jetzt aber sind in den nördlichen Ketten die Alpenmatten den europäischen ähnlich besiedelt (jedoch ohne Moore!, ohne Zwerg- weiden und Dryas); in den mittleren Ketten herrschen "Alpenprai- rien" aus Festuca- und Pilagrostis-Arten mit Leontopodium, Del- phinium caucasicum, Pulsatilla albana etc. in graulich-behaartem Blattkleid; in den südlichen Ketten erscheinen die "Alpensteppen" aus Zwergformen kleiner Stipa orientalis und capillata, Artemisia frigida und rupestris etc. auf trockenem, staubigem Boden. Viel- fach stösst der Wanderer auf vegetationslose Thäler. Aber im Alpengebiete des östlichen Thian-schan sind bis jetzt doch schon 250 Arten gefunden worden.
4. Nordtibetanische Schneewüstenregion. Dieselbe erstreckt sich zwischen der nördlichen Wasserscheide des Indus und dem Künlün-Altyntag-Nanschan. Zwischen diesen letzteren Gebirgen und dem östlichen Thian-schan liegen heisse Wüsten, z. T. mit Oasen, z. T. völlig wild. Die südlich Chami liegende ist von Prshewalski durchschritten: "4 Tagereisen südlich Chami be- gann die absolute Vegetationslosigkeit: Kiesel, Sand, Gestein und Lössblöcke war alles, was das Auge erblickte. Der Boden glühte (bis 611/2°C.!), auch die Nacht brachte keine Erfrischung; furcht- bare Stürme wirbelten Sandwolken auf." Nach Ueberschreitung der südlich folgenden Hochgebirge aber ändert sich der Charakter durch die ausserordentliche Höhenlage, in welcher nunmehr die dürftige Wüstensteppenflora um den Platz zu streiten hat. Denn dies ganze nördliche Tibet bildet ein Hochland von circa 4000 bis 4500 m Durchschnittshöhe und bis 7000 m hohen Randketten, in denen nicht selten ewiger Schnee angetroffen wird. Der Sommer hat Ueberfluss an Feuchtigkeit, die übrigen Jahreszeiten sind trocken. Kein Baum ist hier beobachtet, als Krüppelsträucher: Hippophae, Potentilla, Reaumuria. An den fruchtbareren Stellen entwickeln sich Grasfluren mit Allium, Iris und Astragalus; auf den Gebirgen herrscht überall Kobresia tibetica, ein Riedgras von 1/2--1 Fuss Höhe, zäh wie Draht, mit seinen Wurzeln ausgedehnte Hügelmoore bildend. Von Alpenstauden sind sonst bemerkt Wer- neria, Saussurea und Anaphalis (Filzkräuter), auch Przewalskia tan- gutica, Artemisien etc.
5. Die mongolische Steppen- und
6. die osttibetanische Waldsteppenregion schliessen sich an die vorige im Nordosten, bezw. im Osten an. Die erstere bildet das Grenzgebiet gegen das altaische und baikalische wie daurische Sibirien, die letztere gegen die immergrüne Gebüsche tragenden chinesischen Landstriche. Im ersteren ist die Flora ärmlich, auch arm an Endemismen, von denen einige oben (S. 145) genannt sind; im letzteren ist die Flora bunt und reich, z. B. gut am Kuku-nor und Nan-schan entwickelt, deren Gebiet als nörd- lichstes Tibet, nicht -- wie ich früher meinte -- als südlichste Mongolei zu gelten hat. Hier sind Fichten- und Birkenwaldungen bis gegen 3000 m hoch, Gesträuche zahlreich, hier treten auch
Die sechs Vegetationsregionen.
jetzt aber sind in den nördlichen Ketten die Alpenmatten den europäischen ähnlich besiedelt (jedoch ohne Moore!, ohne Zwerg- weiden und Dryas); in den mittleren Ketten herrschen „Alpenprai- rien“ aus Festuca- und Pilagrostis-Arten mit Leontopodium, Del- phinium caucasicum, Pulsatilla albana etc. in graulich-behaartem Blattkleid; in den südlichen Ketten erscheinen die „Alpensteppen“ aus Zwergformen kleiner Stipa orientalis und capillata, Artemisia frigida und rupestris etc. auf trockenem, staubigem Boden. Viel- fach stösst der Wanderer auf vegetationslose Thäler. Aber im Alpengebiete des östlichen Thian-schan sind bis jetzt doch schon 250 Arten gefunden worden.
4. Nordtibetanische Schneewüstenregion. Dieselbe erstreckt sich zwischen der nördlichen Wasserscheide des Indus und dem Künlün-Altyntag-Nanschan. Zwischen diesen letzteren Gebirgen und dem östlichen Thian-schan liegen heisse Wüsten, z. T. mit Oasen, z. T. völlig wild. Die südlich Chami liegende ist von Prshewalski durchschritten: „4 Tagereisen südlich Chami be- gann die absolute Vegetationslosigkeit: Kiesel, Sand, Gestein und Lössblöcke war alles, was das Auge erblickte. Der Boden glühte (bis 61½°C.!), auch die Nacht brachte keine Erfrischung; furcht- bare Stürme wirbelten Sandwolken auf.“ Nach Ueberschreitung der südlich folgenden Hochgebirge aber ändert sich der Charakter durch die ausserordentliche Höhenlage, in welcher nunmehr die dürftige Wüstensteppenflora um den Platz zu streiten hat. Denn dies ganze nördliche Tibet bildet ein Hochland von circa 4000 bis 4500 m Durchschnittshöhe und bis 7000 m hohen Randketten, in denen nicht selten ewiger Schnee angetroffen wird. Der Sommer hat Ueberfluss an Feuchtigkeit, die übrigen Jahreszeiten sind trocken. Kein Baum ist hier beobachtet, als Krüppelsträucher: Hippophaë, Potentilla, Reaumuria. An den fruchtbareren Stellen entwickeln sich Grasfluren mit Allium, Iris und Astragalus; auf den Gebirgen herrscht überall Kobresia tibetica, ein Riedgras von ½—1 Fuss Höhe, zäh wie Draht, mit seinen Wurzeln ausgedehnte Hügelmoore bildend. Von Alpenstauden sind sonst bemerkt Wer- neria, Saussurea und Anaphalis (Filzkräuter), auch Przewalskia tan- gutica, Artemisien etc.
5. Die mongolische Steppen- und
6. die osttibetanische Waldsteppenregion schliessen sich an die vorige im Nordosten, bezw. im Osten an. Die erstere bildet das Grenzgebiet gegen das altaische und baikalische wie daurische Sibirien, die letztere gegen die immergrüne Gebüsche tragenden chinesischen Landstriche. Im ersteren ist die Flora ärmlich, auch arm an Endemismen, von denen einige oben (S. 145) genannt sind; im letzteren ist die Flora bunt und reich, z. B. gut am Kuku-nor und Nan-schan entwickelt, deren Gebiet als nörd- lichstes Tibet, nicht — wie ich früher meinte — als südlichste Mongolei zu gelten hat. Hier sind Fichten- und Birkenwaldungen bis gegen 3000 m hoch, Gesträuche zahlreich, hier treten auch
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Die sechs Vegetationsregionen.
jetzt aber sind in den nördlichen Ketten die Alpenmatten den
europäischen ähnlich besiedelt (jedoch ohne Moore!, ohne Zwerg-
weiden und Dryas); in den mittleren Ketten herrschen „Alpenprai-
rien“ aus Festuca- und Pilagrostis-Arten mit Leontopodium, Del-
phinium caucasicum, Pulsatilla albana etc. in graulich-behaartem
Blattkleid; in den südlichen Ketten erscheinen die „Alpensteppen“
aus Zwergformen kleiner Stipa orientalis und capillata, Artemisia
frigida und rupestris etc. auf trockenem, staubigem Boden. Viel-
fach stösst der Wanderer auf vegetationslose Thäler. Aber im
Alpengebiete des östlichen Thian-schan sind bis jetzt doch schon
250 Arten gefunden worden.
4. Nordtibetanische Schneewüstenregion. Dieselbe
erstreckt sich zwischen der nördlichen Wasserscheide des Indus
und dem Künlün-Altyntag-Nanschan. Zwischen diesen letzteren
Gebirgen und dem östlichen Thian-schan liegen heisse Wüsten, z.
T. mit Oasen, z. T. völlig wild. Die südlich Chami liegende ist
von Prshewalski durchschritten: „4 Tagereisen südlich Chami be-
gann die absolute Vegetationslosigkeit: Kiesel, Sand, Gestein und
Lössblöcke war alles, was das Auge erblickte. Der Boden glühte
(bis 61½°C.!), auch die Nacht brachte keine Erfrischung; furcht-
bare Stürme wirbelten Sandwolken auf.“ Nach Ueberschreitung
der südlich folgenden Hochgebirge aber ändert sich der Charakter
durch die ausserordentliche Höhenlage, in welcher nunmehr die
dürftige Wüstensteppenflora um den Platz zu streiten hat. Denn
dies ganze nördliche Tibet bildet ein Hochland von circa 4000 bis
4500 m Durchschnittshöhe und bis 7000 m hohen Randketten, in
denen nicht selten ewiger Schnee angetroffen wird. Der Sommer
hat Ueberfluss an Feuchtigkeit, die übrigen Jahreszeiten sind
trocken. Kein Baum ist hier beobachtet, als Krüppelsträucher:
Hippophaë, Potentilla, Reaumuria. An den fruchtbareren Stellen
entwickeln sich Grasfluren mit Allium, Iris und Astragalus; auf
den Gebirgen herrscht überall Kobresia tibetica, ein Riedgras von
½—1 Fuss Höhe, zäh wie Draht, mit seinen Wurzeln ausgedehnte
Hügelmoore bildend. Von Alpenstauden sind sonst bemerkt Wer-
neria, Saussurea und Anaphalis (Filzkräuter), auch Przewalskia tan-
gutica, Artemisien etc.
5. Die mongolische Steppen- und
6. die osttibetanische Waldsteppenregion schliessen
sich an die vorige im Nordosten, bezw. im Osten an. Die erstere
bildet das Grenzgebiet gegen das altaische und baikalische wie
daurische Sibirien, die letztere gegen die immergrüne Gebüsche
tragenden chinesischen Landstriche. Im ersteren ist die Flora
ärmlich, auch arm an Endemismen, von denen einige oben (S. 145)
genannt sind; im letzteren ist die Flora bunt und reich, z. B. gut
am Kuku-nor und Nan-schan entwickelt, deren Gebiet als nörd-
lichstes Tibet, nicht — wie ich früher meinte — als südlichste
Mongolei zu gelten hat. Hier sind Fichten- und Birkenwaldungen
bis gegen 3000 m hoch, Gesträuche zahlreich, hier treten auch
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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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