Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747.Gedanken über einen redenden Raben. Warum? wir denken so, er hat sonst nichts ge-lernt, Er höret wieder auf, wenn man sich nur entfernt. Wie könten wir nicht auch so von den Menschen denken Die uns mit Lästerung bei reiner Unschuld kränken? Allein so bald ein Mensch, der warlich Raben-Art Uns durch ein Schimpfwort schilt in unsrer Gegen- wart, So werden wir ergrimmt, wir suchen ihm sein Schelten, Mit einer gleichen Münz gedoppelt zu vergelten. Und wird uns nur gesagt, daß eine Lästerzung Mit Geiffer uns besprüzt, so folgt Erbitterung Die gleich auf Rache denkt, wir suchen den zu schaden, Der uns zur Ungebühr, mit Lästerung beladen. So lieblos ist der Mensch, er zieht ein albern Thier, Das ihn mit Grobheit schimpft, selbst einem Men- schen für. Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu sprechen, Und will dagegen sich doch an den Menschen rächen. Ja! sagst du das ist recht das Thier versteht es nicht, Ein Rabe schimpft uns nicht, weil er als Rabe spricht, Allein ein Mensche muß auch als ein Mensche spre- chen, Sonst muß man wenn er schimpft, ihm das Ge- nikke brechen. O! übereil dich nicht, in deiner blinden Wuth, Jch zweifle noch daran, ob ers als Mensche thut. Ein Lästrer ist ein Mensch, nach den Gesichtes Zü- gen, Jn
Gedanken uͤber einen redenden Raben. Warum? wir denken ſo, er hat ſonſt nichts ge-lernt, Er hoͤret wieder auf, wenn man ſich nur entfernt. Wie koͤnten wir nicht auch ſo von den Menſchen denken Die uns mit Laͤſterung bei reiner Unſchuld kraͤnken? Allein ſo bald ein Menſch, der warlich Raben-Art Uns durch ein Schimpfwort ſchilt in unſrer Gegen- wart, So werden wir ergrimmt, wir ſuchen ihm ſein Schelten, Mit einer gleichen Muͤnz gedoppelt zu vergelten. Und wird uns nur geſagt, daß eine Laͤſterzung Mit Geiffer uns beſpruͤzt, ſo folgt Erbitterung Die gleich auf Rache denkt, wir ſuchen den zu ſchaden, Der uns zur Ungebuͤhr, mit Laͤſterung beladen. So lieblos iſt der Menſch, er zieht ein albern Thier, Das ihn mit Grobheit ſchimpft, ſelbſt einem Men- ſchen fuͤr. Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu ſprechen, Und will dagegen ſich doch an den Menſchen raͤchen. Ja! ſagſt du das iſt recht das Thier verſteht es nicht, Ein Rabe ſchimpft uns nicht, weil er als Rabe ſpricht, Allein ein Menſche muß auch als ein Menſche ſpre- chen, Sonſt muß man wenn er ſchimpft, ihm das Ge- nikke brechen. O! uͤbereil dich nicht, in deiner blinden Wuth, Jch zweifle noch daran, ob ers als Menſche thut. Ein Laͤſtrer iſt ein Menſch, nach den Geſichtes Zuͤ- gen, Jn
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Gedanken uͤber einen redenden Raben.
Warum? wir denken ſo, er hat ſonſt nichts ge-
lernt,
Er hoͤret wieder auf, wenn man ſich nur entfernt.
Wie koͤnten wir nicht auch ſo von den Menſchen denken
Die uns mit Laͤſterung bei reiner Unſchuld kraͤnken?
Allein ſo bald ein Menſch, der warlich Raben-Art
Uns durch ein Schimpfwort ſchilt in unſrer Gegen-
wart,
So werden wir ergrimmt, wir ſuchen ihm ſein
Schelten,
Mit einer gleichen Muͤnz gedoppelt zu vergelten.
Und wird uns nur geſagt, daß eine Laͤſterzung
Mit Geiffer uns beſpruͤzt, ſo folgt Erbitterung
Die gleich auf Rache denkt, wir ſuchen den zu
ſchaden,
Der uns zur Ungebuͤhr, mit Laͤſterung beladen.
So lieblos iſt der Menſch, er zieht ein albern
Thier,
Das ihn mit Grobheit ſchimpft, ſelbſt einem Men-
ſchen fuͤr.
Er pflegt den Raben gern von Schimpfe frei zu
ſprechen,
Und will dagegen ſich doch an den Menſchen raͤchen.
Ja! ſagſt du das iſt recht das Thier verſteht es
nicht,
Ein Rabe ſchimpft uns nicht, weil er als Rabe
ſpricht,
Allein ein Menſche muß auch als ein Menſche ſpre-
chen,
Sonſt muß man wenn er ſchimpft, ihm das Ge-
nikke brechen.
O! uͤbereil dich nicht, in deiner blinden Wuth,
Jch zweifle noch daran, ob ers als Menſche thut.
Ein Laͤſtrer iſt ein Menſch, nach den Geſichtes Zuͤ-
gen,
Jn
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