Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 1. Hildesheim, 1747.gemeiniglich den Himmel vorstellen. Wornach der Seelgen grosse Chöre, im HimmelsSaale jauchzend springen. So bildet sich auch woll ein Christ, der eitle Wol- lust suchet, ein Der Himmel müst ein Paradies, so wie die Tür- ken glauben, sein, Wo lauter sinnliche Vergnügen; wo lauter süsse Früchte spriessen, Wo lauter süsse Ströme rinnen, die jene Seeli- gen geniessen. Wer Fleisches Wollust haßt und flieth, hingegen über alles liebt, Was seinen Geist bei stiller Ruh, in Denken und Be- trachten übt, Der gläubt gar leichte das der Himmel, die See- ligkeit darin bestünde, Daß jeder durch ein tieffes Denken stets neue War- heiten erfünde. Wer stets bei seinen Zirkel sizt, der Erden grosse Kugel mißt, Der Länder Läng und Breite zählt; wer gerne Neu- igkeiten ließt, Und darin sein Ergözzen findet, der denkt, als wenn die seelgen Geister Zu ihrer Lust den Himmel messen; als wenn sie ewge Rechenmeister; Der gläubt, als wenn in jener Welt, in jener Seelgen frohen Chörn, Jn englischer Gesellschaft stets viel Neuigkeiten an- zuhörn. Wer aber nur die Weltgeschichte, die Alterthümer sich erwählet, Der gläubt, daß man in jenen Leben, den See- ligen zur Lust erzählet, Was
gemeiniglich den Himmel vorſtellen. Wornach der Seelgen groſſe Choͤre, im HimmelsSaale jauchzend ſpringen. So bildet ſich auch woll ein Chriſt, der eitle Wol- luſt ſuchet, ein Der Himmel muͤſt ein Paradies, ſo wie die Tuͤr- ken glauben, ſein, Wo lauter ſinnliche Vergnuͤgen; wo lauter ſuͤſſe Fruͤchte ſprieſſen, Wo lauter ſuͤſſe Stroͤme rinnen, die jene Seeli- gen genieſſen. Wer Fleiſches Wolluſt haßt und flieth, hingegen uͤber alles liebt, Was ſeinen Geiſt bei ſtiller Ruh, in Denken und Be- trachten uͤbt, Der glaͤubt gar leichte das der Himmel, die See- ligkeit darin beſtuͤnde, Daß jeder durch ein tieffes Denken ſtets neue War- heiten erfuͤnde. Wer ſtets bei ſeinen Zirkel ſizt, der Erden groſſe Kugel mißt, Der Laͤnder Laͤng und Breite zaͤhlt; wer gerne Neu- igkeiten ließt, Und darin ſein Ergoͤzzen findet, der denkt, als wenn die ſeelgen Geiſter Zu ihrer Luſt den Himmel meſſen; als wenn ſie ewge Rechenmeiſter; Der glaͤubt, als wenn in jener Welt, in jener Seelgen frohen Choͤrn, Jn engliſcher Geſellſchaft ſtets viel Neuigkeiten an- zuhoͤrn. Wer aber nur die Weltgeſchichte, die Alterthuͤmer ſich erwaͤhlet, Der glaͤubt, daß man in jenen Leben, den See- ligen zur Luſt erzaͤhlet, Was
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gemeiniglich den Himmel vorſtellen.
Wornach der Seelgen groſſe Choͤre, im Himmels
Saale jauchzend ſpringen.
So bildet ſich auch woll ein Chriſt, der eitle Wol-
luſt ſuchet, ein
Der Himmel muͤſt ein Paradies, ſo wie die Tuͤr-
ken glauben, ſein,
Wo lauter ſinnliche Vergnuͤgen; wo lauter ſuͤſſe
Fruͤchte ſprieſſen,
Wo lauter ſuͤſſe Stroͤme rinnen, die jene Seeli-
gen genieſſen.
Wer Fleiſches Wolluſt haßt und flieth, hingegen
uͤber alles liebt,
Was ſeinen Geiſt bei ſtiller Ruh, in Denken und Be-
trachten uͤbt,
Der glaͤubt gar leichte das der Himmel, die See-
ligkeit darin beſtuͤnde,
Daß jeder durch ein tieffes Denken ſtets neue War-
heiten erfuͤnde.
Wer ſtets bei ſeinen Zirkel ſizt, der Erden groſſe
Kugel mißt,
Der Laͤnder Laͤng und Breite zaͤhlt; wer gerne Neu-
igkeiten ließt,
Und darin ſein Ergoͤzzen findet, der denkt, als wenn
die ſeelgen Geiſter
Zu ihrer Luſt den Himmel meſſen; als wenn ſie
ewge Rechenmeiſter;
Der glaͤubt, als wenn in jener Welt, in jener
Seelgen frohen Choͤrn,
Jn engliſcher Geſellſchaft ſtets viel Neuigkeiten an-
zuhoͤrn.
Wer aber nur die Weltgeſchichte, die Alterthuͤmer
ſich erwaͤhlet,
Der glaͤubt, daß man in jenen Leben, den See-
ligen zur Luſt erzaͤhlet,
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Zitationshilfe: | Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 1. Hildesheim, 1747, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen01_1747/347>, abgerufen am 16.02.2025. |