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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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nicht kennst. -- Jhr Freunde, Phanes ist gerettet. Lebe
wohl, mein Vater!"

Erstaunten Muthes schauten die Zurückbleibenden auf
die sich entfernenden Männer. Kurze Zeit nach ihrem
Verschwinden hörten die lauschenden Gäste den Hufschlag
zweier fortsprengender Pferde; dann vernahmen sie nach
längerer Zeit einen langgedehnten Pfiff und Hülferufe vom
Nile her.

"Wo ist Knakias?" fragte Rhodopis einen ihrer
Sclaven.

"Er hat sich mit Phanes und dem Perser in den
Garten begeben." Jn diesem Augenblicke trat der alte
Diener zitternd und bleich in das Zimmer.

"Hast Du meinen Sohn gesehen?" rief ihm Krösus
entgegen.

"Wo ist Phanes?"

"Beide lassen Euch den Abschiedsgruß durch mich über-
bringen."

"So sind sie fort? -- Wohin gingen sie? Wie ist
es möglich ...?"

"Hier in diesem Seitenzimmer," erzählte der Sclave,
"hatten der Athener und der Perser zuerst einen Wort-
wechsel. Dann mußte ich beide entkleiden. Phanes that
die Hosen, den Rock und den Gürtel des Fremden an und
setzte dessen spitze Mütze auf seine Locken; -- der Perser
aber hüllte sich in das Chiton und den Mantel des Athe-
ners, schmückte seine Stirn mit dem goldnen Reife dessel-
ben, ließ sich die Haare von seiner Oberlippe schnei-
den, und befahl mir, ihm in den Garten zu folgen.

"Phanes, den Jedermann in seiner neuen Kleidung
für einen Perser halten mußte, schwang sich auf eines
der vor der Pforte haltenden Rosse. Der Fremde rief

nicht kennſt. — Jhr Freunde, Phanes iſt gerettet. Lebe
wohl, mein Vater!“

Erſtaunten Muthes ſchauten die Zurückbleibenden auf
die ſich entfernenden Männer. Kurze Zeit nach ihrem
Verſchwinden hörten die lauſchenden Gäſte den Hufſchlag
zweier fortſprengender Pferde; dann vernahmen ſie nach
längerer Zeit einen langgedehnten Pfiff und Hülferufe vom
Nile her.

„Wo iſt Knakias?“ fragte Rhodopis einen ihrer
Sclaven.

„Er hat ſich mit Phanes und dem Perſer in den
Garten begeben.“ Jn dieſem Augenblicke trat der alte
Diener zitternd und bleich in das Zimmer.

„Haſt Du meinen Sohn geſehen?“ rief ihm Kröſus
entgegen.

„Wo iſt Phanes?“

„Beide laſſen Euch den Abſchiedsgruß durch mich über-
bringen.“

„So ſind ſie fort? — Wohin gingen ſie? Wie iſt
es möglich ...?“

„Hier in dieſem Seitenzimmer,“ erzählte der Sclave,
„hatten der Athener und der Perſer zuerſt einen Wort-
wechſel. Dann mußte ich beide entkleiden. Phanes that
die Hoſen, den Rock und den Gürtel des Fremden an und
ſetzte deſſen ſpitze Mütze auf ſeine Locken; — der Perſer
aber hüllte ſich in das Chiton und den Mantel des Athe-
ners, ſchmückte ſeine Stirn mit dem goldnen Reife deſſel-
ben, ließ ſich die Haare von ſeiner Oberlippe ſchnei-
den, und befahl mir, ihm in den Garten zu folgen.

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für einen Perſer halten mußte, ſchwang ſich auf eines
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[133/0151] nicht kennſt. — Jhr Freunde, Phanes iſt gerettet. Lebe wohl, mein Vater!“ Erſtaunten Muthes ſchauten die Zurückbleibenden auf die ſich entfernenden Männer. Kurze Zeit nach ihrem Verſchwinden hörten die lauſchenden Gäſte den Hufſchlag zweier fortſprengender Pferde; dann vernahmen ſie nach längerer Zeit einen langgedehnten Pfiff und Hülferufe vom Nile her. „Wo iſt Knakias?“ fragte Rhodopis einen ihrer Sclaven. „Er hat ſich mit Phanes und dem Perſer in den Garten begeben.“ Jn dieſem Augenblicke trat der alte Diener zitternd und bleich in das Zimmer. „Haſt Du meinen Sohn geſehen?“ rief ihm Kröſus entgegen. „Wo iſt Phanes?“ „Beide laſſen Euch den Abſchiedsgruß durch mich über- bringen.“ „So ſind ſie fort? — Wohin gingen ſie? Wie iſt es möglich ...?“ „Hier in dieſem Seitenzimmer,“ erzählte der Sclave, „hatten der Athener und der Perſer zuerſt einen Wort- wechſel. Dann mußte ich beide entkleiden. Phanes that die Hoſen, den Rock und den Gürtel des Fremden an und ſetzte deſſen ſpitze Mütze auf ſeine Locken; — der Perſer aber hüllte ſich in das Chiton und den Mantel des Athe- ners, ſchmückte ſeine Stirn mit dem goldnen Reife deſſel- ben, ließ ſich die Haare von ſeiner Oberlippe ſchnei- den, und befahl mir, ihm in den Garten zu folgen. „Phanes, den Jedermann in ſeiner neuen Kleidung für einen Perſer halten mußte, ſchwang ſich auf eines der vor der Pforte haltenden Roſſe. Der Fremde rief

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/151>, abgerufen am 30.04.2024.