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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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Beispiel die Erkenntniß zu fördern, auch durch die Einsicht,
daß unsere Freigeisterei zunächst und unmittelbar die Andern
in Zweifel, Kummer und Schlimmeres werfen wird." Wir
müssen Nietzsche dankbar sein, daß er diesen Gesichtspunkt
kräftig hervorgehoben. Weil es aber in gewissen Fällen höhere
Rücksichten giebt, als das Wohl der Mitmenschen, so sind
dies eben doch nur Ausnahmefälle und wie würde das Leben
verarmen, wenn das Mitgefühl daraus schwinden würde!

Was uns bei Nietzsche am Sympathischsten berührt, das
ist sein Betonen der Mitfreude, deren Bestehen manche
Philosophen, z. B. Hobbes, geleugnet; des intellektuellen Ge-
wissens, welches in der That nur bei den Allerwenigsten sich
geltend macht und seine muthige freudige Lebensbejahung
mit einem stolzen Ausblick in die Ferne, doppelt wohlthuend
bei einem einstigen Jünger Schopenhauer's. Dieselbe hat in
"Also sprach Zarathustra", Nietzsches letztem Werke, zu dem
wir sofort übergehen werden, den intensivsten, doch freilich
einen verfehlten Ausdruck erhalten. Sympathisch endlich berührt
auch Nietzsche's kräftiger Jndividualismus, nur daß Nietzsche
auch darin zu weit geht, wenn er im Widerspruch mit seiner
Geringschätzung des Durchschnittsmenschen, Jeden für ein
Unicum hält und die Berechtigung allgemein bindender Ge-
setze verneint.

Was will Nietzsche schließlich in "Also sprach Zara-
thustra" lehren? Wir erwähnten bereits, daß Nietzsche mit
diesem Werke offenbar ein neues Evangelium geschaffen zu
haben glaubte und daß er darin selbst die Form der heiligen
Bücher wiedergegeben hat, ohne daß wir dies billigen könnten.
Wenn die alte Sprache auch den Vortheil einer größeren
Wucht und Kraft bietet, so ist sie doch nicht fähig unsere
modernen verfeinerten Empfindungen und Gedanken wieder-
zugeben. Wer sich deshalb dieser Sprache bedient, wird einer
vergröbernden Rückwirkung auf seine Gedanken nicht entrathen

Beiſpiel die Erkenntniß zu fördern, auch durch die Einſicht,
daß unſere Freigeiſterei zunächſt und unmittelbar die Andern
in Zweifel, Kummer und Schlimmeres werfen wird.“ Wir
müſſen Nietzſche dankbar ſein, daß er dieſen Geſichtspunkt
kräftig hervorgehoben. Weil es aber in gewiſſen Fällen höhere
Rückſichten giebt, als das Wohl der Mitmenſchen, ſo ſind
dies eben doch nur Ausnahmefälle und wie würde das Leben
verarmen, wenn das Mitgefühl daraus ſchwinden würde!

Was uns bei Nietzſche am Sympathiſchſten berührt, das
iſt ſein Betonen der Mitfreude, deren Beſtehen manche
Philoſophen, z. B. Hobbes, geleugnet; des intellektuellen Ge-
wiſſens, welches in der That nur bei den Allerwenigſten ſich
geltend macht und ſeine muthige freudige Lebensbejahung
mit einem ſtolzen Ausblick in die Ferne, doppelt wohlthuend
bei einem einſtigen Jünger Schopenhauer’s. Dieſelbe hat in
„Alſo ſprach Zarathuſtra“, Nietzſches letztem Werke, zu dem
wir ſofort übergehen werden, den intenſivſten, doch freilich
einen verfehlten Ausdruck erhalten. Sympathiſch endlich berührt
auch Nietzſche’s kräftiger Jndividualismus, nur daß Nietzſche
auch darin zu weit geht, wenn er im Widerſpruch mit ſeiner
Geringſchätzung des Durchſchnittsmenſchen, Jeden für ein
Unicum hält und die Berechtigung allgemein bindender Ge-
ſetze verneint.

Was will Nietzſche ſchließlich in „Alſo ſprach Zara-
thuſtra“ lehren? Wir erwähnten bereits, daß Nietzſche mit
dieſem Werke offenbar ein neues Evangelium geſchaffen zu
haben glaubte und daß er darin ſelbſt die Form der heiligen
Bücher wiedergegeben hat, ohne daß wir dies billigen könnten.
Wenn die alte Sprache auch den Vortheil einer größeren
Wucht und Kraft bietet, ſo iſt ſie doch nicht fähig unſere
modernen verfeinerten Empfindungen und Gedanken wieder-
zugeben. Wer ſich deshalb dieſer Sprache bedient, wird einer
vergröbernden Rückwirkung auf ſeine Gedanken nicht entrathen

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[54/0063] Beiſpiel die Erkenntniß zu fördern, auch durch die Einſicht, daß unſere Freigeiſterei zunächſt und unmittelbar die Andern in Zweifel, Kummer und Schlimmeres werfen wird.“ Wir müſſen Nietzſche dankbar ſein, daß er dieſen Geſichtspunkt kräftig hervorgehoben. Weil es aber in gewiſſen Fällen höhere Rückſichten giebt, als das Wohl der Mitmenſchen, ſo ſind dies eben doch nur Ausnahmefälle und wie würde das Leben verarmen, wenn das Mitgefühl daraus ſchwinden würde! Was uns bei Nietzſche am Sympathiſchſten berührt, das iſt ſein Betonen der Mitfreude, deren Beſtehen manche Philoſophen, z. B. Hobbes, geleugnet; des intellektuellen Ge- wiſſens, welches in der That nur bei den Allerwenigſten ſich geltend macht und ſeine muthige freudige Lebensbejahung mit einem ſtolzen Ausblick in die Ferne, doppelt wohlthuend bei einem einſtigen Jünger Schopenhauer’s. Dieſelbe hat in „Alſo ſprach Zarathuſtra“, Nietzſches letztem Werke, zu dem wir ſofort übergehen werden, den intenſivſten, doch freilich einen verfehlten Ausdruck erhalten. Sympathiſch endlich berührt auch Nietzſche’s kräftiger Jndividualismus, nur daß Nietzſche auch darin zu weit geht, wenn er im Widerſpruch mit ſeiner Geringſchätzung des Durchſchnittsmenſchen, Jeden für ein Unicum hält und die Berechtigung allgemein bindender Ge- ſetze verneint. Was will Nietzſche ſchließlich in „Alſo ſprach Zara- thuſtra“ lehren? Wir erwähnten bereits, daß Nietzſche mit dieſem Werke offenbar ein neues Evangelium geſchaffen zu haben glaubte und daß er darin ſelbſt die Form der heiligen Bücher wiedergegeben hat, ohne daß wir dies billigen könnten. Wenn die alte Sprache auch den Vortheil einer größeren Wucht und Kraft bietet, ſo iſt ſie doch nicht fähig unſere modernen verfeinerten Empfindungen und Gedanken wieder- zugeben. Wer ſich deshalb dieſer Sprache bedient, wird einer vergröbernden Rückwirkung auf ſeine Gedanken nicht entrathen

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/63>, abgerufen am 22.11.2024.