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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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der unmittelbare Ausdruck der öffentlichen Meinung, hatten aller-
dings das Wort der Ankläger gar wohl beachtet, daß sie über die
Angeklagten, ein Anderer aber über sie urtheilen werde, und daß
es des Aufsehens wegen wünschenswerth sei, berühmte Männer
zu strafen; sie hatten ohne alle Rücksicht und nicht ohne über-
eilte Strenge verdammt, und so dem Könige mit dem Rechte je-
ner Forderung gleichsam das Recht des Forderns zugestanden.
Der große Gegner der Macedonischen Monarchie mußte die Hei-
math meiden, mit ihm sank die Stütze der alt demokratischen
Parthei und ihrer Traditionen; in Philokles verlor der Staat
einen Feldherrn, der wenigstens oft genug zu diesem wichtigen
Amte vom Volke erwählt worden war. Dagegen blieb Demades
trotz seiner Verurtheilung 88), und sein Einfluß herrschte um so

88) Demades war allerdings im Harpalifchen Prozeß verur-
theilt, Dinarch. p. 182.; derselbe sagt p. 175., Demades habe offen
erklärt, daß er Geld genommen und künftig nehmen werde, aber
zugleich nicht gewagt, sich perfönlich vor Gericht zu stellen, (autois
deixai to prosopon) noch der Anzeige des Areopags gegenüber sich
weiter zu vertheidigen. Er hatte der Untersuchung gemäß sechs-
tausend Stateren (hundert Talente) empfangen; mochte er so reich
sein, daß er einst gegen das Gesetz hundert fremde Tänzerinnen
auf die Bühne führen und für jede das gesetzliche Strafgeld von
tausend Drachmen gleich mitbringen konnte, so mußte ihn doch
die für Bestechungen gesetzliche Strafe des Fünf- oder gar Zehn-
fachen vollkommen zu Grunde richten; er hätte, wenn er nicht zah-
len konnte, ins Gefängniß gehen müssen. Statt dessen findet man
ihn sechs Monate später bei der Nachricht vom Tode Alexanders
auf der Rednerbühne, Plutarch Phoc. 22.; vielleicht daß ihm, aus
Rücksicht auf Alexander und auf dessen Verwendung, vom Volke,
etwa wie dem Laches dem Sohn des Melanopus (Demosth. ep. III.
p.
642) die Strafe erlassen worden; erst nach Alexanders Tode
bricht sein Anschen zusammen, wegen drei oder gar sieben Para-
nomien (Diodor. XVIII. 18., Plutarch. Phoc. 26.) wurde er ver-
urtheilt, und, da er nicht zahlen konnte, atimos. Unter diesen Pa-
ranomien wird wohl die zur Vergötterung Alexanders eine Haupt-
stelle eingenommen haben; zehn Talente dafür, wie Athenäus angiebt,
wären ihm zu zahlen leicht geworden; die hundert Talente bei Ae-

der unmittelbare Ausdruck der oͤffentlichen Meinung, hatten aller-
dings das Wort der Anklaͤger gar wohl beachtet, daß ſie uͤber die
Angeklagten, ein Anderer aber uͤber ſie urtheilen werde, und daß
es des Aufſehens wegen wuͤnſchenswerth ſei, beruͤhmte Maͤnner
zu ſtrafen; ſie hatten ohne alle Ruͤckſicht und nicht ohne uͤber-
eilte Strenge verdammt, und ſo dem Koͤnige mit dem Rechte je-
ner Forderung gleichſam das Recht des Forderns zugeſtanden.
Der große Gegner der Macedoniſchen Monarchie mußte die Hei-
math meiden, mit ihm ſank die Stuͤtze der alt demokratiſchen
Parthei und ihrer Traditionen; in Philokles verlor der Staat
einen Feldherrn, der wenigſtens oft genug zu dieſem wichtigen
Amte vom Volke erwaͤhlt worden war. Dagegen blieb Demades
trotz ſeiner Verurtheilung 88), und ſein Einfluß herrſchte um ſo

88) Demades war allerdings im Harpalifchen Prozeß verur-
theilt, Dinarch. p. 182.; derſelbe ſagt p. 175., Demades habe offen
erklaͤrt, daß er Geld genommen und kuͤnftig nehmen werde, aber
zugleich nicht gewagt, ſich perfoͤnlich vor Gericht zu ſtellen, (αὐτοῖς
δεῖξαι τὸ πϱόσωπον) noch der Anzeige des Areopags gegenuͤber ſich
weiter zu vertheidigen. Er hatte der Unterſuchung gemaͤß ſechs-
tauſend Stateren (hundert Talente) empfangen; mochte er ſo reich
ſein, daß er einſt gegen das Geſetz hundert fremde Taͤnzerinnen
auf die Buͤhne fuͤhren und fuͤr jede das geſetzliche Strafgeld von
tauſend Drachmen gleich mitbringen konnte, ſo mußte ihn doch
die fuͤr Beſtechungen geſetzliche Strafe des Fuͤnf- oder gar Zehn-
fachen vollkommen zu Grunde richten; er haͤtte, wenn er nicht zah-
len konnte, ins Gefaͤngniß gehen muͤſſen. Statt deſſen findet man
ihn ſechs Monate ſpaͤter bei der Nachricht vom Tode Alexanders
auf der Rednerbuͤhne, Plutarch Phoc. 22.; vielleicht daß ihm, aus
Ruͤckſicht auf Alexander und auf deſſen Verwendung, vom Volke,
etwa wie dem Laches dem Sohn des Melanopus (Demosth. ep. III.
p.
642) die Strafe erlaſſen worden; erſt nach Alexanders Tode
bricht ſein Anſchen zuſammen, wegen drei oder gar ſieben Para-
nomien (Diodor. XVIII. 18., Plutarch. Phoc. 26.) wurde er ver-
urtheilt, und, da er nicht zahlen konnte, ἄτιμος. Unter dieſen Pa-
ranomien wird wohl die zur Vergoͤtterung Alexanders eine Haupt-
ſtelle eingenommen haben; zehn Talente dafuͤr, wie Athenaͤus angiebt,
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[535/0549] der unmittelbare Ausdruck der oͤffentlichen Meinung, hatten aller- dings das Wort der Anklaͤger gar wohl beachtet, daß ſie uͤber die Angeklagten, ein Anderer aber uͤber ſie urtheilen werde, und daß es des Aufſehens wegen wuͤnſchenswerth ſei, beruͤhmte Maͤnner zu ſtrafen; ſie hatten ohne alle Ruͤckſicht und nicht ohne uͤber- eilte Strenge verdammt, und ſo dem Koͤnige mit dem Rechte je- ner Forderung gleichſam das Recht des Forderns zugeſtanden. Der große Gegner der Macedoniſchen Monarchie mußte die Hei- math meiden, mit ihm ſank die Stuͤtze der alt demokratiſchen Parthei und ihrer Traditionen; in Philokles verlor der Staat einen Feldherrn, der wenigſtens oft genug zu dieſem wichtigen Amte vom Volke erwaͤhlt worden war. Dagegen blieb Demades trotz ſeiner Verurtheilung 88), und ſein Einfluß herrſchte um ſo 88) Demades war allerdings im Harpalifchen Prozeß verur- theilt, Dinarch. p. 182.; derſelbe ſagt p. 175., Demades habe offen erklaͤrt, daß er Geld genommen und kuͤnftig nehmen werde, aber zugleich nicht gewagt, ſich perfoͤnlich vor Gericht zu ſtellen, (αὐτοῖς δεῖξαι τὸ πϱόσωπον) noch der Anzeige des Areopags gegenuͤber ſich weiter zu vertheidigen. Er hatte der Unterſuchung gemaͤß ſechs- tauſend Stateren (hundert Talente) empfangen; mochte er ſo reich ſein, daß er einſt gegen das Geſetz hundert fremde Taͤnzerinnen auf die Buͤhne fuͤhren und fuͤr jede das geſetzliche Strafgeld von tauſend Drachmen gleich mitbringen konnte, ſo mußte ihn doch die fuͤr Beſtechungen geſetzliche Strafe des Fuͤnf- oder gar Zehn- fachen vollkommen zu Grunde richten; er haͤtte, wenn er nicht zah- len konnte, ins Gefaͤngniß gehen muͤſſen. Statt deſſen findet man ihn ſechs Monate ſpaͤter bei der Nachricht vom Tode Alexanders auf der Rednerbuͤhne, Plutarch Phoc. 22.; vielleicht daß ihm, aus Ruͤckſicht auf Alexander und auf deſſen Verwendung, vom Volke, etwa wie dem Laches dem Sohn des Melanopus (Demosth. ep. III. p. 642) die Strafe erlaſſen worden; erſt nach Alexanders Tode bricht ſein Anſchen zuſammen, wegen drei oder gar ſieben Para- nomien (Diodor. XVIII. 18., Plutarch. Phoc. 26.) wurde er ver- urtheilt, und, da er nicht zahlen konnte, ἄτιμος. Unter dieſen Pa- ranomien wird wohl die zur Vergoͤtterung Alexanders eine Haupt- ſtelle eingenommen haben; zehn Talente dafuͤr, wie Athenaͤus angiebt, waͤren ihm zu zahlen leicht geworden; die hundert Talente bei Ae-

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/549>, abgerufen am 22.11.2024.