Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

der Unsicherheit der in Betracht kommenden Zahlen kann
ich nur mit grosser Reserve darauf aufmerksam machen.
Aber ganz übergehen möchte ich es nicht, weil es in sich
wahrscheinlich ist und weil es, bei fernerer Bestätigung, ein
charakteristisches Licht auf thatsächlich vorhandene, aber un-
bewusst bleibende innere Vorgänge werfen würde und auf die
relative Unabhängigkeit derselben von bewussten Begleiterschei-
nungen, auf die ich schon oben einmal hinwies (§ 24).

Die Ableitung der umgeformten Silbenreihen geschah,
wie erwähnt, bei den zuletzt besprochenen Untersuchungen
in der Weise, dass aus zwei beliebig zusammengesetzten
16silbigen Reihen erst die sämtlichen Silben der ungeraden
Stellen zu einer neuen Reihe vereinigt wurden, dann die
sämtlichen Silben der geraden Stellen zu einer zweiten, un-
mittelbar folgenden Reihe. Bei einer aus sechs Reihen dieser
Art bestehenden Gruppe enthielt also die abgeleitete Reihe II
lauter Silben, welche bei der vorangegangenen ersten Einprä-
gung auf die entsprechenden Silben von Reihe I unmittelbar
gefolgt waren, ebenso die abgeleitete Reihe IV im Verhältnis zu
III, VI im Verhältnis zu V. Es zeigte sich nun -- und darin
besteht eben das zu erwähnende eigentümliche Verhalten --,
dass bei dem Auswendiglernen von derartig abgeleiteten
Reihengruppen für die Reihen II, IV, VI im Durchschnitt
etwas weniger Zeit erforderlich war als für die Reihen I, III,
V, während bei allen anderen daraufhin untersuchten Reihen-
gruppen (abgeleiteten oder nicht abgeleiteten) gerade das Um-
gekehrte stattfand.

Ich belege zunächst das letztere Verhältnis mit einigen
Zahlen.

Aus den Versuchen mit sechs 16silbigen Reihen, die zum
erstenmal auswendig gelernt wurden, greife ich ganz beliebig
je 10 auf einander folgende Versuche aus zwei verschiedenen

der Unsicherheit der in Betracht kommenden Zahlen kann
ich nur mit groſser Reserve darauf aufmerksam machen.
Aber ganz übergehen möchte ich es nicht, weil es in sich
wahrscheinlich ist und weil es, bei fernerer Bestätigung, ein
charakteristisches Licht auf thatsächlich vorhandene, aber un-
bewuſst bleibende innere Vorgänge werfen würde und auf die
relative Unabhängigkeit derselben von bewuſsten Begleiterschei-
nungen, auf die ich schon oben einmal hinwies (§ 24).

Die Ableitung der umgeformten Silbenreihen geschah,
wie erwähnt, bei den zuletzt besprochenen Untersuchungen
in der Weise, daſs aus zwei beliebig zusammengesetzten
16silbigen Reihen erst die sämtlichen Silben der ungeraden
Stellen zu einer neuen Reihe vereinigt wurden, dann die
sämtlichen Silben der geraden Stellen zu einer zweiten, un-
mittelbar folgenden Reihe. Bei einer aus sechs Reihen dieser
Art bestehenden Gruppe enthielt also die abgeleitete Reihe II
lauter Silben, welche bei der vorangegangenen ersten Einprä-
gung auf die entsprechenden Silben von Reihe I unmittelbar
gefolgt waren, ebenso die abgeleitete Reihe IV im Verhältnis zu
III, VI im Verhältnis zu V. Es zeigte sich nun — und darin
besteht eben das zu erwähnende eigentümliche Verhalten —,
daſs bei dem Auswendiglernen von derartig abgeleiteten
Reihengruppen für die Reihen II, IV, VI im Durchschnitt
etwas weniger Zeit erforderlich war als für die Reihen I, III,
V, während bei allen anderen daraufhin untersuchten Reihen-
gruppen (abgeleiteten oder nicht abgeleiteten) gerade das Um-
gekehrte stattfand.

Ich belege zunächst das letztere Verhältnis mit einigen
Zahlen.

Aus den Versuchen mit sechs 16silbigen Reihen, die zum
erstenmal auswendig gelernt wurden, greife ich ganz beliebig
je 10 auf einander folgende Versuche aus zwei verschiedenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0178" n="162"/>
der Unsicherheit der in Betracht kommenden Zahlen kann<lb/>
ich nur mit gro&#x017F;ser Reserve darauf aufmerksam machen.<lb/>
Aber ganz übergehen möchte ich es nicht, weil es in sich<lb/>
wahrscheinlich ist und weil es, bei fernerer Bestätigung, ein<lb/>
charakteristisches Licht auf thatsächlich vorhandene, aber un-<lb/>
bewu&#x017F;st bleibende innere Vorgänge werfen würde und auf die<lb/>
relative Unabhängigkeit derselben von bewu&#x017F;sten Begleiterschei-<lb/>
nungen, auf die ich schon oben einmal hinwies (§ 24).</p><lb/>
          <p>Die Ableitung der umgeformten Silbenreihen geschah,<lb/>
wie erwähnt, bei den zuletzt besprochenen Untersuchungen<lb/>
in der Weise, da&#x017F;s aus zwei beliebig zusammengesetzten<lb/>
16silbigen Reihen erst die sämtlichen Silben der ungeraden<lb/>
Stellen zu einer neuen Reihe vereinigt wurden, dann die<lb/>
sämtlichen Silben der geraden Stellen zu einer zweiten, un-<lb/>
mittelbar folgenden Reihe. Bei einer aus sechs Reihen dieser<lb/>
Art bestehenden Gruppe enthielt also die abgeleitete Reihe II<lb/>
lauter Silben, welche bei der vorangegangenen ersten Einprä-<lb/>
gung auf die entsprechenden Silben von Reihe I unmittelbar<lb/>
gefolgt waren, ebenso die abgeleitete Reihe IV im Verhältnis zu<lb/>
III, VI im Verhältnis zu V. Es zeigte sich nun &#x2014; und darin<lb/>
besteht eben das zu erwähnende eigentümliche Verhalten &#x2014;,<lb/>
da&#x017F;s bei dem Auswendiglernen von <hi rendition="#g">derartig</hi> abgeleiteten<lb/>
Reihengruppen für die Reihen II, IV, VI im Durchschnitt<lb/>
etwas weniger Zeit erforderlich war als für die Reihen I, III,<lb/>
V, während bei allen anderen daraufhin untersuchten Reihen-<lb/>
gruppen (abgeleiteten oder nicht abgeleiteten) gerade das Um-<lb/>
gekehrte stattfand.</p><lb/>
          <p>Ich belege zunächst das letztere Verhältnis mit einigen<lb/>
Zahlen.</p><lb/>
          <p>Aus den Versuchen mit sechs 16silbigen Reihen, die zum<lb/>
erstenmal auswendig gelernt wurden, greife ich ganz beliebig<lb/>
je 10 auf einander folgende Versuche aus zwei verschiedenen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0178] der Unsicherheit der in Betracht kommenden Zahlen kann ich nur mit groſser Reserve darauf aufmerksam machen. Aber ganz übergehen möchte ich es nicht, weil es in sich wahrscheinlich ist und weil es, bei fernerer Bestätigung, ein charakteristisches Licht auf thatsächlich vorhandene, aber un- bewuſst bleibende innere Vorgänge werfen würde und auf die relative Unabhängigkeit derselben von bewuſsten Begleiterschei- nungen, auf die ich schon oben einmal hinwies (§ 24). Die Ableitung der umgeformten Silbenreihen geschah, wie erwähnt, bei den zuletzt besprochenen Untersuchungen in der Weise, daſs aus zwei beliebig zusammengesetzten 16silbigen Reihen erst die sämtlichen Silben der ungeraden Stellen zu einer neuen Reihe vereinigt wurden, dann die sämtlichen Silben der geraden Stellen zu einer zweiten, un- mittelbar folgenden Reihe. Bei einer aus sechs Reihen dieser Art bestehenden Gruppe enthielt also die abgeleitete Reihe II lauter Silben, welche bei der vorangegangenen ersten Einprä- gung auf die entsprechenden Silben von Reihe I unmittelbar gefolgt waren, ebenso die abgeleitete Reihe IV im Verhältnis zu III, VI im Verhältnis zu V. Es zeigte sich nun — und darin besteht eben das zu erwähnende eigentümliche Verhalten —, daſs bei dem Auswendiglernen von derartig abgeleiteten Reihengruppen für die Reihen II, IV, VI im Durchschnitt etwas weniger Zeit erforderlich war als für die Reihen I, III, V, während bei allen anderen daraufhin untersuchten Reihen- gruppen (abgeleiteten oder nicht abgeleiteten) gerade das Um- gekehrte stattfand. Ich belege zunächst das letztere Verhältnis mit einigen Zahlen. Aus den Versuchen mit sechs 16silbigen Reihen, die zum erstenmal auswendig gelernt wurden, greife ich ganz beliebig je 10 auf einander folgende Versuche aus zwei verschiedenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/178
Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/178>, abgerufen am 25.11.2024.