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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Reiches rafft ihn der Tod hinweg, seine Mutter Eurydice soll ihn
ermordet haben. Aber schon war ihr und des Amyntas dritter
Sohn Philipp da, die Regierung für seines Bruders Perdikkas
unmündigen Sohn zu übernehmen; mit gleicher Vorsicht und Ge-
wandtheit rettet er das Reich vor den drohenden Einfällen der Il-
lyrier und Thracier, die Krone vor den beiden Prätendenten Pau-
sanias und Argäus, das königliche Haus vor neuen Intriguen und
Verwirrungen; in Kurzem waren die alten Partheiungen verschwun-
den. Von der Parthei der Lynkestier war Eurydice und Ptolo-
mäus todt, und von den Söhnen des Aeropos wurde der älteste,
Alexander, durch Vermählung mit des treuen Antipaters Tochter,
die beiden jüngeren, Hieromenes und Arrhabäus, durch andere
Gunstbezeugungen gewonnen, Arrhabäus Söhne Neoptolemus und
Amyntas am Hofe erzogen 10). Von der älteren Linie des Hau-
ses hatte noch Argäus gegen Philipp um das Reich gekämpft, er
verschwindet aus der Geschichte; wahrscheinlich wurde ihm von Phi-
lipp verziehen, und sein Sohn Heraklides erscheint später unter
den Befehlshabern der Macedonischen Armee 11). Auch der zweite
Prätendent Pausanias, von dessen Abstammung und Ansprüchen
nichts Genaueres überliefert wird, verschwindet aus der Geschichte.
Den rechtmäßigen Thronerben endlich, des Perdikkas Sohn Amyn-
tas
, in dessen Namen Philipp wirklich im Anfange die Regierung
geführt hatte, knüpfte er durch die Vermählung mit seiner Tochter
Kynane an sein Interesse 12).

So war Macedonien in die Hände eines Fürsten gekommen,
der mit bewundernswürdiger Planmäßigkeit und Gewandtheit die
Kräfte seines Reiches zu entwickeln, zu benutzen und bis zu dem
Grade zu erhöhen wußte, daß sie dem großen Gedanken, an der
Spitze des Griechenthums das Morgenland zu unterwerfen, ge-
wachsen wurden. Fast hat die Geschichte über die staunenswürdi-
gen Erfolge die Mittel, durch welche sie errungen wurden, aufzu-
zeichnen vergessen, und während sie die Hand, die einen Staat
Griechenlands nach dem andern zu sich herüber zog, in jedem ein-
zelnen ihrer schlauen Griffe auf das Genaueste verfolgt, läßt sie uns

10) Arrian. 1. 20.
11) Arrian. VII. 16.
12) v. interp.
ad Curt. VII.
9. 17.

Reiches rafft ihn der Tod hinweg, ſeine Mutter Eurydice ſoll ihn
ermordet haben. Aber ſchon war ihr und des Amyntas dritter
Sohn Philipp da, die Regierung für ſeines Bruders Perdikkas
unmündigen Sohn zu übernehmen; mit gleicher Vorſicht und Ge-
wandtheit rettet er das Reich vor den drohenden Einfällen der Il-
lyrier und Thracier, die Krone vor den beiden Prätendenten Pau-
ſanias und Argäus, das königliche Haus vor neuen Intriguen und
Verwirrungen; in Kurzem waren die alten Partheiungen verſchwun-
den. Von der Parthei der Lynkeſtier war Eurydice und Ptolo-
mäus todt, und von den Söhnen des Aeropos wurde der älteſte,
Alexander, durch Vermählung mit des treuen Antipaters Tochter,
die beiden jüngeren, Hieromenes und Arrhabäus, durch andere
Gunſtbezeugungen gewonnen, Arrhabäus Söhne Neoptolemus und
Amyntas am Hofe erzogen 10). Von der älteren Linie des Hau-
ſes hatte noch Argäus gegen Philipp um das Reich gekämpft, er
verſchwindet aus der Geſchichte; wahrſcheinlich wurde ihm von Phi-
lipp verziehen, und ſein Sohn Heraklides erſcheint ſpäter unter
den Befehlshabern der Macedoniſchen Armee 11). Auch der zweite
Prätendent Pauſanias, von deſſen Abſtammung und Anſprüchen
nichts Genaueres überliefert wird, verſchwindet aus der Geſchichte.
Den rechtmäßigen Thronerben endlich, des Perdikkas Sohn Amyn-
tas
, in deſſen Namen Philipp wirklich im Anfange die Regierung
geführt hatte, knüpfte er durch die Vermählung mit ſeiner Tochter
Kynane an ſein Intereſſe 12).

So war Macedonien in die Hände eines Fürſten gekommen,
der mit bewundernswürdiger Planmäßigkeit und Gewandtheit die
Kräfte ſeines Reiches zu entwickeln, zu benutzen und bis zu dem
Grade zu erhöhen wußte, daß ſie dem großen Gedanken, an der
Spitze des Griechenthums das Morgenland zu unterwerfen, ge-
wachſen wurden. Faſt hat die Geſchichte über die ſtaunenswürdi-
gen Erfolge die Mittel, durch welche ſie errungen wurden, aufzu-
zeichnen vergeſſen, und während ſie die Hand, die einen Staat
Griechenlands nach dem andern zu ſich herüber zog, in jedem ein-
zelnen ihrer ſchlauen Griffe auf das Genaueſte verfolgt, läßt ſie uns

10) Arrian. 1. 20.
11) Arrian. VII. 16.
12) v. interp.
ad Curt. VII.
9. 17.
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[40/0054] Reiches rafft ihn der Tod hinweg, ſeine Mutter Eurydice ſoll ihn ermordet haben. Aber ſchon war ihr und des Amyntas dritter Sohn Philipp da, die Regierung für ſeines Bruders Perdikkas unmündigen Sohn zu übernehmen; mit gleicher Vorſicht und Ge- wandtheit rettet er das Reich vor den drohenden Einfällen der Il- lyrier und Thracier, die Krone vor den beiden Prätendenten Pau- ſanias und Argäus, das königliche Haus vor neuen Intriguen und Verwirrungen; in Kurzem waren die alten Partheiungen verſchwun- den. Von der Parthei der Lynkeſtier war Eurydice und Ptolo- mäus todt, und von den Söhnen des Aeropos wurde der älteſte, Alexander, durch Vermählung mit des treuen Antipaters Tochter, die beiden jüngeren, Hieromenes und Arrhabäus, durch andere Gunſtbezeugungen gewonnen, Arrhabäus Söhne Neoptolemus und Amyntas am Hofe erzogen 10). Von der älteren Linie des Hau- ſes hatte noch Argäus gegen Philipp um das Reich gekämpft, er verſchwindet aus der Geſchichte; wahrſcheinlich wurde ihm von Phi- lipp verziehen, und ſein Sohn Heraklides erſcheint ſpäter unter den Befehlshabern der Macedoniſchen Armee 11). Auch der zweite Prätendent Pauſanias, von deſſen Abſtammung und Anſprüchen nichts Genaueres überliefert wird, verſchwindet aus der Geſchichte. Den rechtmäßigen Thronerben endlich, des Perdikkas Sohn Amyn- tas, in deſſen Namen Philipp wirklich im Anfange die Regierung geführt hatte, knüpfte er durch die Vermählung mit ſeiner Tochter Kynane an ſein Intereſſe 12). So war Macedonien in die Hände eines Fürſten gekommen, der mit bewundernswürdiger Planmäßigkeit und Gewandtheit die Kräfte ſeines Reiches zu entwickeln, zu benutzen und bis zu dem Grade zu erhöhen wußte, daß ſie dem großen Gedanken, an der Spitze des Griechenthums das Morgenland zu unterwerfen, ge- wachſen wurden. Faſt hat die Geſchichte über die ſtaunenswürdi- gen Erfolge die Mittel, durch welche ſie errungen wurden, aufzu- zeichnen vergeſſen, und während ſie die Hand, die einen Staat Griechenlands nach dem andern zu ſich herüber zog, in jedem ein- zelnen ihrer ſchlauen Griffe auf das Genaueſte verfolgt, läßt ſie uns 10) Arrian. 1. 20. 11) Arrian. VII. 16. 12) v. interp. ad Curt. VII. 9. 17.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/54>, abgerufen am 27.11.2024.