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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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wichtiger sind als die oft sehr äusserlichen und zufälligen Nachrichten,
welche bisher für Geschichte gegolten haben. Soll da die Forschung
das Gewehr strecken?

Wir haben wohl, wenn wir in eine Sammlung Aegyptischer Alter-
thümer treten, den besonderen Eindruck, die subjective Anschauung
dieses wunderlichen Alterthums; aber wenigstens in der einen und an-
deren Richtung können wir forschend zu positiveren Ergebnissen kommen.
Da sind diese Syenite, behauen, polirt; da sind diese Farben, diese Ge-
webe; welcher Werkzeuge, welcher Metalle bedurfte es, so harten Stein
zu verarbeiten, welcher mechanischen Constructionen, solche Massen aus
dem Felsen zu heben, auf die Barke zu schaffen? wie wurden chemisch
diese Farben bereitet? aus welchen Stoffen sind diese Gewebe, und
woher kamen sie? Auf dem Wege solcher technologischen Interpretation
der Ueberreste ergeben sich Thatsachen, welche die dürftige Ueberliefe-
rung über das alte Aegypten nach vielen und bedeutenden Richtungen
hin ergänzen, und diese Thatsachen ergeben sich mit einer Sicherheit,
die um so grösser ist, je weniger direct sie gewonnen wurden.

Vielen erscheint es kritisch, etwa von der Verfassung des alten
Rom oder Athens vor den Perserkriegen nur das gelten zu lassen, was
ausdrücklich überliefert und bezeugt ist. Aber die Phantasie des Lesers
wird nicht unterlassen, diese dürftigen Notizen unter sich zu verbinden
und sie so zu einem Bild zu ergänzen; nur dass diese Ergänzung ein
Spiel der Phantasie, dies Bild ein willkürliches oder unwillkürliches ist.
Ist es nicht möglich, Methoden zu finden, die das Verfahren der Ergän-
zung regeln und begründen? In der pragmatischen Natur derartiger
Dinge -- denn des Polybius Ausdruck pragmatisch sollte man aufhören
zu missachten -- liegen Momente, Bedingungen, Nothwendigkeiten,
deren Spuren sich, wenn man schärfer hinsieht, vielleicht in Dem
wiedererkennen lassen, was uns noch vorliegt; und die hypothetische
Linie, die uns jene pragmatische Natur der Dinge zeichnen liess, be-
stätigt sich dann, indem sich dies oder jenes Bruchstück in diese Linie
genau einfügt.

Als es galt, die Kunstgeschichte der Zeit Raphael's und Dürer's zu
erarbeiten, da war mit den "Quellen" und der Quellenkritik nicht weit
zu kommen, wenn man auch in Vasari u. A. wenigstens für die Italie-
nischen Meister ganz erwünschte äusserliche Nachrichten fand; in ihren

wichtiger sind als die oft sehr äusserlichen und zufälligen Nachrichten,
welche bisher für Geschichte gegolten haben. Soll da die Forschung
das Gewehr strecken?

Wir haben wohl, wenn wir in eine Sammlung Aegyptischer Alter-
thümer treten, den besonderen Eindruck, die subjective Anschauung
dieses wunderlichen Alterthums; aber wenigstens in der einen und an-
deren Richtung können wir forschend zu positiveren Ergebnissen kommen.
Da sind diese Syenite, behauen, polirt; da sind diese Farben, diese Ge-
webe; welcher Werkzeuge, welcher Metalle bedurfte es, so harten Stein
zu verarbeiten, welcher mechanischen Constructionen, solche Massen aus
dem Felsen zu heben, auf die Barke zu schaffen? wie wurden chemisch
diese Farben bereitet? aus welchen Stoffen sind diese Gewebe, und
woher kamen sie? Auf dem Wege solcher technologischen Interpretation
der Ueberreste ergeben sich Thatsachen, welche die dürftige Ueberliefe-
rung über das alte Aegypten nach vielen und bedeutenden Richtungen
hin ergänzen, und diese Thatsachen ergeben sich mit einer Sicherheit,
die um so grösser ist, je weniger direct sie gewonnen wurden.

Vielen erscheint es kritisch, etwa von der Verfassung des alten
Rom oder Athens vor den Perserkriegen nur das gelten zu lassen, was
ausdrücklich überliefert und bezeugt ist. Aber die Phantasie des Lesers
wird nicht unterlassen, diese dürftigen Notizen unter sich zu verbinden
und sie so zu einem Bild zu ergänzen; nur dass diese Ergänzung ein
Spiel der Phantasie, dies Bild ein willkürliches oder unwillkürliches ist.
Ist es nicht möglich, Methoden zu finden, die das Verfahren der Ergän-
zung regeln und begründen? In der pragmatischen Natur derartiger
Dinge — denn des Polybius Ausdruck pragmatisch sollte man aufhören
zu missachten — liegen Momente, Bedingungen, Nothwendigkeiten,
deren Spuren sich, wenn man schärfer hinsieht, vielleicht in Dem
wiedererkennen lassen, was uns noch vorliegt; und die hypothetische
Linie, die uns jene pragmatische Natur der Dinge zeichnen liess, be-
stätigt sich dann, indem sich dies oder jenes Bruchstück in diese Linie
genau einfügt.

Als es galt, die Kunstgeschichte der Zeit Raphael’s und Dürer’s zu
erarbeiten, da war mit den „Quellen“ und der Quellenkritik nicht weit
zu kommen, wenn man auch in Vasari u. A. wenigstens für die Italie-
nischen Meister ganz erwünschte äusserliche Nachrichten fand; in ihren

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[83/0092] wichtiger sind als die oft sehr äusserlichen und zufälligen Nachrichten, welche bisher für Geschichte gegolten haben. Soll da die Forschung das Gewehr strecken? Wir haben wohl, wenn wir in eine Sammlung Aegyptischer Alter- thümer treten, den besonderen Eindruck, die subjective Anschauung dieses wunderlichen Alterthums; aber wenigstens in der einen und an- deren Richtung können wir forschend zu positiveren Ergebnissen kommen. Da sind diese Syenite, behauen, polirt; da sind diese Farben, diese Ge- webe; welcher Werkzeuge, welcher Metalle bedurfte es, so harten Stein zu verarbeiten, welcher mechanischen Constructionen, solche Massen aus dem Felsen zu heben, auf die Barke zu schaffen? wie wurden chemisch diese Farben bereitet? aus welchen Stoffen sind diese Gewebe, und woher kamen sie? Auf dem Wege solcher technologischen Interpretation der Ueberreste ergeben sich Thatsachen, welche die dürftige Ueberliefe- rung über das alte Aegypten nach vielen und bedeutenden Richtungen hin ergänzen, und diese Thatsachen ergeben sich mit einer Sicherheit, die um so grösser ist, je weniger direct sie gewonnen wurden. Vielen erscheint es kritisch, etwa von der Verfassung des alten Rom oder Athens vor den Perserkriegen nur das gelten zu lassen, was ausdrücklich überliefert und bezeugt ist. Aber die Phantasie des Lesers wird nicht unterlassen, diese dürftigen Notizen unter sich zu verbinden und sie so zu einem Bild zu ergänzen; nur dass diese Ergänzung ein Spiel der Phantasie, dies Bild ein willkürliches oder unwillkürliches ist. Ist es nicht möglich, Methoden zu finden, die das Verfahren der Ergän- zung regeln und begründen? In der pragmatischen Natur derartiger Dinge — denn des Polybius Ausdruck pragmatisch sollte man aufhören zu missachten — liegen Momente, Bedingungen, Nothwendigkeiten, deren Spuren sich, wenn man schärfer hinsieht, vielleicht in Dem wiedererkennen lassen, was uns noch vorliegt; und die hypothetische Linie, die uns jene pragmatische Natur der Dinge zeichnen liess, be- stätigt sich dann, indem sich dies oder jenes Bruchstück in diese Linie genau einfügt. Als es galt, die Kunstgeschichte der Zeit Raphael’s und Dürer’s zu erarbeiten, da war mit den „Quellen“ und der Quellenkritik nicht weit zu kommen, wenn man auch in Vasari u. A. wenigstens für die Italie- nischen Meister ganz erwünschte äusserliche Nachrichten fand; in ihren

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/92>, abgerufen am 24.11.2024.