Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
VII.
Das Behalten und Vergessen als Funktion
der Zeit.


§ 26.
Erklärungen des Behaltens und Vergessens.

Alle Arten von Vorstellungen, die sich selbst überlassen
bleiben, werden allmählich vergessen. Der Thatbestand, den
dieser Satz bezeichnet, ist allgemein bekannt. Gruppen oder
Reihen von Vorstellungen, die wir zuerst leicht und lückenlos
ins Bewusstsein zurückzurufen vermochten, oder die von selbst
häufig und in lebhaften Farben wiederkehrten, stellen sich
allmählich seltener und in abgeblassterer Färbung ein, können
durch willkürliche Anstrengung nur mühsam und bruchstück-
weise reproduciert werden. Nach längeren Zeiten pflegt beides
ganz aufzuhören, freilich nicht ohne seltsame Ausnahmen.
Namen, Gesichter, Kenntnisse und Erlebnisse, die seit Jahren
vollständig verloren schienen, stehen plötzlich, namentlich in
Träumen, wieder vor der Seele, mit allen Details und in
grosser Lebhaftigkeit, ohne dass man auch nur vermutet, woher
sie kommen, und wie sie es anfingen, sich in der Zwischen-
zeit so gut verborgen zu halten.


VII.
Das Behalten und Vergessen als Funktion
der Zeit.


§ 26.
Erklärungen des Behaltens und Vergessens.

Alle Arten von Vorstellungen, die sich selbst überlassen
bleiben, werden allmählich vergessen. Der Thatbestand, den
dieser Satz bezeichnet, ist allgemein bekannt. Gruppen oder
Reihen von Vorstellungen, die wir zuerst leicht und lückenlos
ins Bewuſstsein zurückzurufen vermochten, oder die von selbst
häufig und in lebhaften Farben wiederkehrten, stellen sich
allmählich seltener und in abgeblaſsterer Färbung ein, können
durch willkürliche Anstrengung nur mühsam und bruchstück-
weise reproduciert werden. Nach längeren Zeiten pflegt beides
ganz aufzuhören, freilich nicht ohne seltsame Ausnahmen.
Namen, Gesichter, Kenntnisse und Erlebnisse, die seit Jahren
vollständig verloren schienen, stehen plötzlich, namentlich in
Träumen, wieder vor der Seele, mit allen Details und in
groſser Lebhaftigkeit, ohne daſs man auch nur vermutet, woher
sie kommen, und wie sie es anfingen, sich in der Zwischen-
zeit so gut verborgen zu halten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0101" n="[85]"/>
      <div n="1">
        <head>VII.<lb/>
Das Behalten und Vergessen als Funktion<lb/>
der Zeit.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§ 26.<lb/><hi rendition="#b">Erklärungen des Behaltens und Vergessens.</hi></head><lb/>
          <p>Alle Arten von Vorstellungen, die sich selbst überlassen<lb/>
bleiben, werden allmählich vergessen. Der Thatbestand, den<lb/>
dieser Satz bezeichnet, ist allgemein bekannt. Gruppen oder<lb/>
Reihen von Vorstellungen, die wir zuerst leicht und lückenlos<lb/>
ins Bewu&#x017F;stsein zurückzurufen vermochten, oder die von selbst<lb/>
häufig und in lebhaften Farben wiederkehrten, stellen sich<lb/>
allmählich seltener und in abgebla&#x017F;sterer Färbung ein, können<lb/>
durch willkürliche Anstrengung nur mühsam und bruchstück-<lb/>
weise reproduciert werden. Nach längeren Zeiten pflegt beides<lb/>
ganz aufzuhören, freilich nicht ohne seltsame Ausnahmen.<lb/>
Namen, Gesichter, Kenntnisse und Erlebnisse, die seit Jahren<lb/>
vollständig verloren schienen, stehen plötzlich, namentlich in<lb/>
Träumen, wieder vor der Seele, mit allen Details und in<lb/>
gro&#x017F;ser Lebhaftigkeit, ohne da&#x017F;s man auch nur vermutet, woher<lb/>
sie kommen, und wie sie es anfingen, sich in der Zwischen-<lb/>
zeit so gut verborgen zu halten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[85]/0101] VII. Das Behalten und Vergessen als Funktion der Zeit. § 26. Erklärungen des Behaltens und Vergessens. Alle Arten von Vorstellungen, die sich selbst überlassen bleiben, werden allmählich vergessen. Der Thatbestand, den dieser Satz bezeichnet, ist allgemein bekannt. Gruppen oder Reihen von Vorstellungen, die wir zuerst leicht und lückenlos ins Bewuſstsein zurückzurufen vermochten, oder die von selbst häufig und in lebhaften Farben wiederkehrten, stellen sich allmählich seltener und in abgeblaſsterer Färbung ein, können durch willkürliche Anstrengung nur mühsam und bruchstück- weise reproduciert werden. Nach längeren Zeiten pflegt beides ganz aufzuhören, freilich nicht ohne seltsame Ausnahmen. Namen, Gesichter, Kenntnisse und Erlebnisse, die seit Jahren vollständig verloren schienen, stehen plötzlich, namentlich in Träumen, wieder vor der Seele, mit allen Details und in groſser Lebhaftigkeit, ohne daſs man auch nur vermutet, woher sie kommen, und wie sie es anfingen, sich in der Zwischen- zeit so gut verborgen zu halten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/101
Zitationshilfe: Ebbinghaus, Hermann: Über das Gedächtnis. Leipzig, 1885, S. [85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebbinghaus_gedaechtnis_1885/101>, abgerufen am 23.11.2024.