Methoden des Denkens ein wenig zum Gebrauch der eignen Beine gelangt, so ist erst recht kein Grund vorhanden, den alten lateinischen, römischrechtlichen Zoll noch ferner zu entrichten. Selbst der romantische Savigny wollte ja seine Liebhaberei nicht verewigt, sondern dieselbe nur noch als eine zur Selbständigkeit vorbereitende Phase anerkannt wissen und ergab sich bereits in den Gedanken, den römischen Rechtsstoff als Schulungsmittel ab- gethan und nur noch der geschichtlichen "Erinnerung einer dank- baren Nachwelt übergeben" zu sehen. Das Latein in der Philo- logie aber schwebt ganz in der Luft; denn es dient nur dazu, Lateinlehrer für die Gymnasien zu produciren, und die ganze Herrlichkeit dreht sich auf diese Weise im Kreise. Braucht man das Latein nicht mehr für materielle Fächer, so hat es auf den Gymnasien keinen Sinn mehr; fällt es aber auf den Gymnasien fort, so ist die Philologie auf den Universitäten überflüssig und die altsprachlichen, angeblich auch alterthumskundigen Professoren können getrost aussterben.
Die Medicin sammt Apothekerei ist zwar in ihrer eigensten mittelalterlich abergläubischen Gestalt auch lateinisch recht hübsch inficirt, aber doch glücklicherweise nur mit Brocken und sehr äusserlich in jener Weise, wie sie von einem Moliere im "Ein- gebildeten Kranken" angemessen verspottet wurde. Auch für die Heilkunde wird man künftig gar keine alten Sprachen brauchen, und schon jetzt kommt man so ziemlich ohne dies aus. Der junge Mediciner kümmert sich um sein wenig Gymnasialgriechisch gar nicht mehr, und auch von dem Latein wird er meistens 99/100 vergessen, ohne auch nur bei der Staatsprüfung in Verlegenheit zu kommen. In der Praxis entäussert er sich aber alles gelehrten Krams; nur darf er die paar Apothekerausdrücke für das Recept- schreiben nicht verlernen; denn hier spielen die Reste der heiligen Sprache eine wahrhafte Priesterrolle gegen das profane Laienvolk. Hiemit sind wir aber auch schon auf dem Niveau des blossen Apothekers angelangt, und für dessen Büchsen wird man doch wahrlich nicht die classisch lateinische Literatur auf den Gymna- sien tributpflichtig und zum Hauptdrillungsmaterial der armen gequälten Zöglinge gemacht haben wollen. Um bei dieser Ge- legenheit noch einmal an den Juristen zu erinnern, so wird auch dieser in der selbständigen Praxis und zum Theil sogar schon, wenn er über die erste, noch viel todte Gelehrsamkeit athmende Prüfung hinaus ist, seine altsprachliche Bedürftigkeit mit Behagen
Methoden des Denkens ein wenig zum Gebrauch der eignen Beine gelangt, so ist erst recht kein Grund vorhanden, den alten lateinischen, römischrechtlichen Zoll noch ferner zu entrichten. Selbst der romantische Savigny wollte ja seine Liebhaberei nicht verewigt, sondern dieselbe nur noch als eine zur Selbständigkeit vorbereitende Phase anerkannt wissen und ergab sich bereits in den Gedanken, den römischen Rechtsstoff als Schulungsmittel ab- gethan und nur noch der geschichtlichen „Erinnerung einer dank- baren Nachwelt übergeben“ zu sehen. Das Latein in der Philo- logie aber schwebt ganz in der Luft; denn es dient nur dazu, Lateinlehrer für die Gymnasien zu produciren, und die ganze Herrlichkeit dreht sich auf diese Weise im Kreise. Braucht man das Latein nicht mehr für materielle Fächer, so hat es auf den Gymnasien keinen Sinn mehr; fällt es aber auf den Gymnasien fort, so ist die Philologie auf den Universitäten überflüssig und die altsprachlichen, angeblich auch alterthumskundigen Professoren können getrost aussterben.
Die Medicin sammt Apothekerei ist zwar in ihrer eigensten mittelalterlich abergläubischen Gestalt auch lateinisch recht hübsch inficirt, aber doch glücklicherweise nur mit Brocken und sehr äusserlich in jener Weise, wie sie von einem Molière im „Ein- gebildeten Kranken“ angemessen verspottet wurde. Auch für die Heilkunde wird man künftig gar keine alten Sprachen brauchen, und schon jetzt kommt man so ziemlich ohne dies aus. Der junge Mediciner kümmert sich um sein wenig Gymnasialgriechisch gar nicht mehr, und auch von dem Latein wird er meistens 99⁄100 vergessen, ohne auch nur bei der Staatsprüfung in Verlegenheit zu kommen. In der Praxis entäussert er sich aber alles gelehrten Krams; nur darf er die paar Apothekerausdrücke für das Recept- schreiben nicht verlernen; denn hier spielen die Reste der heiligen Sprache eine wahrhafte Priesterrolle gegen das profane Laienvolk. Hiemit sind wir aber auch schon auf dem Niveau des blossen Apothekers angelangt, und für dessen Büchsen wird man doch wahrlich nicht die classisch lateinische Literatur auf den Gymna- sien tributpflichtig und zum Hauptdrillungsmaterial der armen gequälten Zöglinge gemacht haben wollen. Um bei dieser Ge- legenheit noch einmal an den Juristen zu erinnern, so wird auch dieser in der selbständigen Praxis und zum Theil sogar schon, wenn er über die erste, noch viel todte Gelehrsamkeit athmende Prüfung hinaus ist, seine altsprachliche Bedürftigkeit mit Behagen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0054"n="45"/>
Methoden des Denkens ein wenig zum Gebrauch der eignen<lb/>
Beine gelangt, so ist erst recht kein Grund vorhanden, den alten<lb/>
lateinischen, römischrechtlichen Zoll noch ferner zu entrichten.<lb/>
Selbst der romantische Savigny wollte ja seine Liebhaberei nicht<lb/>
verewigt, sondern dieselbe nur noch als eine zur Selbständigkeit<lb/>
vorbereitende Phase anerkannt wissen und ergab sich bereits in<lb/>
den Gedanken, den römischen Rechtsstoff als Schulungsmittel ab-<lb/>
gethan und nur noch der geschichtlichen „Erinnerung einer dank-<lb/>
baren Nachwelt übergeben“ zu sehen. Das Latein in der Philo-<lb/>
logie aber schwebt ganz in der Luft; denn es dient nur dazu,<lb/>
Lateinlehrer für die Gymnasien zu produciren, und die ganze<lb/>
Herrlichkeit dreht sich auf diese Weise im Kreise. Braucht man<lb/>
das Latein nicht mehr für materielle Fächer, so hat es auf den<lb/>
Gymnasien keinen Sinn mehr; fällt es aber auf den Gymnasien<lb/>
fort, so ist die Philologie auf den Universitäten überflüssig und<lb/>
die altsprachlichen, angeblich auch alterthumskundigen Professoren<lb/>
können getrost aussterben.</p><lb/><p>Die Medicin sammt Apothekerei ist zwar in ihrer eigensten<lb/>
mittelalterlich abergläubischen Gestalt auch lateinisch recht hübsch<lb/>
inficirt, aber doch glücklicherweise nur mit Brocken und sehr<lb/>
äusserlich in jener Weise, wie sie von einem Molière im „Ein-<lb/>
gebildeten Kranken“ angemessen verspottet wurde. Auch für die<lb/>
Heilkunde wird man künftig gar keine alten Sprachen brauchen,<lb/>
und schon jetzt kommt man so ziemlich ohne dies aus. Der junge<lb/>
Mediciner kümmert sich um sein wenig Gymnasialgriechisch gar<lb/>
nicht mehr, und auch von dem Latein wird er meistens 99⁄100<lb/>
vergessen, ohne auch nur bei der Staatsprüfung in Verlegenheit<lb/>
zu kommen. In der Praxis entäussert er sich aber alles gelehrten<lb/>
Krams; nur darf er die paar Apothekerausdrücke für das Recept-<lb/>
schreiben nicht verlernen; denn hier spielen die Reste der heiligen<lb/>
Sprache eine wahrhafte Priesterrolle gegen das profane Laienvolk.<lb/>
Hiemit sind wir aber auch schon auf dem Niveau des blossen<lb/>
Apothekers angelangt, und für dessen Büchsen wird man doch<lb/>
wahrlich nicht die classisch lateinische Literatur auf den Gymna-<lb/>
sien tributpflichtig und zum Hauptdrillungsmaterial der armen<lb/>
gequälten Zöglinge gemacht haben wollen. Um bei dieser Ge-<lb/>
legenheit noch einmal an den Juristen zu erinnern, so wird auch<lb/>
dieser in der selbständigen Praxis und zum Theil sogar schon,<lb/>
wenn er über die erste, noch viel todte Gelehrsamkeit athmende<lb/>
Prüfung hinaus ist, seine altsprachliche Bedürftigkeit mit Behagen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[45/0054]
Methoden des Denkens ein wenig zum Gebrauch der eignen
Beine gelangt, so ist erst recht kein Grund vorhanden, den alten
lateinischen, römischrechtlichen Zoll noch ferner zu entrichten.
Selbst der romantische Savigny wollte ja seine Liebhaberei nicht
verewigt, sondern dieselbe nur noch als eine zur Selbständigkeit
vorbereitende Phase anerkannt wissen und ergab sich bereits in
den Gedanken, den römischen Rechtsstoff als Schulungsmittel ab-
gethan und nur noch der geschichtlichen „Erinnerung einer dank-
baren Nachwelt übergeben“ zu sehen. Das Latein in der Philo-
logie aber schwebt ganz in der Luft; denn es dient nur dazu,
Lateinlehrer für die Gymnasien zu produciren, und die ganze
Herrlichkeit dreht sich auf diese Weise im Kreise. Braucht man
das Latein nicht mehr für materielle Fächer, so hat es auf den
Gymnasien keinen Sinn mehr; fällt es aber auf den Gymnasien
fort, so ist die Philologie auf den Universitäten überflüssig und
die altsprachlichen, angeblich auch alterthumskundigen Professoren
können getrost aussterben.
Die Medicin sammt Apothekerei ist zwar in ihrer eigensten
mittelalterlich abergläubischen Gestalt auch lateinisch recht hübsch
inficirt, aber doch glücklicherweise nur mit Brocken und sehr
äusserlich in jener Weise, wie sie von einem Molière im „Ein-
gebildeten Kranken“ angemessen verspottet wurde. Auch für die
Heilkunde wird man künftig gar keine alten Sprachen brauchen,
und schon jetzt kommt man so ziemlich ohne dies aus. Der junge
Mediciner kümmert sich um sein wenig Gymnasialgriechisch gar
nicht mehr, und auch von dem Latein wird er meistens 99⁄100
vergessen, ohne auch nur bei der Staatsprüfung in Verlegenheit
zu kommen. In der Praxis entäussert er sich aber alles gelehrten
Krams; nur darf er die paar Apothekerausdrücke für das Recept-
schreiben nicht verlernen; denn hier spielen die Reste der heiligen
Sprache eine wahrhafte Priesterrolle gegen das profane Laienvolk.
Hiemit sind wir aber auch schon auf dem Niveau des blossen
Apothekers angelangt, und für dessen Büchsen wird man doch
wahrlich nicht die classisch lateinische Literatur auf den Gymna-
sien tributpflichtig und zum Hauptdrillungsmaterial der armen
gequälten Zöglinge gemacht haben wollen. Um bei dieser Ge-
legenheit noch einmal an den Juristen zu erinnern, so wird auch
dieser in der selbständigen Praxis und zum Theil sogar schon,
wenn er über die erste, noch viel todte Gelehrsamkeit athmende
Prüfung hinaus ist, seine altsprachliche Bedürftigkeit mit Behagen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-13T16:46:57Z)
Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/54>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.