſſen Haſt nach Kröſus und dem Sohne deſſelben erkun- digte. Dann hörte ſie auch zum Erſtenmale von der alten Sclavin Alles, was ſich am geſtrigen Abende zugetragen hatte. Sie zitterte für Phanes, ſie dankte in ihrem Her- zen dem edlen Gyges, ſie fragte ſich, wer dieſer königlich geſchmückte Jüngling ſein möge. Wohl hatte ihr Rhodo- pis von den Heldenthaten des Kyros, vom Sturze des Kröſus, von der Macht und dem Reichthum der Perſer erzählt; bis dahin hatte ſie aber die Aſiaten für ein wil- des, rohes Volk gehalten. — Je länger ſie nun den ſchö- nen Bartja anſchaute, je höher wuchs ihre Theilnahme für die Perſer. Als ſich endlich Melitta entfernte, um ihre Großmutter zu wecken und derſelben den frühen Be- ſuch zu melden, wollte ſie ihr folgen; Eros aber, der thörichte Knabe, über deſſen kindliche Unwiſſenheit das Mädchen noch vor wenigen Minuten geſpottet hatte, wollt’ es anders. Jhr Gewand verfing ſich in den Dornen der Roſen, und, ehe ſie ſich von denſelben los machen konnte, ſtand ihr der ſchöne Perſer bereits gegenüber und half dem hocherröthenden Mädchen ihr Kleid von dem verräthe- riſchen Strauche zu befreien.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/158>, abgerufen am 30.04.2024.