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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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genden Abhängigkeitsgefühl ein haltbares Vorstellungssubstrat
gibt. "Die neue Philosophie, sagt er, macht den Menschen
mit Einschluß der Natur als der Basis des Men-
schen
, zum alleinigen, universellen, höchsten Gegenstand der
Philosophie." Durch diese Darstellung des Verhältnisses von
Natur und Mensch ist in der That der Ausgangspunkt ge-
wonnen, dessen ein Religionsersatz nothwendig bedarf. Der
Mensch ist nichts von der Natur Jsolirtes, sondern
muß in innigem Zusammenhange mit ihr betrachtet
werden. Ob wir uns auf dem materialistischen oder idea-
listischen Standpunkte befinden, so müssen wir den Menschen
als höchstes Glied einer langen Entwicklungsreihe fassen.
Man braucht daher den materialistischen Standpunkt Feuer-
bach's keineswegs zu theilen, um seine feste Eingliederung
des Menschen in die Natur gutzuheißen. Gesetzt auch man
betrachtet mit Kant alle Vorgänge und Dinge und mit
ihnen auch den Menschen als Erscheinung, so muß man doch
zugeben, daß gewisse Erscheinungen vorangehen mußten,
damit andere eintreten konnten, daß die Erscheinung Mensch
z. B. eine unübersehbare Menge anderer Erscheinungen vor-
aussetzt, so daß also im Verhältniß der Erscheinungen zu
einander ein Gesetz sich ausprägt, welches von uns völlig
unabhängig ist, von dem aber wir unsrerseits selbst ganz
und gar abhängig sind.

Für Feuerbach sind die verschiedenen Dinge verschiedene
Werkzeuge der Natur, mit welchen sie verschiedene Ziele ver-
folgt, der Mensch aber ist hinsichtlich seiner höchsten Anlagen
ihr höchstes Werkzeug. Das kann jedoch nur für den Schau-
platz und Wahrnehmungsbereich des Menschen gelten, während
nicht nur auf andern Himmelskörpern höhere Organi-
sationen gedacht werden können, sondern der Mensch selbst
möglicherweise in eine höhere Ordnung übergehen wird.
Feuerbach verfällt, indem er den Menschen schlechthin als

genden Abhängigkeitsgefühl ein haltbares Vorſtellungsſubſtrat
gibt. „Die neue Philoſophie, ſagt er, macht den Menſchen
mit Einſchluß der Natur als der Baſis des Men-
ſchen
, zum alleinigen, univerſellen, höchſten Gegenſtand der
Philoſophie.“ Durch dieſe Darſtellung des Verhältniſſes von
Natur und Menſch iſt in der That der Ausgangspunkt ge-
wonnen, deſſen ein Religionserſatz nothwendig bedarf. Der
Menſch iſt nichts von der Natur Jſolirtes, ſondern
muß in innigem Zuſammenhange mit ihr betrachtet
werden. Ob wir uns auf dem materialiſtiſchen oder idea-
liſtiſchen Standpunkte befinden, ſo müſſen wir den Menſchen
als höchſtes Glied einer langen Entwicklungsreihe faſſen.
Man braucht daher den materialiſtiſchen Standpunkt Feuer-
bach’s keineswegs zu theilen, um ſeine feſte Eingliederung
des Menſchen in die Natur gutzuheißen. Geſetzt auch man
betrachtet mit Kant alle Vorgänge und Dinge und mit
ihnen auch den Menſchen als Erſcheinung, ſo muß man doch
zugeben, daß gewiſſe Erſcheinungen vorangehen mußten,
damit andere eintreten konnten, daß die Erſcheinung Menſch
z. B. eine unüberſehbare Menge anderer Erſcheinungen vor-
ausſetzt, ſo daß alſo im Verhältniß der Erſcheinungen zu
einander ein Geſetz ſich ausprägt, welches von uns völlig
unabhängig iſt, von dem aber wir unſrerſeits ſelbſt ganz
und gar abhängig ſind.

Für Feuerbach ſind die verſchiedenen Dinge verſchiedene
Werkzeuge der Natur, mit welchen ſie verſchiedene Ziele ver-
folgt, der Menſch aber iſt hinſichtlich ſeiner höchſten Anlagen
ihr höchſtes Werkzeug. Das kann jedoch nur für den Schau-
platz und Wahrnehmungsbereich des Menſchen gelten, während
nicht nur auf andern Himmelskörpern höhere Organi-
ſationen gedacht werden können, ſondern der Menſch ſelbſt
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[36/0045] genden Abhängigkeitsgefühl ein haltbares Vorſtellungsſubſtrat gibt. „Die neue Philoſophie, ſagt er, macht den Menſchen mit Einſchluß der Natur als der Baſis des Men- ſchen, zum alleinigen, univerſellen, höchſten Gegenſtand der Philoſophie.“ Durch dieſe Darſtellung des Verhältniſſes von Natur und Menſch iſt in der That der Ausgangspunkt ge- wonnen, deſſen ein Religionserſatz nothwendig bedarf. Der Menſch iſt nichts von der Natur Jſolirtes, ſondern muß in innigem Zuſammenhange mit ihr betrachtet werden. Ob wir uns auf dem materialiſtiſchen oder idea- liſtiſchen Standpunkte befinden, ſo müſſen wir den Menſchen als höchſtes Glied einer langen Entwicklungsreihe faſſen. Man braucht daher den materialiſtiſchen Standpunkt Feuer- bach’s keineswegs zu theilen, um ſeine feſte Eingliederung des Menſchen in die Natur gutzuheißen. Geſetzt auch man betrachtet mit Kant alle Vorgänge und Dinge und mit ihnen auch den Menſchen als Erſcheinung, ſo muß man doch zugeben, daß gewiſſe Erſcheinungen vorangehen mußten, damit andere eintreten konnten, daß die Erſcheinung Menſch z. B. eine unüberſehbare Menge anderer Erſcheinungen vor- ausſetzt, ſo daß alſo im Verhältniß der Erſcheinungen zu einander ein Geſetz ſich ausprägt, welches von uns völlig unabhängig iſt, von dem aber wir unſrerſeits ſelbſt ganz und gar abhängig ſind. Für Feuerbach ſind die verſchiedenen Dinge verſchiedene Werkzeuge der Natur, mit welchen ſie verſchiedene Ziele ver- folgt, der Menſch aber iſt hinſichtlich ſeiner höchſten Anlagen ihr höchſtes Werkzeug. Das kann jedoch nur für den Schau- platz und Wahrnehmungsbereich des Menſchen gelten, während nicht nur auf andern Himmelskörpern höhere Organi- ſationen gedacht werden können, ſondern der Menſch ſelbſt möglicherweiſe in eine höhere Ordnung übergehen wird. Feuerbach verfällt, indem er den Menſchen ſchlechthin als

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/45>, abgerufen am 20.04.2024.