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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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welche ertragen werden können.
rischen Lärche durch seine furchtbaren Kältegrade aus-
gezeichnet; der Januar hat als Mittel -- 49°C., als Mi-
nimum -- 60° und als Maximum -- 28°, während zu
Jakutsk mit dem weniger kalten Monatsmittel von fast
-- 43° doch noch ein tieferes Minimum, nämlich -- 62°C.
beobachtet ist. Innerhalb der Temperatur von -- 40°C.,
bei welcher Quecksilber gefriert, liegt Werchojansk für
die ganze Dauer des November, Dezember, Januar und
Februar, Jakutsk nur für Dezember und Januar, Ust-
jansk dagegen unter fast 71° N. an der Mündung der
Yana hat nur im Januar das tiefe Mittel. Der weniger
kalte nordamerikanische Kältepol fällt nördlich der Baum-
linie; doch treten an der Mündung des Yukon im Bereich
der nördlichsten Alaska-Waldungen ebenfalls einzelne
Kältegrade bis -- 52°C. auf, welche immerhin an die
sibirischen nahe heranreichen. -- Diese Kälten über-
stehen die Bäume, ebenso die auf ihnen befestigten Flechten;
und wenn man auch der Schneedecke einen noch so
grossen Schutz zuschiebt, was übrigens nach neueren
biologischen Beobachtungen im höchsten Norden kaum
sehr berechtigt zu sein scheint, so müssen doch sehr
viele Stauden mit ihren überwinternden Organen den
dem Januarmittel in Nordsibirien entsprechenden Tem-
peraturen von -- 40° ausgesetzt sein und überstehen die-
selben, durch besondere uns im einzelnen noch unbekannte
Organisation geschützt, im tiefsten Winterschlaf, um
unter dem belebenden Einflusse des Aufsteigens der Tem-
peratur über die gewiss schon bei 0° liegende Schwelle
unbeirrt in den neuen Sommer zu treten; und anderer-
seits werden heissen Ländern entstammende Pflanzen
auch im Zustande ihrer Vegetationsruhe und mit lederigen
Blättern besetzt durch den leisesten wirklichen Frost getötet.

Die eigentliche Todesursache beim Erfrieren der Pflanzen, ob
bei Temperaturen wenig oder tief unter Null, ist noch unbekannt;
die Idee, dass die Eisbildung in den Zellen den Tod bewirke,
kann nur selten richtig sein, denn in der Mehrzahl der Fälle kommt
es zu gar keiner Eisbildung daselbst, obgleich der Tod vielleicht
schon bei -- 1° eintritt. Die Temperaturerniedrigung erzielt also
molekulare Vorgänge, welche die eine Pflanze leicht, die andere
schwer, andere gar nicht ertragen.

welche ertragen werden können.
rischen Lärche durch seine furchtbaren Kältegrade aus-
gezeichnet; der Januar hat als Mittel — 49°C., als Mi-
nimum — 60° und als Maximum — 28°, während zu
Jakutsk mit dem weniger kalten Monatsmittel von fast
— 43° doch noch ein tieferes Minimum, nämlich — 62°C.
beobachtet ist. Innerhalb der Temperatur von — 40°C.,
bei welcher Quecksilber gefriert, liegt Werchojansk für
die ganze Dauer des November, Dezember, Januar und
Februar, Jakutsk nur für Dezember und Januar, Ust-
jansk dagegen unter fast 71° N. an der Mündung der
Yana hat nur im Januar das tiefe Mittel. Der weniger
kalte nordamerikanische Kältepol fällt nördlich der Baum-
linie; doch treten an der Mündung des Yukon im Bereich
der nördlichsten Alaska-Waldungen ebenfalls einzelne
Kältegrade bis — 52°C. auf, welche immerhin an die
sibirischen nahe heranreichen. — Diese Kälten über-
stehen die Bäume, ebenso die auf ihnen befestigten Flechten;
und wenn man auch der Schneedecke einen noch so
grossen Schutz zuschiebt, was übrigens nach neueren
biologischen Beobachtungen im höchsten Norden kaum
sehr berechtigt zu sein scheint, so müssen doch sehr
viele Stauden mit ihren überwinternden Organen den
dem Januarmittel in Nordsibirien entsprechenden Tem-
peraturen von — 40° ausgesetzt sein und überstehen die-
selben, durch besondere uns im einzelnen noch unbekannte
Organisation geschützt, im tiefsten Winterschlaf, um
unter dem belebenden Einflusse des Aufsteigens der Tem-
peratur über die gewiss schon bei 0° liegende Schwelle
unbeirrt in den neuen Sommer zu treten; und anderer-
seits werden heissen Ländern entstammende Pflanzen
auch im Zustande ihrer Vegetationsruhe und mit lederigen
Blättern besetzt durch den leisesten wirklichen Frost getötet.

Die eigentliche Todesursache beim Erfrieren der Pflanzen, ob
bei Temperaturen wenig oder tief unter Null, ist noch unbekannt;
die Idee, dass die Eisbildung in den Zellen den Tod bewirke,
kann nur selten richtig sein, denn in der Mehrzahl der Fälle kommt
es zu gar keiner Eisbildung daselbst, obgleich der Tod vielleicht
schon bei — 1° eintritt. Die Temperaturerniedrigung erzielt also
molekulare Vorgänge, welche die eine Pflanze leicht, die andere
schwer, andere gar nicht ertragen.

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[25/0047] welche ertragen werden können. rischen Lärche durch seine furchtbaren Kältegrade aus- gezeichnet; der Januar hat als Mittel — 49°C., als Mi- nimum — 60° und als Maximum — 28°, während zu Jakutsk mit dem weniger kalten Monatsmittel von fast — 43° doch noch ein tieferes Minimum, nämlich — 62°C. beobachtet ist. Innerhalb der Temperatur von — 40°C., bei welcher Quecksilber gefriert, liegt Werchojansk für die ganze Dauer des November, Dezember, Januar und Februar, Jakutsk nur für Dezember und Januar, Ust- jansk dagegen unter fast 71° N. an der Mündung der Yana hat nur im Januar das tiefe Mittel. Der weniger kalte nordamerikanische Kältepol fällt nördlich der Baum- linie; doch treten an der Mündung des Yukon im Bereich der nördlichsten Alaska-Waldungen ebenfalls einzelne Kältegrade bis — 52°C. auf, welche immerhin an die sibirischen nahe heranreichen. — Diese Kälten über- stehen die Bäume, ebenso die auf ihnen befestigten Flechten; und wenn man auch der Schneedecke einen noch so grossen Schutz zuschiebt, was übrigens nach neueren biologischen Beobachtungen im höchsten Norden kaum sehr berechtigt zu sein scheint, so müssen doch sehr viele Stauden mit ihren überwinternden Organen den dem Januarmittel in Nordsibirien entsprechenden Tem- peraturen von — 40° ausgesetzt sein und überstehen die- selben, durch besondere uns im einzelnen noch unbekannte Organisation geschützt, im tiefsten Winterschlaf, um unter dem belebenden Einflusse des Aufsteigens der Tem- peratur über die gewiss schon bei 0° liegende Schwelle unbeirrt in den neuen Sommer zu treten; und anderer- seits werden heissen Ländern entstammende Pflanzen auch im Zustande ihrer Vegetationsruhe und mit lederigen Blättern besetzt durch den leisesten wirklichen Frost getötet. Die eigentliche Todesursache beim Erfrieren der Pflanzen, ob bei Temperaturen wenig oder tief unter Null, ist noch unbekannt; die Idee, dass die Eisbildung in den Zellen den Tod bewirke, kann nur selten richtig sein, denn in der Mehrzahl der Fälle kommt es zu gar keiner Eisbildung daselbst, obgleich der Tod vielleicht schon bei — 1° eintritt. Die Temperaturerniedrigung erzielt also molekulare Vorgänge, welche die eine Pflanze leicht, die andere schwer, andere gar nicht ertragen.

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/47>, abgerufen am 28.03.2024.