europäischen Flora hat man bei Frostgraden Lebenserscheinungen in aller mikroskopischen Deutlichkeit festgestellt. Sonst kann man sagen, dass erst über dem Gefrierpunkt des süssen Wassers die Vegetationsprozesse ihren unteren spezifischen Nullpunkt haben. Die Keimungstemperaturen für tropische Gewächse liegen wohl alle höher als 10°C.; Gurken und Melonen keimen erst bei 14°C. unsere Getreidearten bei 4°, die Samen einer grossen Anzahl von alpinen Gewächsen dagegen schon bei 2°C.
Die Temperaturen unterhalb der spezifischen Null- punkte sind für das Pflanzenleben wirkungslos und führen, wenn sie nicht vielleicht durch physiologische Wirkungen des Frostes töten, zu einem Schlaf- oder Starrezustand, welcher so lange anhält, bis eine wenigstens zu dem spezifischen Nullpunkte ansteigende Temperatur ihn aus- löst. Wenn demnach irgend ein Same + 8° unteren Grenzwert für seine Keimung hat, so kann er in Boden- temperaturen von 0 bis 8° niemals keimen trotz Bewäs- serung und wird eher verfaulen, als ein Pflänzchen ent- wickeln. Den unteren spezifischen Nullpunkt hat man daher auch wohl "die Schwelle" oder die Schwelltem- peratur genannt, deren Ueberschreiten erst zu der erwar- teten Lebenserscheinung führt. Was die Bodentempe- raturen für die Keimung, ebenso für das Austreiben der im Erdreich schlummernden Knollen, Zwiebeln, Wurzel- stöcke und für die Wasserzufuhr durch die Wurzeln zur Folge haben, beeinflussen die Lufttemperaturen hinsicht- lich der Wachstumserscheinungen der Stengel und Blätter, hinsichtlich der Ernährungsweise durch die Assimilation der Kohlensäure, hinsichtlich der Oeffnungs- und Schlies- sungsbewegungen an Blütenorganen zum Zweck einer kräftigen Befruchtung, und -- wie schon gesagt -- an jeder einzelnen Pflanze pflegen die Grenzwerte für jede dieser Lebenserscheinungen andere zu sein, spezifisch für jede Organfunktion, aber selbstverständlich einander sehr ähnlich für die Flora eines kleinen Gebietes an einheit- lichem Standorte.
Nach den bisher gemachten Beobachtungen mögen die günstigsten Temperaturen für die Mehrzahl der Ge- wächse gemässigter Klimate zwischen 20 und 25°, die oberen Grenzwerte etwa bei 35 und 40°C. liegen; letztere
Schwelltemperaturen; Grenzwerte.
europäischen Flora hat man bei Frostgraden Lebenserscheinungen in aller mikroskopischen Deutlichkeit festgestellt. Sonst kann man sagen, dass erst über dem Gefrierpunkt des süssen Wassers die Vegetationsprozesse ihren unteren spezifischen Nullpunkt haben. Die Keimungstemperaturen für tropische Gewächse liegen wohl alle höher als 10°C.; Gurken und Melonen keimen erst bei 14°C. unsere Getreidearten bei 4°, die Samen einer grossen Anzahl von alpinen Gewächsen dagegen schon bei 2°C.
Die Temperaturen unterhalb der spezifischen Null- punkte sind für das Pflanzenleben wirkungslos und führen, wenn sie nicht vielleicht durch physiologische Wirkungen des Frostes töten, zu einem Schlaf- oder Starrezustand, welcher so lange anhält, bis eine wenigstens zu dem spezifischen Nullpunkte ansteigende Temperatur ihn aus- löst. Wenn demnach irgend ein Same + 8° unteren Grenzwert für seine Keimung hat, so kann er in Boden- temperaturen von 0 bis 8° niemals keimen trotz Bewäs- serung und wird eher verfaulen, als ein Pflänzchen ent- wickeln. Den unteren spezifischen Nullpunkt hat man daher auch wohl „die Schwelle“ oder die Schwelltem- peratur genannt, deren Ueberschreiten erst zu der erwar- teten Lebenserscheinung führt. Was die Bodentempe- raturen für die Keimung, ebenso für das Austreiben der im Erdreich schlummernden Knollen, Zwiebeln, Wurzel- stöcke und für die Wasserzufuhr durch die Wurzeln zur Folge haben, beeinflussen die Lufttemperaturen hinsicht- lich der Wachstumserscheinungen der Stengel und Blätter, hinsichtlich der Ernährungsweise durch die Assimilation der Kohlensäure, hinsichtlich der Oeffnungs- und Schlies- sungsbewegungen an Blütenorganen zum Zweck einer kräftigen Befruchtung, und — wie schon gesagt — an jeder einzelnen Pflanze pflegen die Grenzwerte für jede dieser Lebenserscheinungen andere zu sein, spezifisch für jede Organfunktion, aber selbstverständlich einander sehr ähnlich für die Flora eines kleinen Gebietes an einheit- lichem Standorte.
Nach den bisher gemachten Beobachtungen mögen die günstigsten Temperaturen für die Mehrzahl der Ge- wächse gemässigter Klimate zwischen 20 und 25°, die oberen Grenzwerte etwa bei 35 und 40°C. liegen; letztere
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Schwelltemperaturen; Grenzwerte.
europäischen Flora hat man bei Frostgraden Lebenserscheinungen
in aller mikroskopischen Deutlichkeit festgestellt. Sonst kann man
sagen, dass erst über dem Gefrierpunkt des süssen Wassers die
Vegetationsprozesse ihren unteren spezifischen Nullpunkt haben.
Die Keimungstemperaturen für tropische Gewächse liegen wohl
alle höher als 10°C.; Gurken und Melonen keimen erst bei 14°C.
unsere Getreidearten bei 4°, die Samen einer grossen Anzahl von
alpinen Gewächsen dagegen schon bei 2°C.
Die Temperaturen unterhalb der spezifischen Null-
punkte sind für das Pflanzenleben wirkungslos und führen,
wenn sie nicht vielleicht durch physiologische Wirkungen
des Frostes töten, zu einem Schlaf- oder Starrezustand,
welcher so lange anhält, bis eine wenigstens zu dem
spezifischen Nullpunkte ansteigende Temperatur ihn aus-
löst. Wenn demnach irgend ein Same + 8° unteren
Grenzwert für seine Keimung hat, so kann er in Boden-
temperaturen von 0 bis 8° niemals keimen trotz Bewäs-
serung und wird eher verfaulen, als ein Pflänzchen ent-
wickeln. Den unteren spezifischen Nullpunkt hat man
daher auch wohl „die Schwelle“ oder die Schwelltem-
peratur genannt, deren Ueberschreiten erst zu der erwar-
teten Lebenserscheinung führt. Was die Bodentempe-
raturen für die Keimung, ebenso für das Austreiben der
im Erdreich schlummernden Knollen, Zwiebeln, Wurzel-
stöcke und für die Wasserzufuhr durch die Wurzeln zur
Folge haben, beeinflussen die Lufttemperaturen hinsicht-
lich der Wachstumserscheinungen der Stengel und Blätter,
hinsichtlich der Ernährungsweise durch die Assimilation
der Kohlensäure, hinsichtlich der Oeffnungs- und Schlies-
sungsbewegungen an Blütenorganen zum Zweck einer
kräftigen Befruchtung, und — wie schon gesagt — an
jeder einzelnen Pflanze pflegen die Grenzwerte für jede
dieser Lebenserscheinungen andere zu sein, spezifisch für
jede Organfunktion, aber selbstverständlich einander sehr
ähnlich für die Flora eines kleinen Gebietes an einheit-
lichem Standorte.
Nach den bisher gemachten Beobachtungen mögen
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oberen Grenzwerte etwa bei 35 und 40°C. liegen; letztere
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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/45>, abgerufen am 22.11.2024.
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