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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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Verwunderung, aber man kann sie nicht lange festhalten.
Durch das Dazwischentreten eines Moments besonderer Schwer-
fälligkeit wird umgekehrt die fehlerlose Reproduktion eine
Weile hinausgeschoben, obgleich man wohl fühlt, dass man
die Reihe "eigentlich" beherrscht und sich ebenfalls wundert
über die immer wieder auftretenden Stockungen. Im ersten
Falle bleibt die Reihe trotz der Gleichheit des äusserlich Er-
scheinenden etwas unter dem Niveau der durchschnittlich
hiermit verbundenen inneren Festigkeit, im zweiten geht sie
etwas darüber hinaus, und man kann, wie gesagt, höchstens
die plausible Vermutung aufstellen, dass diese Abweichungen
sich bei grösseren Gruppen von Reihen kompensieren werden.

Die andere Fehlerquelle kann ich nur als eine möglicher-
weise vorhandene, dann aber als eine sehr gefährliche be-
zeichnen. Das ist der geheime Einfluss von sich bildenden
Theorien und Ansichten. Eine Untersuchung pflegt auszu-
gehen von bestimmten Voraussetzungen in Betreff der Resul-
tate. Ist das aber auch von vornherein nicht der Fall, so
bilden sich diese allmählich, falls man gezwungen ist, alleine
zu experimentieren. Denn es ist unmöglich, die Untersuchung
längere Zeit fortzuführen, ohne von den Resultaten Kenntnis
zu nehmen. Man muss wissen, ob die Fragestellung eine
richtige war, oder ob sie vielleicht einer Ergänzung oder Kor-
rektur bedarf; man muss die Schwankungen der Resultate
kontrollieren, um die Einzelbeobachtungen so lange fortzusetzen,
dass der Mittelwert die für den jeweiligen Zweck erforderliche
Sicherheit erhält. Dabei ist es unvermeidlich, dass sich nun
hinterher an der Anschauung der Zahlen Vermutungen ent-
wickeln über die Gesetzmässigkeit, die in ihnen verborgen
sein könnte und -- einstweilen noch unvollkommen -- zur
Erscheinung kommt. Bei der Fortsetzung der Untersuchungen
bilden dann diese Vermutungen ebenso wie die anfänglich

Verwunderung, aber man kann sie nicht lange festhalten.
Durch das Dazwischentreten eines Moments besonderer Schwer-
fälligkeit wird umgekehrt die fehlerlose Reproduktion eine
Weile hinausgeschoben, obgleich man wohl fühlt, daſs man
die Reihe „eigentlich“ beherrscht und sich ebenfalls wundert
über die immer wieder auftretenden Stockungen. Im ersten
Falle bleibt die Reihe trotz der Gleichheit des äuſserlich Er-
scheinenden etwas unter dem Niveau der durchschnittlich
hiermit verbundenen inneren Festigkeit, im zweiten geht sie
etwas darüber hinaus, und man kann, wie gesagt, höchstens
die plausible Vermutung aufstellen, daſs diese Abweichungen
sich bei gröſseren Gruppen von Reihen kompensieren werden.

Die andere Fehlerquelle kann ich nur als eine möglicher-
weise vorhandene, dann aber als eine sehr gefährliche be-
zeichnen. Das ist der geheime Einfluſs von sich bildenden
Theorien und Ansichten. Eine Untersuchung pflegt auszu-
gehen von bestimmten Voraussetzungen in Betreff der Resul-
tate. Ist das aber auch von vornherein nicht der Fall, so
bilden sich diese allmählich, falls man gezwungen ist, alleine
zu experimentieren. Denn es ist unmöglich, die Untersuchung
längere Zeit fortzuführen, ohne von den Resultaten Kenntnis
zu nehmen. Man muſs wissen, ob die Fragestellung eine
richtige war, oder ob sie vielleicht einer Ergänzung oder Kor-
rektur bedarf; man muſs die Schwankungen der Resultate
kontrollieren, um die Einzelbeobachtungen so lange fortzusetzen,
daſs der Mittelwert die für den jeweiligen Zweck erforderliche
Sicherheit erhält. Dabei ist es unvermeidlich, daſs sich nun
hinterher an der Anschauung der Zahlen Vermutungen ent-
wickeln über die Gesetzmäſsigkeit, die in ihnen verborgen
sein könnte und — einstweilen noch unvollkommen — zur
Erscheinung kommt. Bei der Fortsetzung der Untersuchungen
bilden dann diese Vermutungen ebenso wie die anfänglich

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[38/0054] Verwunderung, aber man kann sie nicht lange festhalten. Durch das Dazwischentreten eines Moments besonderer Schwer- fälligkeit wird umgekehrt die fehlerlose Reproduktion eine Weile hinausgeschoben, obgleich man wohl fühlt, daſs man die Reihe „eigentlich“ beherrscht und sich ebenfalls wundert über die immer wieder auftretenden Stockungen. Im ersten Falle bleibt die Reihe trotz der Gleichheit des äuſserlich Er- scheinenden etwas unter dem Niveau der durchschnittlich hiermit verbundenen inneren Festigkeit, im zweiten geht sie etwas darüber hinaus, und man kann, wie gesagt, höchstens die plausible Vermutung aufstellen, daſs diese Abweichungen sich bei gröſseren Gruppen von Reihen kompensieren werden. Die andere Fehlerquelle kann ich nur als eine möglicher- weise vorhandene, dann aber als eine sehr gefährliche be- zeichnen. Das ist der geheime Einfluſs von sich bildenden Theorien und Ansichten. Eine Untersuchung pflegt auszu- gehen von bestimmten Voraussetzungen in Betreff der Resul- tate. Ist das aber auch von vornherein nicht der Fall, so bilden sich diese allmählich, falls man gezwungen ist, alleine zu experimentieren. Denn es ist unmöglich, die Untersuchung längere Zeit fortzuführen, ohne von den Resultaten Kenntnis zu nehmen. Man muſs wissen, ob die Fragestellung eine richtige war, oder ob sie vielleicht einer Ergänzung oder Kor- rektur bedarf; man muſs die Schwankungen der Resultate kontrollieren, um die Einzelbeobachtungen so lange fortzusetzen, daſs der Mittelwert die für den jeweiligen Zweck erforderliche Sicherheit erhält. Dabei ist es unvermeidlich, daſs sich nun hinterher an der Anschauung der Zahlen Vermutungen ent- wickeln über die Gesetzmäſsigkeit, die in ihnen verborgen sein könnte und — einstweilen noch unvollkommen — zur Erscheinung kommt. Bei der Fortsetzung der Untersuchungen bilden dann diese Vermutungen ebenso wie die anfänglich

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/54>, abgerufen am 25.11.2024.