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Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872.

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Samen, der Frucht auf irgend einer Stufe der Entwickelung
gebracht. Alsdann besässen wir also von diesen materiellen
Systemen die vollkommenste mögliche Kenntniss, unser Cau¬
salitätstrieb wäre soweit befriedigt, dass wir nur noch
verlangten, das Wesen von Materie und Kraft selber zu
begreifen. Muskelverkürzung, Absonderung in der Drüse,
Schlag des elektrischen, Leuchten des Leucht-Organes, Flim¬
merbewegung, Wachsthum und Chemismus der Zellen in der
Pflanze, Befruchtung und Entwickelung des Eies: alle
diese jetzt hoffnungslos dunklen Vorgänge wären uns so
durchsichtig, wie die Bewegungen der Planeten.

Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astro¬
nomischer Kenntniss für das Gehirn des Menschen, oder
auch nur für das Seelenorgan des niedersten Thieres,
dessen geistige Thätigkeit auf Empfinden von Lust und
Unlust sich beschränken mag, so wird zwar in Bezug
auf alle darin stattfindenden materiellen Vorgänge unser
Erkennen ebenso vollkommen sein und unser Causalitäts¬
trieb ebenso befriedigt sich fühlen, wie in Bezug auf
Zuckung oder Absonderung bei astronomischer Kenntniss
von Muskel oder Drüse. Die unwillkürlichen und nicht
nothwendig mit Empfindung verbundenen Wirkungen
der Centraltheile, Reflexe, Mitbewegung, Athembewegun¬
gen, Tonus, der Stoffwechsel des Gehirnes und Rücken¬
markes u. d. m. wären erschöpfend erkannt. Auch die

Flimmerzelle, einer Pflanze, des Eies in Berührung mit dem
Samen, der Frucht auf irgend einer Stufe der Entwickelung
gebracht. Alsdann besässen wir also von diesen materiellen
Systemen die vollkommenste mögliche Kenntniss, unser Cau¬
salitätstrieb wäre soweit befriedigt, dass wir nur noch
verlangten, das Wesen von Materie und Kraft selber zu
begreifen. Muskelverkürzung, Absonderung in der Drüse,
Schlag des elektrischen, Leuchten des Leucht-Organes, Flim¬
merbewegung, Wachsthum und Chemismus der Zellen in der
Pflanze, Befruchtung und Entwickelung des Eies: alle
diese jetzt hoffnungslos dunklen Vorgänge wären uns so
durchsichtig, wie die Bewegungen der Planeten.

Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astro¬
nomischer Kenntniss für das Gehirn des Menschen, oder
auch nur für das Seelenorgan des niedersten Thieres,
dessen geistige Thätigkeit auf Empfinden von Lust und
Unlust sich beschränken mag, so wird zwar in Bezug
auf alle darin stattfindenden materiellen Vorgänge unser
Erkennen ebenso vollkommen sein und unser Causalitäts¬
trieb ebenso befriedigt sich fühlen, wie in Bezug auf
Zuckung oder Absonderung bei astronomischer Kenntniss
von Muskel oder Drüse. Die unwillkürlichen und nicht
nothwendig mit Empfindung verbundenen Wirkungen
der Centraltheile, Reflexe, Mitbewegung, Athembewegun¬
gen, Tonus, der Stoffwechsel des Gehirnes und Rücken¬
markes u. d. m. wären erschöpfend erkannt. Auch die

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[23/0031] Flimmerzelle, einer Pflanze, des Eies in Berührung mit dem Samen, der Frucht auf irgend einer Stufe der Entwickelung gebracht. Alsdann besässen wir also von diesen materiellen Systemen die vollkommenste mögliche Kenntniss, unser Cau¬ salitätstrieb wäre soweit befriedigt, dass wir nur noch verlangten, das Wesen von Materie und Kraft selber zu begreifen. Muskelverkürzung, Absonderung in der Drüse, Schlag des elektrischen, Leuchten des Leucht-Organes, Flim¬ merbewegung, Wachsthum und Chemismus der Zellen in der Pflanze, Befruchtung und Entwickelung des Eies: alle diese jetzt hoffnungslos dunklen Vorgänge wären uns so durchsichtig, wie die Bewegungen der Planeten. Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astro¬ nomischer Kenntniss für das Gehirn des Menschen, oder auch nur für das Seelenorgan des niedersten Thieres, dessen geistige Thätigkeit auf Empfinden von Lust und Unlust sich beschränken mag, so wird zwar in Bezug auf alle darin stattfindenden materiellen Vorgänge unser Erkennen ebenso vollkommen sein und unser Causalitäts¬ trieb ebenso befriedigt sich fühlen, wie in Bezug auf Zuckung oder Absonderung bei astronomischer Kenntniss von Muskel oder Drüse. Die unwillkürlichen und nicht nothwendig mit Empfindung verbundenen Wirkungen der Centraltheile, Reflexe, Mitbewegung, Athembewegun¬ gen, Tonus, der Stoffwechsel des Gehirnes und Rücken¬ markes u. d. m. wären erschöpfend erkannt. Auch die

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Zitationshilfe: Du Bois-Reymond, Emil Heinrich: Über die Grenzen des Naturerkennens. Leipzig, 1872, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dubois_naturerkennen_1872/31>, abgerufen am 28.03.2024.