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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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zwinge." Mit unendlichem Jubel und Beifallklatschen wurde der
Heroldsruf aufgenommen, und nach allen Seiten hin zogen die
Verbannten mit ihren Landsleuten der lang entbehrten Heimath
zu 72). Nur Athen und die Aetolier weigerten sich ernstlich,
dem Befehl des Königs Folge zu leisten; denn die Aetolier hat-
ten die Oeniaden vertrieben, und fürchteten deren Rache um so
mehr, da sich Alexander selbst für sie und ihr Recht entschieden
hatte. Die Athener aber sahen sich im Besitz der letzten Insel, die
ihnen aus der Zeit ihrer früheren Herrschaft geblieben war, gefährdet;
sie hatten im Jahre 361 die Bewohner von Samos vertrieben,
und das Land unter Attische Kleruchen vertheilt 73); diese hätten
jetzt, nach dem Befehl des Königs, den früheren Bewohnern wei-
chen müssen; dazu kam, daß durch denselben Befehl die Demo-
kratie in ihrer Freiheit und Souveränität vollkommen in Frage
gestellt war, und daß Athen, wenn es gehorsamte, sich unmittelbar
dem Macedonischen Königthum unterwürfig bekannt hätte; und
noch wagten selbst die Macedonistischen Demagogen nicht, diesen
Grad der Hingebung und diese Erniedrigung zu rathen. Es

kam
72) Diodor. XVII. 109., XVIII. 8.; Curtius X. 2.; Justin.
XIII. 5.; Dinarch. p.
169 und 175.; die in dem Heimkehrge-
setz Ausgenommen bezeichnet Diodor ein Mal plen ton enagon,
ein ander Mal plen ton ierosulon kai phoneon. Curtius sagt:
exsules praeter eos, qui civili sanguine aspersi erant, Justi-
nus praeter caedis damnatos. -- Man hat in der Rede de foed.
Alex.,
die sich unter denen des Demosthenes befindet, Beziehungen
auf diesen Befehl Alexanders zu finden und darnach ihre Zeit be-
stimmen zu können geglaubt (Beckers Demosthenes als Redner und
Staatsmann p. 265.); mit großem Unrecht, sie kann nur der Zeit
zwischen 333 und 330 angehören, und ist offenbar gehalten,
um Athen zur Theilnahme an den Krieg, der mit des Königs Agis
Tode enden sollte, zu bewegen.
73) Ich muß hier den p. 15.
von mir gebrauchten Ausdruck, Philipp habe nach der Schlacht
von Chäronea den Athenern für Samos das Gebiet von Oropus
gegeben, zurück nehmen. Die Athener behielten gerade diese Insel,
offenbar weil sie mit Attischen Bürgern bevölkert war, s. Plutarch
Alex. 28.

zwinge.“ Mit unendlichem Jubel und Beifallklatſchen wurde der
Heroldsruf aufgenommen, und nach allen Seiten hin zogen die
Verbannten mit ihren Landsleuten der lang entbehrten Heimath
zu 72). Nur Athen und die Aetolier weigerten ſich ernſtlich,
dem Befehl des Koͤnigs Folge zu leiſten; denn die Aetolier hat-
ten die Oeniaden vertrieben, und fuͤrchteten deren Rache um ſo
mehr, da ſich Alexander ſelbſt fuͤr ſie und ihr Recht entſchieden
hatte. Die Athener aber ſahen ſich im Beſitz der letzten Inſel, die
ihnen aus der Zeit ihrer fruͤheren Herrſchaft geblieben war, gefaͤhrdet;
ſie hatten im Jahre 361 die Bewohner von Samos vertrieben,
und das Land unter Attiſche Kleruchen vertheilt 73); dieſe haͤtten
jetzt, nach dem Befehl des Koͤnigs, den fruͤheren Bewohnern wei-
chen muͤſſen; dazu kam, daß durch denſelben Befehl die Demo-
kratie in ihrer Freiheit und Souveraͤnitaͤt vollkommen in Frage
geſtellt war, und daß Athen, wenn es gehorſamte, ſich unmittelbar
dem Macedoniſchen Koͤnigthum unterwuͤrfig bekannt haͤtte; und
noch wagten ſelbſt die Macedoniſtiſchen Demagogen nicht, dieſen
Grad der Hingebung und dieſe Erniedrigung zu rathen. Es

kam
72) Diodor. XVII. 109., XVIII. 8.; Curtius X. 2.; Justin.
XIII. 5.; Dinarch. p.
169 und 175.; die in dem Heimkehrge-
ſetz Ausgenommen bezeichnet Diodor ein Mal πλὴν τῶν ἐναγῶν,
ein ander Mal πλὴν τῶν ἱεϱοσύλων καὶ φονέων. Curtius ſagt:
exsules praeter eos, qui civili sanguine aspersi erant, Juſti-
nus praeter caedis damnatos. — Man hat in der Rede de foed.
Alex.,
die ſich unter denen des Demoſthenes befindet, Beziehungen
auf dieſen Befehl Alexanders zu finden und darnach ihre Zeit be-
ſtimmen zu koͤnnen geglaubt (Beckers Demoſthenes als Redner und
Staatsmann p. 265.); mit großem Unrecht, ſie kann nur der Zeit
zwiſchen 333 und 330 angehoͤren, und iſt offenbar gehalten,
um Athen zur Theilnahme an den Krieg, der mit des Koͤnigs Agis
Tode enden ſollte, zu bewegen.
73) Ich muß hier den p. 15.
von mir gebrauchten Ausdruck, Philipp habe nach der Schlacht
von Chaͤronea den Athenern fuͤr Samos das Gebiet von Oropus
gegeben, zuruͤck nehmen. Die Athener behielten gerade dieſe Inſel,
offenbar weil ſie mit Attiſchen Buͤrgern bevoͤlkert war, ſ. Plutarch
Alex. 28.
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[528/0542] zwinge.“ Mit unendlichem Jubel und Beifallklatſchen wurde der Heroldsruf aufgenommen, und nach allen Seiten hin zogen die Verbannten mit ihren Landsleuten der lang entbehrten Heimath zu 72). Nur Athen und die Aetolier weigerten ſich ernſtlich, dem Befehl des Koͤnigs Folge zu leiſten; denn die Aetolier hat- ten die Oeniaden vertrieben, und fuͤrchteten deren Rache um ſo mehr, da ſich Alexander ſelbſt fuͤr ſie und ihr Recht entſchieden hatte. Die Athener aber ſahen ſich im Beſitz der letzten Inſel, die ihnen aus der Zeit ihrer fruͤheren Herrſchaft geblieben war, gefaͤhrdet; ſie hatten im Jahre 361 die Bewohner von Samos vertrieben, und das Land unter Attiſche Kleruchen vertheilt 73); dieſe haͤtten jetzt, nach dem Befehl des Koͤnigs, den fruͤheren Bewohnern wei- chen muͤſſen; dazu kam, daß durch denſelben Befehl die Demo- kratie in ihrer Freiheit und Souveraͤnitaͤt vollkommen in Frage geſtellt war, und daß Athen, wenn es gehorſamte, ſich unmittelbar dem Macedoniſchen Koͤnigthum unterwuͤrfig bekannt haͤtte; und noch wagten ſelbſt die Macedoniſtiſchen Demagogen nicht, dieſen Grad der Hingebung und dieſe Erniedrigung zu rathen. Es kam 72) Diodor. XVII. 109., XVIII. 8.; Curtius X. 2.; Justin. XIII. 5.; Dinarch. p. 169 und 175.; die in dem Heimkehrge- ſetz Ausgenommen bezeichnet Diodor ein Mal πλὴν τῶν ἐναγῶν, ein ander Mal πλὴν τῶν ἱεϱοσύλων καὶ φονέων. Curtius ſagt: exsules praeter eos, qui civili sanguine aspersi erant, Juſti- nus praeter caedis damnatos. — Man hat in der Rede de foed. Alex., die ſich unter denen des Demoſthenes befindet, Beziehungen auf dieſen Befehl Alexanders zu finden und darnach ihre Zeit be- ſtimmen zu koͤnnen geglaubt (Beckers Demoſthenes als Redner und Staatsmann p. 265.); mit großem Unrecht, ſie kann nur der Zeit zwiſchen 333 und 330 angehoͤren, und iſt offenbar gehalten, um Athen zur Theilnahme an den Krieg, der mit des Koͤnigs Agis Tode enden ſollte, zu bewegen. 73) Ich muß hier den p. 15. von mir gebrauchten Ausdruck, Philipp habe nach der Schlacht von Chaͤronea den Athenern fuͤr Samos das Gebiet von Oropus gegeben, zuruͤck nehmen. Die Athener behielten gerade dieſe Inſel, offenbar weil ſie mit Attiſchen Buͤrgern bevoͤlkert war, ſ. Plutarch Alex. 28.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/542>, abgerufen am 22.11.2024.