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Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

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einigermassen überwinden. Unter den äusseren Bedingungen
dieser Vorgänge sind einige der Messung direkt zugänglich (Zeit,
Zahl der Wiederholungen). Dieselben lassen sich verwerten,
um auch da indirekt ein numerisches Element zu gewinnen,
wo dies direkt nicht mehr möglich ist. Man muss nicht ab-
warten, bis die dem Gedächtnis anvertrauten Vorstellungs-
reihen von selbst wieder ins Bewusstsein treten, sondern man
muss ihnen entgegenkommen und sie so weit auffrischen, bis
sie gerade fehlerlos reproduciert werden können. Die dazu
unter bestimmten Umständen erforderliche Arbeit betrachte
ich versuchsweise als ein Mass für den Einfluss dieser Um-
stände; die bei Abänderung der Umstände hervortretenden
Arbeitsdifferenzen als Masse für den Einfluss eben jener Ab-
änderungen.

Ob sich auch die erste Schwierigkeit, die der Herstel-
lung konstanter Versuchsumstände, befriedigend überwinden
lasse, kann a priori nicht entschieden werden. Man muss
einmal Versuche unter möglichst gleichen Umständen anstellen
und zusehen, ob die, im einzelnen voraussichtlich immer von
einander abweichenden Resultate bei Zusammenfassung grösse-
rer Gruppen konstante Durchschnittswerte liefern. Indes an
und für sich ist das noch nicht hinreichend, um die gefun-
denen Zahlen zur Aufstellung numerischer Abhängigkeits-
beziehungen im naturwissenschaftlichen Sinne zu verwerten.
Die Statistik operiert mit einer grossen Menge konstanter
Durchschnittszahlen, die gar nicht der häufigen Wiederholung
eines begrifflich gleichartigen Geschehens entspringen und
also auch nicht zu weiteren Einsichten in ein solches ver-
helfen können. Bei der grossen Kompliciertheit des psychi-
schen Lebens lässt sich die Möglichkeit nicht abweisen, dass
etwa gefundene konstante Mittelwerte von der Art solcher
statistischen Konstanten sind. Um darüber zu orientieren,

einigermaſsen überwinden. Unter den äuſseren Bedingungen
dieser Vorgänge sind einige der Messung direkt zugänglich (Zeit,
Zahl der Wiederholungen). Dieselben lassen sich verwerten,
um auch da indirekt ein numerisches Element zu gewinnen,
wo dies direkt nicht mehr möglich ist. Man muſs nicht ab-
warten, bis die dem Gedächtnis anvertrauten Vorstellungs-
reihen von selbst wieder ins Bewuſstsein treten, sondern man
muſs ihnen entgegenkommen und sie so weit auffrischen, bis
sie gerade fehlerlos reproduciert werden können. Die dazu
unter bestimmten Umständen erforderliche Arbeit betrachte
ich versuchsweise als ein Maſs für den Einfluſs dieser Um-
stände; die bei Abänderung der Umstände hervortretenden
Arbeitsdifferenzen als Maſse für den Einfluss eben jener Ab-
änderungen.

Ob sich auch die erste Schwierigkeit, die der Herstel-
lung konstanter Versuchsumstände, befriedigend überwinden
lasse, kann a priori nicht entschieden werden. Man muſs
einmal Versuche unter möglichst gleichen Umständen anstellen
und zusehen, ob die, im einzelnen voraussichtlich immer von
einander abweichenden Resultate bei Zusammenfassung gröſse-
rer Gruppen konstante Durchschnittswerte liefern. Indes an
und für sich ist das noch nicht hinreichend, um die gefun-
denen Zahlen zur Aufstellung numerischer Abhängigkeits-
beziehungen im naturwissenschaftlichen Sinne zu verwerten.
Die Statistik operiert mit einer groſsen Menge konstanter
Durchschnittszahlen, die gar nicht der häufigen Wiederholung
eines begrifflich gleichartigen Geschehens entspringen und
also auch nicht zu weiteren Einsichten in ein solches ver-
helfen können. Bei der groſsen Kompliciertheit des psychi-
schen Lebens läſst sich die Möglichkeit nicht abweisen, daſs
etwa gefundene konstante Mittelwerte von der Art solcher
statistischen Konstanten sind. Um darüber zu orientieren,

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[26/0042] einigermaſsen überwinden. Unter den äuſseren Bedingungen dieser Vorgänge sind einige der Messung direkt zugänglich (Zeit, Zahl der Wiederholungen). Dieselben lassen sich verwerten, um auch da indirekt ein numerisches Element zu gewinnen, wo dies direkt nicht mehr möglich ist. Man muſs nicht ab- warten, bis die dem Gedächtnis anvertrauten Vorstellungs- reihen von selbst wieder ins Bewuſstsein treten, sondern man muſs ihnen entgegenkommen und sie so weit auffrischen, bis sie gerade fehlerlos reproduciert werden können. Die dazu unter bestimmten Umständen erforderliche Arbeit betrachte ich versuchsweise als ein Maſs für den Einfluſs dieser Um- stände; die bei Abänderung der Umstände hervortretenden Arbeitsdifferenzen als Maſse für den Einfluss eben jener Ab- änderungen. Ob sich auch die erste Schwierigkeit, die der Herstel- lung konstanter Versuchsumstände, befriedigend überwinden lasse, kann a priori nicht entschieden werden. Man muſs einmal Versuche unter möglichst gleichen Umständen anstellen und zusehen, ob die, im einzelnen voraussichtlich immer von einander abweichenden Resultate bei Zusammenfassung gröſse- rer Gruppen konstante Durchschnittswerte liefern. Indes an und für sich ist das noch nicht hinreichend, um die gefun- denen Zahlen zur Aufstellung numerischer Abhängigkeits- beziehungen im naturwissenschaftlichen Sinne zu verwerten. Die Statistik operiert mit einer groſsen Menge konstanter Durchschnittszahlen, die gar nicht der häufigen Wiederholung eines begrifflich gleichartigen Geschehens entspringen und also auch nicht zu weiteren Einsichten in ein solches ver- helfen können. Bei der groſsen Kompliciertheit des psychi- schen Lebens läſst sich die Möglichkeit nicht abweisen, daſs etwa gefundene konstante Mittelwerte von der Art solcher statistischen Konstanten sind. Um darüber zu orientieren,

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Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/42>, abgerufen am 28.03.2024.