den Anstalten für Latein und Griechisch preisgegeben wird. Die Gymnasien sind zwar nicht sofort mit der Abgelebtheit und Ueber- lebtheit der Universitäten zu vergleichen; denn sie stehen an verhältnissmässiger Regsamkeit doch weit mehr über dem mittel- alterlichen Niveau; aber sie sind trotzdem arge Zeitwidrigkeiten und zwar nicht etwa blos in einzelnen Bestandtheilen ihrer Ein- richtung, ihres Lehrplans und ihrer Methode, sondern im Ganzen und in der Grundanlage. Sie sind von vornherein eine abnorme Uebergangsschöpfung gewesen, die der Barbarei und dem Be- dürfniss der sich aus dem Mittelalter ein wenig erhebenden Völker nach antiken Lehrjahren oder vielmehr leider Lehrjahrhunderten ihre Möglichkeit verdankte. Sie müssen, nachdem die moderne Welt dieses auf die Dauer unwürdige Lehrlingsverhältniss in den wesentlichen Richtungen abgethan hat, auch wieder verschwinden und rationelleren Einrichtungen platzmachen. Genau besehen, stellen sie nicht die Interessen einer wirklich allgemeinen Bildung, sondern diejenigen des gelehrten Berufsunterrichts vor, der auf sie durch die Universitäten gepfropft werden soll. Weil man die Studien auf den Universitäten in Juristerei und Medicin mit einem altsprachlichen Zopf betreibt, darum sind die Gymnasien der zu- gehörige Unterbau; denn nur in den letzteren kann das Flechten dieses Zopfes erlernt werden. Nun haben die Frauen keine Ur- sache, sich um solche altmodische Flechtkünste zu bekümmern. Sie haben die Medicin und andere höhere Berufszweige, die ihnen später noch zufallen mögen, im modernen Sinne und ohne chi- nesenhafte Aufstutzung zu studiren. Bedürfen sie aber auf diese Weise der reinen unverfälschten und unverschnörkelten Natur- gestalt einer Berufswissenschaft, so gehört zu der letzteren auch eine Vorbildung, die nicht die gymnasial ablenkende, sondern ein vernünftiger Ersatz dafür ist. Man sieht also auch hier wiederum, wie von oben her und aus dem Mittelpunkt der nächst angren- zende allgemeine Bildungskreis mit den ihm dienstbaren Anstalten bestimmt werde. Die Schicht der höchsten Berufsgruppen ent- scheidet über die dazu erforderliche gemeinsame Bildung. Was technisch und specialistisch einem jeden Beruf angehört, bleibt hiebei ausser Anschlag; der Rest an gemeinsamen Erfordernissen ist es aber, der alsdann höhere allgemeine Bildung heisst und sich in der thatsächlichen Organisation auch zugleich zu einem Kreise von Kenntnissen und Geschicklichkeiten abrundet, in welchem sich die einzelnen Bestandtheile zu einem zusammenhängenden
den Anstalten für Latein und Griechisch preisgegeben wird. Die Gymnasien sind zwar nicht sofort mit der Abgelebtheit und Ueber- lebtheit der Universitäten zu vergleichen; denn sie stehen an verhältnissmässiger Regsamkeit doch weit mehr über dem mittel- alterlichen Niveau; aber sie sind trotzdem arge Zeitwidrigkeiten und zwar nicht etwa blos in einzelnen Bestandtheilen ihrer Ein- richtung, ihres Lehrplans und ihrer Methode, sondern im Ganzen und in der Grundanlage. Sie sind von vornherein eine abnorme Uebergangsschöpfung gewesen, die der Barbarei und dem Be- dürfniss der sich aus dem Mittelalter ein wenig erhebenden Völker nach antiken Lehrjahren oder vielmehr leider Lehrjahrhunderten ihre Möglichkeit verdankte. Sie müssen, nachdem die moderne Welt dieses auf die Dauer unwürdige Lehrlingsverhältniss in den wesentlichen Richtungen abgethan hat, auch wieder verschwinden und rationelleren Einrichtungen platzmachen. Genau besehen, stellen sie nicht die Interessen einer wirklich allgemeinen Bildung, sondern diejenigen des gelehrten Berufsunterrichts vor, der auf sie durch die Universitäten gepfropft werden soll. Weil man die Studien auf den Universitäten in Juristerei und Medicin mit einem altsprachlichen Zopf betreibt, darum sind die Gymnasien der zu- gehörige Unterbau; denn nur in den letzteren kann das Flechten dieses Zopfes erlernt werden. Nun haben die Frauen keine Ur- sache, sich um solche altmodische Flechtkünste zu bekümmern. Sie haben die Medicin und andere höhere Berufszweige, die ihnen später noch zufallen mögen, im modernen Sinne und ohne chi- nesenhafte Aufstutzung zu studiren. Bedürfen sie aber auf diese Weise der reinen unverfälschten und unverschnörkelten Natur- gestalt einer Berufswissenschaft, so gehört zu der letzteren auch eine Vorbildung, die nicht die gymnasial ablenkende, sondern ein vernünftiger Ersatz dafür ist. Man sieht also auch hier wiederum, wie von oben her und aus dem Mittelpunkt der nächst angren- zende allgemeine Bildungskreis mit den ihm dienstbaren Anstalten bestimmt werde. Die Schicht der höchsten Berufsgruppen ent- scheidet über die dazu erforderliche gemeinsame Bildung. Was technisch und specialistisch einem jeden Beruf angehört, bleibt hiebei ausser Anschlag; der Rest an gemeinsamen Erfordernissen ist es aber, der alsdann höhere allgemeine Bildung heisst und sich in der thatsächlichen Organisation auch zugleich zu einem Kreise von Kenntnissen und Geschicklichkeiten abrundet, in welchem sich die einzelnen Bestandtheile zu einem zusammenhängenden
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den Anstalten für Latein und Griechisch preisgegeben wird. Die
Gymnasien sind zwar nicht sofort mit der Abgelebtheit und Ueber-
lebtheit der Universitäten zu vergleichen; denn sie stehen an
verhältnissmässiger Regsamkeit doch weit mehr über dem mittel-
alterlichen Niveau; aber sie sind trotzdem arge Zeitwidrigkeiten
und zwar nicht etwa blos in einzelnen Bestandtheilen ihrer Ein-
richtung, ihres Lehrplans und ihrer Methode, sondern im Ganzen
und in der Grundanlage. Sie sind von vornherein eine abnorme
Uebergangsschöpfung gewesen, die der Barbarei und dem Be-
dürfniss der sich aus dem Mittelalter ein wenig erhebenden Völker
nach antiken Lehrjahren oder vielmehr leider Lehrjahrhunderten
ihre Möglichkeit verdankte. Sie müssen, nachdem die moderne
Welt dieses auf die Dauer unwürdige Lehrlingsverhältniss in den
wesentlichen Richtungen abgethan hat, auch wieder verschwinden
und rationelleren Einrichtungen platzmachen. Genau besehen,
stellen sie nicht die Interessen einer wirklich allgemeinen Bildung,
sondern diejenigen des gelehrten Berufsunterrichts vor, der auf
sie durch die Universitäten gepfropft werden soll. Weil man die
Studien auf den Universitäten in Juristerei und Medicin mit einem
altsprachlichen Zopf betreibt, darum sind die Gymnasien der zu-
gehörige Unterbau; denn nur in den letzteren kann das Flechten
dieses Zopfes erlernt werden. Nun haben die Frauen keine Ur-
sache, sich um solche altmodische Flechtkünste zu bekümmern.
Sie haben die Medicin und andere höhere Berufszweige, die ihnen
später noch zufallen mögen, im modernen Sinne und ohne chi-
nesenhafte Aufstutzung zu studiren. Bedürfen sie aber auf diese
Weise der reinen unverfälschten und unverschnörkelten Natur-
gestalt einer Berufswissenschaft, so gehört zu der letzteren auch
eine Vorbildung, die nicht die gymnasial ablenkende, sondern ein
vernünftiger Ersatz dafür ist. Man sieht also auch hier wiederum,
wie von oben her und aus dem Mittelpunkt der nächst angren-
zende allgemeine Bildungskreis mit den ihm dienstbaren Anstalten
bestimmt werde. Die Schicht der höchsten Berufsgruppen ent-
scheidet über die dazu erforderliche gemeinsame Bildung. Was
technisch und specialistisch einem jeden Beruf angehört, bleibt
hiebei ausser Anschlag; der Rest an gemeinsamen Erfordernissen
ist es aber, der alsdann höhere allgemeine Bildung heisst und sich
in der thatsächlichen Organisation auch zugleich zu einem Kreise
von Kenntnissen und Geschicklichkeiten abrundet, in welchem
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Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-13T16:46:57Z)
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Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
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(2013-06-13T16:46:57Z)
Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/37>, abgerufen am 16.02.2025.
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