über die ungestüme Rachsucht seiner Mutter ehren; aber, weit ent- fernt, es ihm zum Vorwurf zu machen, daß er die kindliche Liebe nicht schweigen hieß, um der kalten Strenge des Blutrechts das Haupt der Mutter zu opfern, ist sein Schicksal zu preisen, das nicht ihm die Schuld aufbürden wollte, die Keime neuer Zwietracht erstickt zu haben. --
Der Frühling des Jahres 335 kam heran, mit ihm die Zeit zur Unterwerfung der Barbaren, welche auf drei Seiten Macedo- nien umwohnen. Diese Barbaren, theils Thracische, theils Illyri- sche Völkerschaften, und in uralter Zeit Herren des gesammten Hämuslandes, dann aus den tieferen Landschaften durch die wach- sende Macht der Macedonier in die Berge, durch die Griechischen Colonien von der Seeküste und der Theilnahme am freien Völker- verkehr zurückgedrängt, später von dem Macedonischen Königthume, das mit der Griechischen Bildung auch das Bewußtsein seiner Macht und seines Rechtes über Barbaren zu herrschen überkommen hatte, mehr und mehr in der uralten Unabhängigkeit beeinträchtigt, endlich von den letzten Königen, namentlich von Philipp, theils zu Unterthanen, theils zu tributpflichtigen Schutzgenossen des Reiches gemacht, waren sie dennoch nicht von dem Joche der neuen Herr- schaft so niedergedrückt, noch von dem Gifte einer ihnen aufgedrun- genen Civilisation so geschwächt worden, daß sie die Gewohnheit der Raublust und Unabhängigkeit vergessen, oder die Armuth ihrer unwirthbaren Berge auch ohne Freiheit zu ertragen vermocht hätten. Mit Philipps Tode schien die Zeit gekommen, die neuen Verbindungen zu zerreißen und unter ihren Häuptlingen in alter Unabhängigkeit zu leben. So standen die Illyrier unter ihrem Fürsten Klitus auf, dessen Vater Bardylis erst die verschiedenen Stämme zu gemeinsamen Raubzügen vereint hatte, aber von Per- dikkas und Philipp bis hinter der Lychnidischen See zurückgeworfen war; wenigstens die alte Unabhängigkeit wollte jetzt Klitus geltend machen 57). In demselben Sinne machten ihre nördlichen Nach- barn, die Taulantiner, Neuerungen; ihr Fürst Glaukias verband
sich
57)Diod. XVI. 4. Hellad. apd. Phot. p. 530 a. 37. Cic. de Off. II. 11.
über die ungeſtüme Rachſucht ſeiner Mutter ehren; aber, weit ent- fernt, es ihm zum Vorwurf zu machen, daß er die kindliche Liebe nicht ſchweigen hieß, um der kalten Strenge des Blutrechts das Haupt der Mutter zu opfern, iſt ſein Schickſal zu preiſen, das nicht ihm die Schuld aufbürden wollte, die Keime neuer Zwietracht erſtickt zu haben. —
Der Frühling des Jahres 335 kam heran, mit ihm die Zeit zur Unterwerfung der Barbaren, welche auf drei Seiten Macedo- nien umwohnen. Dieſe Barbaren, theils Thraciſche, theils Illyri- ſche Völkerſchaften, und in uralter Zeit Herren des geſammten Hämuslandes, dann aus den tieferen Landſchaften durch die wach- ſende Macht der Macedonier in die Berge, durch die Griechiſchen Colonien von der Seeküſte und der Theilnahme am freien Völker- verkehr zurückgedrängt, ſpäter von dem Macedoniſchen Königthume, das mit der Griechiſchen Bildung auch das Bewußtſein ſeiner Macht und ſeines Rechtes über Barbaren zu herrſchen überkommen hatte, mehr und mehr in der uralten Unabhängigkeit beeinträchtigt, endlich von den letzten Königen, namentlich von Philipp, theils zu Unterthanen, theils zu tributpflichtigen Schutzgenoſſen des Reiches gemacht, waren ſie dennoch nicht von dem Joche der neuen Herr- ſchaft ſo niedergedrückt, noch von dem Gifte einer ihnen aufgedrun- genen Civiliſation ſo geſchwächt worden, daß ſie die Gewohnheit der Raubluſt und Unabhängigkeit vergeſſen, oder die Armuth ihrer unwirthbaren Berge auch ohne Freiheit zu ertragen vermocht hätten. Mit Philipps Tode ſchien die Zeit gekommen, die neuen Verbindungen zu zerreißen und unter ihren Häuptlingen in alter Unabhängigkeit zu leben. So ſtanden die Illyrier unter ihrem Fürſten Klitus auf, deſſen Vater Bardylis erſt die verſchiedenen Stämme zu gemeinſamen Raubzügen vereint hatte, aber von Per- dikkas und Philipp bis hinter der Lychnidiſchen See zurückgeworfen war; wenigſtens die alte Unabhängigkeit wollte jetzt Klitus geltend machen 57). In demſelben Sinne machten ihre nördlichen Nach- barn, die Taulantiner, Neuerungen; ihr Fürſt Glaukias verband
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57)Diod. XVI. 4. Hellad. apd. Phot. p. 530 a. 37. Cic. de Off. II. 11.
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über die ungeſtüme Rachſucht ſeiner Mutter ehren; aber, weit ent-
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nicht ſchweigen hieß, um der kalten Strenge des Blutrechts das
Haupt der Mutter zu opfern, iſt ſein Schickſal zu preiſen, das nicht
ihm die Schuld aufbürden wollte, die Keime neuer Zwietracht erſtickt
zu haben. —
Der Frühling des Jahres 335 kam heran, mit ihm die Zeit
zur Unterwerfung der Barbaren, welche auf drei Seiten Macedo-
nien umwohnen. Dieſe Barbaren, theils Thraciſche, theils Illyri-
ſche Völkerſchaften, und in uralter Zeit Herren des geſammten
Hämuslandes, dann aus den tieferen Landſchaften durch die wach-
ſende Macht der Macedonier in die Berge, durch die Griechiſchen
Colonien von der Seeküſte und der Theilnahme am freien Völker-
verkehr zurückgedrängt, ſpäter von dem Macedoniſchen Königthume,
das mit der Griechiſchen Bildung auch das Bewußtſein ſeiner
Macht und ſeines Rechtes über Barbaren zu herrſchen überkommen
hatte, mehr und mehr in der uralten Unabhängigkeit beeinträchtigt,
endlich von den letzten Königen, namentlich von Philipp, theils zu
Unterthanen, theils zu tributpflichtigen Schutzgenoſſen des Reiches
gemacht, waren ſie dennoch nicht von dem Joche der neuen Herr-
ſchaft ſo niedergedrückt, noch von dem Gifte einer ihnen aufgedrun-
genen Civiliſation ſo geſchwächt worden, daß ſie die Gewohnheit
der Raubluſt und Unabhängigkeit vergeſſen, oder die Armuth ihrer
unwirthbaren Berge auch ohne Freiheit zu ertragen vermocht
hätten. Mit Philipps Tode ſchien die Zeit gekommen, die
neuen Verbindungen zu zerreißen und unter ihren Häuptlingen in
alter Unabhängigkeit zu leben. So ſtanden die Illyrier unter ihrem
Fürſten Klitus auf, deſſen Vater Bardylis erſt die verſchiedenen
Stämme zu gemeinſamen Raubzügen vereint hatte, aber von Per-
dikkas und Philipp bis hinter der Lychnidiſchen See zurückgeworfen
war; wenigſtens die alte Unabhängigkeit wollte jetzt Klitus geltend
machen 57). In demſelben Sinne machten ihre nördlichen Nach-
barn, die Taulantiner, Neuerungen; ihr Fürſt Glaukias verband
ſich
57) Diod. XVI. 4. Hellad. apd. Phot. p. 530 a. 37. Cic. de
Off. II. 11.
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/78>, abgerufen am 23.11.2024.
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