Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

genügend zwischen den Erregungen des Religiösen einer-,
des pietätsvollen Bekenners der neuen Lehre andererseits.
Die Ehrfurcht, die dem modernen aufgeklärten Menschen vor
dem Weltganzen wie auch vor dem Weltengeheimnisse zu-
kommt, wird sich immerhin von derjenigen des Gläu-
bigen vor seinem Gotte unterscheiden müssen, und wenn wir
wohlweislich unterlassen, nach den letzten Gründen des Seins
zu forschen, so soll dies nicht aus heiliger Scheu geschehen,
sondern weil wir einsehen, über eine gewisse Grenze hinaus
nichts wissen zu können. Durch die veränderte Vorstellungs-
unterlage müssen nothwendig die Gefühle, mit welchen wir
das Weltganze in der neuen Lehre erfassen, selbst eine andere
Färbung erhalten als in der Religion, während Duboc denselben
irrthümlicherweise einen religiösen Character belassen möchte.
Denn es handelt sich nicht, wie Duboc meint, um eine athe-
istische Religion, sondern um einen höheren Religionsersatz.

Trotz dieser Verkennung dessen, worauf es eigentlich
ankommt, hat Duboc der neuen Lehre wesentliche Dienste
geleistet.



VIII.

Eine entschiedene Förderung hat unser Problem durch
Eugen Dühring's Werk "Ersatz der Religion durch Voll-
kommeneres und Ausscheidung alles Judenthums aus dem
modernen Völkergeiste" erfahren.

Dühring ist unter allen bisher genannten Denkern der-
jenige, der mit der Religion am gründlichsten gebrochen, sich
von allen religiösen Nachklängen am vollständigsten befreit
hat, freilich nicht ohne mit der Religion auch das Ge-
fühl für Beziehungen des Menschen zum Weltganzen
verloren zu haben, die objektiv vorhanden sind und

5*

genügend zwiſchen den Erregungen des Religiöſen einer-,
des pietätsvollen Bekenners der neuen Lehre andererſeits.
Die Ehrfurcht, die dem modernen aufgeklärten Menſchen vor
dem Weltganzen wie auch vor dem Weltengeheimniſſe zu-
kommt, wird ſich immerhin von derjenigen des Gläu-
bigen vor ſeinem Gotte unterſcheiden müſſen, und wenn wir
wohlweislich unterlaſſen, nach den letzten Gründen des Seins
zu forſchen, ſo ſoll dies nicht aus heiliger Scheu geſchehen,
ſondern weil wir einſehen, über eine gewiſſe Grenze hinaus
nichts wiſſen zu können. Durch die veränderte Vorſtellungs-
unterlage müſſen nothwendig die Gefühle, mit welchen wir
das Weltganze in der neuen Lehre erfaſſen, ſelbſt eine andere
Färbung erhalten als in der Religion, während Duboc denſelben
irrthümlicherweiſe einen religiöſen Character belaſſen möchte.
Denn es handelt ſich nicht, wie Duboc meint, um eine athe-
iſtiſche Religion, ſondern um einen höheren Religionserſatz.

Trotz dieſer Verkennung deſſen, worauf es eigentlich
ankommt, hat Duboc der neuen Lehre weſentliche Dienſte
geleiſtet.



VIII.

Eine entſchiedene Förderung hat unſer Problem durch
Eugen Dühring’s Werk „Erſatz der Religion durch Voll-
kommeneres und Ausſcheidung alles Judenthums aus dem
modernen Völkergeiſte“ erfahren.

Dühring iſt unter allen bisher genannten Denkern der-
jenige, der mit der Religion am gründlichſten gebrochen, ſich
von allen religiöſen Nachklängen am vollſtändigſten befreit
hat, freilich nicht ohne mit der Religion auch das Ge-
fühl für Beziehungen des Menſchen zum Weltganzen
verloren zu haben, die objektiv vorhanden ſind und

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0076" n="67"/>
genügend zwi&#x017F;chen den Erregungen des Religiö&#x017F;en einer-,<lb/>
des pietätsvollen Bekenners der neuen Lehre anderer&#x017F;eits.<lb/>
Die Ehrfurcht, die dem modernen aufgeklärten Men&#x017F;chen vor<lb/>
dem Weltganzen wie auch vor dem Weltengeheimni&#x017F;&#x017F;e zu-<lb/>
kommt, wird &#x017F;ich immerhin von derjenigen des Gläu-<lb/>
bigen vor &#x017F;einem Gotte unter&#x017F;cheiden mü&#x017F;&#x017F;en, und wenn wir<lb/>
wohlweislich unterla&#x017F;&#x017F;en, nach den letzten Gründen des Seins<lb/>
zu for&#x017F;chen, &#x017F;o &#x017F;oll dies nicht aus heiliger Scheu ge&#x017F;chehen,<lb/>
&#x017F;ondern weil wir ein&#x017F;ehen, über eine gewi&#x017F;&#x017F;e Grenze hinaus<lb/>
nichts wi&#x017F;&#x017F;en zu können. Durch die veränderte Vor&#x017F;tellungs-<lb/>
unterlage mü&#x017F;&#x017F;en nothwendig die Gefühle, mit welchen wir<lb/>
das Weltganze in der neuen Lehre erfa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;elb&#x017F;t eine andere<lb/>
Färbung erhalten als in der Religion, während Duboc den&#x017F;elben<lb/>
irrthümlicherwei&#x017F;e einen religiö&#x017F;en Character bela&#x017F;&#x017F;en möchte.<lb/>
Denn es handelt &#x017F;ich nicht, wie Duboc meint, um eine athe-<lb/>
i&#x017F;ti&#x017F;che Religion, &#x017F;ondern um einen höheren Religionser&#x017F;atz.</p><lb/>
        <p>Trotz die&#x017F;er Verkennung de&#x017F;&#x017F;en, worauf es eigentlich<lb/>
ankommt, hat Duboc der neuen Lehre we&#x017F;entliche Dien&#x017F;te<lb/>
gelei&#x017F;tet.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">VIII.</hi> </hi> </head><lb/>
        <p>Eine ent&#x017F;chiedene Förderung hat un&#x017F;er Problem durch<lb/>
Eugen Dühring&#x2019;s Werk &#x201E;Er&#x017F;atz der Religion durch Voll-<lb/>
kommeneres und Aus&#x017F;cheidung alles Judenthums aus dem<lb/>
modernen Völkergei&#x017F;te&#x201C; erfahren.</p><lb/>
        <p>Dühring i&#x017F;t unter allen bisher genannten Denkern der-<lb/>
jenige, der mit der Religion am gründlich&#x017F;ten gebrochen, &#x017F;ich<lb/>
von allen religiö&#x017F;en Nachklängen am voll&#x017F;tändig&#x017F;ten befreit<lb/>
hat, freilich nicht ohne mit der Religion auch das Ge-<lb/>
fühl für Beziehungen des Men&#x017F;chen zum Weltganzen<lb/>
verloren zu haben, die objektiv vorhanden &#x017F;ind und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0076] genügend zwiſchen den Erregungen des Religiöſen einer-, des pietätsvollen Bekenners der neuen Lehre andererſeits. Die Ehrfurcht, die dem modernen aufgeklärten Menſchen vor dem Weltganzen wie auch vor dem Weltengeheimniſſe zu- kommt, wird ſich immerhin von derjenigen des Gläu- bigen vor ſeinem Gotte unterſcheiden müſſen, und wenn wir wohlweislich unterlaſſen, nach den letzten Gründen des Seins zu forſchen, ſo ſoll dies nicht aus heiliger Scheu geſchehen, ſondern weil wir einſehen, über eine gewiſſe Grenze hinaus nichts wiſſen zu können. Durch die veränderte Vorſtellungs- unterlage müſſen nothwendig die Gefühle, mit welchen wir das Weltganze in der neuen Lehre erfaſſen, ſelbſt eine andere Färbung erhalten als in der Religion, während Duboc denſelben irrthümlicherweiſe einen religiöſen Character belaſſen möchte. Denn es handelt ſich nicht, wie Duboc meint, um eine athe- iſtiſche Religion, ſondern um einen höheren Religionserſatz. Trotz dieſer Verkennung deſſen, worauf es eigentlich ankommt, hat Duboc der neuen Lehre weſentliche Dienſte geleiſtet. VIII. Eine entſchiedene Förderung hat unſer Problem durch Eugen Dühring’s Werk „Erſatz der Religion durch Voll- kommeneres und Ausſcheidung alles Judenthums aus dem modernen Völkergeiſte“ erfahren. Dühring iſt unter allen bisher genannten Denkern der- jenige, der mit der Religion am gründlichſten gebrochen, ſich von allen religiöſen Nachklängen am vollſtändigſten befreit hat, freilich nicht ohne mit der Religion auch das Ge- fühl für Beziehungen des Menſchen zum Weltganzen verloren zu haben, die objektiv vorhanden ſind und 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/76
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/76>, abgerufen am 28.12.2024.