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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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pfindungen"*), "solche Schmerzen sind Geburtswehen. Der
Schmetterling will seine Hülle durchbrechen, er zerrt an ihr,
er zerreißt sie, da blendet und verwirrt ihn das unbekannte
Licht, das Reich der Freiheit. Jn solchen Menschen, welche
jener Traurigkeit fähig sind -- wie wenige werden es sein!
-- wird der erste Versuch gemacht, ob die Menschheit aus
einer moralischen in eine weise Menschheit ver-
wandelt werden könne....
Mag in uns die vererbte
Gewohnheit des irrthümlichen Schätzens, Liebens, Hassens
immerhin fortwalten, aber unter dem Einfluß der wachsenden
Erkenntniß wird sie schwächer werden; eine neue Gewohnheit,
die des Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Hassens, Ueber-
schauens, regt sich allmählich in uns auf demselben Boden,
und er wird in Tausenden von Jahren vielleicht mächtig
genug sein, um der Menschheit die Kraft zu geben, den
weisen, unschuldigen, unschuldbewußten Menschen ebenso
regelmäßig hervorzubringen, wie sie jetzt den unweisen, un-
billigen, schuldbewußten Menschen -- das heißt, die noth-
wendige Vorstufe,
nicht den Gegensatz von jenem --
hervorbringt."

Die Möglichkeit einer weisen Menschheit ist ein Gedanke,
auf den in der That vorher niemand versallen ist. Spinoza
hielt eine Denkergemeinde für möglich, in der Niemand
Aergerniß geben würde. Zu dem Gedanken einer "weisen
Menschheit" würde er den Kopf geschüttelt haben. Der
Verstand sollte wirklich je die Macht haben können, Herr
über die ursprünglicheren Gewalten der Gefühle zu werden?
Und gesetzt, er sollte ein solcher Zauberer zu werden ver-
mögen, würden mit den ethischen Empfindungen nicht auch die
ästhetischen schwinden und schließlich außer einem untrüg-
lichen Verstande nur mehr die niedrigsten Empfindungen

*) p. 91.
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pfindungen“*), „ſolche Schmerzen ſind Geburtswehen. Der
Schmetterling will ſeine Hülle durchbrechen, er zerrt an ihr,
er zerreißt ſie, da blendet und verwirrt ihn das unbekannte
Licht, das Reich der Freiheit. Jn ſolchen Menſchen, welche
jener Traurigkeit fähig ſind — wie wenige werden es ſein!
— wird der erſte Verſuch gemacht, ob die Menſchheit aus
einer moraliſchen in eine weiſe Menſchheit ver-
wandelt werden könne....
Mag in uns die vererbte
Gewohnheit des irrthümlichen Schätzens, Liebens, Haſſens
immerhin fortwalten, aber unter dem Einfluß der wachſenden
Erkenntniß wird ſie ſchwächer werden; eine neue Gewohnheit,
die des Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Haſſens, Ueber-
ſchauens, regt ſich allmählich in uns auf demſelben Boden,
und er wird in Tauſenden von Jahren vielleicht mächtig
genug ſein, um der Menſchheit die Kraft zu geben, den
weiſen, unſchuldigen, unſchuldbewußten Menſchen ebenſo
regelmäßig hervorzubringen, wie ſie jetzt den unweiſen, un-
billigen, ſchuldbewußten Menſchen — das heißt, die noth-
wendige Vorſtufe,
nicht den Gegenſatz von jenem —
hervorbringt.“

Die Möglichkeit einer weiſen Menſchheit iſt ein Gedanke,
auf den in der That vorher niemand verſallen iſt. Spinoza
hielt eine Denkergemeinde für möglich, in der Niemand
Aergerniß geben würde. Zu dem Gedanken einer „weiſen
Menſchheit“ würde er den Kopf geſchüttelt haben. Der
Verſtand ſollte wirklich je die Macht haben können, Herr
über die urſprünglicheren Gewalten der Gefühle zu werden?
Und geſetzt, er ſollte ein ſolcher Zauberer zu werden ver-
mögen, würden mit den ethiſchen Empfindungen nicht auch die
äſthetiſchen ſchwinden und ſchließlich außer einem untrüg-
lichen Verſtande nur mehr die niedrigſten Empfindungen

*) p. 91.
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[51/0060] pfindungen“ *), „ſolche Schmerzen ſind Geburtswehen. Der Schmetterling will ſeine Hülle durchbrechen, er zerrt an ihr, er zerreißt ſie, da blendet und verwirrt ihn das unbekannte Licht, das Reich der Freiheit. Jn ſolchen Menſchen, welche jener Traurigkeit fähig ſind — wie wenige werden es ſein! — wird der erſte Verſuch gemacht, ob die Menſchheit aus einer moraliſchen in eine weiſe Menſchheit ver- wandelt werden könne.... Mag in uns die vererbte Gewohnheit des irrthümlichen Schätzens, Liebens, Haſſens immerhin fortwalten, aber unter dem Einfluß der wachſenden Erkenntniß wird ſie ſchwächer werden; eine neue Gewohnheit, die des Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Haſſens, Ueber- ſchauens, regt ſich allmählich in uns auf demſelben Boden, und er wird in Tauſenden von Jahren vielleicht mächtig genug ſein, um der Menſchheit die Kraft zu geben, den weiſen, unſchuldigen, unſchuldbewußten Menſchen ebenſo regelmäßig hervorzubringen, wie ſie jetzt den unweiſen, un- billigen, ſchuldbewußten Menſchen — das heißt, die noth- wendige Vorſtufe, nicht den Gegenſatz von jenem — hervorbringt.“ Die Möglichkeit einer weiſen Menſchheit iſt ein Gedanke, auf den in der That vorher niemand verſallen iſt. Spinoza hielt eine Denkergemeinde für möglich, in der Niemand Aergerniß geben würde. Zu dem Gedanken einer „weiſen Menſchheit“ würde er den Kopf geſchüttelt haben. Der Verſtand ſollte wirklich je die Macht haben können, Herr über die urſprünglicheren Gewalten der Gefühle zu werden? Und geſetzt, er ſollte ein ſolcher Zauberer zu werden ver- mögen, würden mit den ethiſchen Empfindungen nicht auch die äſthetiſchen ſchwinden und ſchließlich außer einem untrüg- lichen Verſtande nur mehr die niedrigſten Empfindungen *) p. 91. 4*

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/60>, abgerufen am 22.11.2024.