daß ganz Griechenland sich von Macedonien losreißen zu wollen schien. Unmittelbar nach Philipps Ermordung hatten die Athener ein Freudenfest zu feiern und den Mörder mit goldnen Kränzen zu ehren dekretirt; Demosthenes, der alte Gegner Philipps, setzte Alles in Bewegung, Athen, Theben, Thessalien, ganz Griechenland zum offenen Bruch mit Macedonien und zum Protest gegen die in Ko- rinth anerkannte Hegemonie zu vermögen; er unterhandelte mit Persien über Subsidien gegen Macedonien; Athen rüstete sich eifrig zum Kriege; Theben dekretirte die Vertreibung der Macedonischen Besatzung und die Weigerung der Hegemonie; die Aetolier beschlos- sen, die von Philipp aus Akarnanien Verjagten mit gewaffneter Hand zurückzuführen; die Ambracioten verjagten die Macedoni- sche Besatzung und richteten Demokratie ein; die Argiver, Sparta- ner, Eleer, Arkadier, alle waren bereit, das Macedonische Joch von sich zu werfen. Umsonst schickte Alexander Gesandte aus, die sein Wohlwollen und seine Achtung für die bestehenden Freihei- ten versicherten; die Griechen schwelgten in der Hoffnung, die alte Zeit des Ruhmes und der Freiheit wieder aufleben zu sehen; sie meinten, der Sieg sei unzweifelhaft; bei Chäronea hätte die ganze Macedonische Macht unter Philipp und Parmenion mit Mühe die Heere Athens und Thebens besiegt; jetzt seien alle Griechen vereint, ihnen gegenüber ein Knabe, der kaum seines Thrones sicher sei, und lieber in Pella peripathisiren, als mit Griechen zu kämpfen wa- gen werde; sein einziger Feldherr Parmenion sei in Asien, mit ihm ein bedeutender Theil des Heeres von den Persischen Satrapen ge- drängt, ein anderer unter Attalus bereit, sich für Griechenland ge- gen Alexander zu erklären; selbst die Thessalischen Ritter, selbst das leichte Fußvolk der Thracischen und Illyrischen Bundesgenossen sei der Macedonischen Macht entzogen, nicht einmal der Weg nach Griechenland offen, wenn Alexander wagen sollte, sein Reich den Einfällen der nordischen Nachbarn und den Angriffen des Attalus Preis zu geben. In der That drohten die Völker im Norden und Westen, sich der Abhängigkeit von Macedonien zu entziehen, oder bei dem ersten Anlaß die Grenzen des Reiches räuberisch zu über- fallen.
Alexanders Lage war peinlich und dringend; seine Freunde ver- zagten; sie beschworen ihn, nachzugeben, ehe Alles verloren sei, sich
daß ganz Griechenland ſich von Macedonien losreißen zu wollen ſchien. Unmittelbar nach Philipps Ermordung hatten die Athener ein Freudenfeſt zu feiern und den Mörder mit goldnen Kränzen zu ehren dekretirt; Demoſthenes, der alte Gegner Philipps, ſetzte Alles in Bewegung, Athen, Theben, Theſſalien, ganz Griechenland zum offenen Bruch mit Macedonien und zum Proteſt gegen die in Ko- rinth anerkannte Hegemonie zu vermögen; er unterhandelte mit Perſien über Subſidien gegen Macedonien; Athen rüſtete ſich eifrig zum Kriege; Theben dekretirte die Vertreibung der Macedoniſchen Beſatzung und die Weigerung der Hegemonie; die Aetolier beſchloſ- ſen, die von Philipp aus Akarnanien Verjagten mit gewaffneter Hand zurückzuführen; die Ambracioten verjagten die Macedoni- ſche Beſatzung und richteten Demokratie ein; die Argiver, Sparta- ner, Eleer, Arkadier, alle waren bereit, das Macedoniſche Joch von ſich zu werfen. Umſonſt ſchickte Alexander Geſandte aus, die ſein Wohlwollen und ſeine Achtung für die beſtehenden Freihei- ten verſicherten; die Griechen ſchwelgten in der Hoffnung, die alte Zeit des Ruhmes und der Freiheit wieder aufleben zu ſehen; ſie meinten, der Sieg ſei unzweifelhaft; bei Chäronea hätte die ganze Macedoniſche Macht unter Philipp und Parmenion mit Mühe die Heere Athens und Thebens beſiegt; jetzt ſeien alle Griechen vereint, ihnen gegenüber ein Knabe, der kaum ſeines Thrones ſicher ſei, und lieber in Pella peripathiſiren, als mit Griechen zu kämpfen wa- gen werde; ſein einziger Feldherr Parmenion ſei in Aſien, mit ihm ein bedeutender Theil des Heeres von den Perſiſchen Satrapen ge- drängt, ein anderer unter Attalus bereit, ſich für Griechenland ge- gen Alexander zu erklären; ſelbſt die Theſſaliſchen Ritter, ſelbſt das leichte Fußvolk der Thraciſchen und Illyriſchen Bundesgenoſſen ſei der Macedoniſchen Macht entzogen, nicht einmal der Weg nach Griechenland offen, wenn Alexander wagen ſollte, ſein Reich den Einfällen der nordiſchen Nachbarn und den Angriffen des Attalus Preis zu geben. In der That drohten die Völker im Norden und Weſten, ſich der Abhängigkeit von Macedonien zu entziehen, oder bei dem erſten Anlaß die Grenzen des Reiches räuberiſch zu über- fallen.
Alexanders Lage war peinlich und dringend; ſeine Freunde ver- zagten; ſie beſchworen ihn, nachzugeben, ehe Alles verloren ſei, ſich
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daß ganz Griechenland ſich von Macedonien losreißen zu wollen
ſchien. Unmittelbar nach Philipps Ermordung hatten die Athener
ein Freudenfeſt zu feiern und den Mörder mit goldnen Kränzen zu
ehren dekretirt; Demoſthenes, der alte Gegner Philipps, ſetzte Alles
in Bewegung, Athen, Theben, Theſſalien, ganz Griechenland zum
offenen Bruch mit Macedonien und zum Proteſt gegen die in Ko-
rinth anerkannte Hegemonie zu vermögen; er unterhandelte mit
Perſien über Subſidien gegen Macedonien; Athen rüſtete ſich eifrig
zum Kriege; Theben dekretirte die Vertreibung der Macedoniſchen
Beſatzung und die Weigerung der Hegemonie; die Aetolier beſchloſ-
ſen, die von Philipp aus Akarnanien Verjagten mit gewaffneter
Hand zurückzuführen; die Ambracioten verjagten die Macedoni-
ſche Beſatzung und richteten Demokratie ein; die Argiver, Sparta-
ner, Eleer, Arkadier, alle waren bereit, das Macedoniſche Joch
von ſich zu werfen. Umſonſt ſchickte Alexander Geſandte aus,
die ſein Wohlwollen und ſeine Achtung für die beſtehenden Freihei-
ten verſicherten; die Griechen ſchwelgten in der Hoffnung, die alte
Zeit des Ruhmes und der Freiheit wieder aufleben zu ſehen; ſie
meinten, der Sieg ſei unzweifelhaft; bei Chäronea hätte die ganze
Macedoniſche Macht unter Philipp und Parmenion mit Mühe die
Heere Athens und Thebens beſiegt; jetzt ſeien alle Griechen vereint,
ihnen gegenüber ein Knabe, der kaum ſeines Thrones ſicher ſei,
und lieber in Pella peripathiſiren, als mit Griechen zu kämpfen wa-
gen werde; ſein einziger Feldherr Parmenion ſei in Aſien, mit ihm
ein bedeutender Theil des Heeres von den Perſiſchen Satrapen ge-
drängt, ein anderer unter Attalus bereit, ſich für Griechenland ge-
gen Alexander zu erklären; ſelbſt die Theſſaliſchen Ritter, ſelbſt das
leichte Fußvolk der Thraciſchen und Illyriſchen Bundesgenoſſen ſei
der Macedoniſchen Macht entzogen, nicht einmal der Weg nach
Griechenland offen, wenn Alexander wagen ſollte, ſein Reich den
Einfällen der nordiſchen Nachbarn und den Angriffen des Attalus
Preis zu geben. In der That drohten die Völker im Norden und
Weſten, ſich der Abhängigkeit von Macedonien zu entziehen, oder
bei dem erſten Anlaß die Grenzen des Reiches räuberiſch zu über-
fallen.
Alexanders Lage war peinlich und dringend; ſeine Freunde ver-
zagten; ſie beſchworen ihn, nachzugeben, ehe Alles verloren ſei, ſich
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/70>, abgerufen am 23.11.2024.
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